Ostern, immer wieder
Sechste Lesung der Osternacht
Höre, Israel, die Weisungen des Lebens;
merkt auf, um Einsicht zu gewinnen!
Was ist mit dir, Israel, dass du im Land der Feinde bist,
alterst in fremdem Land, durch die Toten verunreinigt wirst,
man dich denen im Hades zurechnet?
Du hast verlassen die Quelle der Weisheit!
Wärest du den Weg Gottes gewandelt,
du wohntest noch im Frieden für immer.
Lerne, wo Einsicht, wo Kraft, wo Klugheit ist,
um zugleich zu erkennen,
wo langes Leben ist und Lebensglück,
wo Licht der Augen und wo Frieden.
Wer hat ihren Ort, den Ort der Weisheit, gefunden,
und wer ist zu ihren Schätzen gelangt?
Der, der alles weiß, kennt sie, er hat sie durch seine Klugheit erkundet,
der die Erde eingerichtet hat für ewige Zeit,
sie mit vierfüßigen Tieren füllte,
der das Licht entsendet, und es geht,
er ruft es, und es gehorcht ihm mit Zittern.
Die Sterne leuchten in ihren Wachen und freuen sich,
er ruft sie, und sie sagen: ´Da sind wir`.
Sie leuchten mit Freude dem, der sie geschaffen hat.
Dieser ist unser Gott, kein anderer gilt neben ihm.
Er hat jeden Weg der Erkenntnis ergründet
und hat sie Jakob gelehrt, sein von ihm abhängiges Kind,
und das von ihm geliebte Israel.
Danach wurde sie auf der Erde gesehen und verkehrte mit den Menschen.
Sie ist das Buch der Anordnungen Gottes
und die Tora, die auf ewig Bestand hat.
Für alle, die sich an sie halten, bedeutet sie Leben,
die sie jedoch verlassen, werden sterben.
Kehr um, Jakob, und ergreife sie, geh in ihrem Schein den Weg zum Licht!
Gib nicht anderen deine Pracht
und das, was dir zuträglich ist, nicht einem fremden Volk.
Selig sind wir, Israel, denn das, was Gott gefällt, ist uns bekannt.
Baruch 3, 9-15; 32- 4.4 Bibel in gerechter Sprache
(Alle Lesungen der Ostergottesdienste finden Sie beispielsweise hier: Schott Erzabtei Beuron
Ostern, immer wieder
Meine Güte, was kann ich schon sagen über Ostern, was nicht schon hundertmal, tausendmal, zweitausendmal gesagt worden wäre? Das wichtigste Fest der Christenheit, ja natürlich. Dennoch geht es manchmal seltsam belanglos an mir vorüber. Dann leide ich darunter, dass ich so wenig spüre: ein paar Frühlingsgefühle, ein paar liturgische Hochgefühle, kurzzeitig, Familienglück beim Nestsuchen, und wehe, es regnet.
Wir feiern (wenn überhaupt) was Vergangenes, nämlich dass Jesus uns erlöst hat (wovon genau, wenn wir die Welt betrachten?), und was Zukünftiges, nämlich dass wir auferstehen werden in ein unbekanntes Leben, von dem wir vage hoffen, dass es uns freuen wird. Und von irgendwo muss dann die Freude in die Gegenwart transportiert werden. Das gelingt mitunter, eine Garantie dafür gibt es nicht.
So stehen wir diesen drei feierlichen Tagen, Karfreitag, Karsamstag, Ostersonntag und ihren Inhalten: töten - tot sein - wieder aufstehen, trotz aller Vertrautheit immer wieder auch ziemlich fremd und einigermaßen hilflos gegenüber. Unsere Erfahrungen reichen ja nicht einmal bis zum Tot- Sein. Und die Vergnügungs- und Freizeitindustrie deckt das Vakuum betriebsam zu. Ostereier ohne Ende.
Ansatzweise, in Spuren, können wir das Geschehen nachvollziehen, wenn wir uns an unsere eigenen Erlebnisse mit „töten“, „tot sein“ und „wieder aufstehen“ erinnern, an das, was unser Leben schon gestreift hat. Da ist das Spektrum breit. Das mag reichen von vergleichsweise eher harmlosen Szenen, in denen wir mundtot gemacht wurden oder gemacht haben, bis zu Todesfällen in unserem Umfeld und bis zu den vielen grausamen Morden, von denen uns täglich in den Nachrichten erzählt wird. Von Situationen, in denen wir uns „wie tot“ gefühlt haben, bis zum Abschiednehmen von einem geliebten Menschen im Wissen, ihn jetzt nicht mehr zu erreichen. Den Kampf ums Leben, ums Überleben, die Erschöpfung, die Trauer, die Leere erspart uns das Leben nicht.
Aber dann gibt es eben auch das Hochgefühl des Wiederaufstehens. Angeschlagen mitunter, noch zaghaft, voller Vorsicht, stehen wir doch immer wieder auf: nach einem Sturz, nach einer Krankheit, einer Depression, einer Niederlage, mit dem Gefühl, geschlagen worden zu sein, aber überlebt zu haben. Und wieder aufrecht zu stehen! Was für eine Freude!
Ich habe also den Eindruck, dass Ostern mir nur nahe kommt, wenn ich’s sehr persönlich nehme. Meine persönlichen Erfahrungen mit Tod und Auferstehen mitten in meinem Leben sind der Angelhaken, daran muss ich aufhängen, was mir Ostern bedeutet.
Aber das reicht noch nicht für die Osterfreude. Nicht alles hat sich wieder gelöst in meinem Leben, nicht immer bin ich wieder aufgestanden, einiges in mir ist auch liegen geblieben. Und erst recht, wenn ich auf andere schaue: Woher, angesichts des vielen Leids, die Kraft nehmen für einen Glauben ans Wieder-Aufstehen?
Ich brauche also noch etwas Intensiveres, wenn ich will, dass mir Ostern nahe geht: Ich muss meine Beziehung zu Jesus sehr persönlich nehmen.
Denn wenn ich weiß, dass dieser Jesus der „Gott mit mir“ ist, der „Gott auf Augenhöhe“, der in Tuchfühlung mit mir lebt, der jederzeit spürt, woran ich leide und worüber ich mich freue, dann fällt es mir gar nicht schwer, mich auch in sein Leiden hineinzuversetzen. Dann ist es nicht mehr Ewigkeiten entfernt. Es ist auch nicht bloße Erinnerung: So, wie er von mir weiß und mit mir fühlt, das fühlt er auch mit allen anderen. Und es gibt sehr viel Leid in der Welt. Das Mit-Leiden Jesu ist also unvorstellbar. Am Karfreitag das Leiden Jesu zu betrachten, heißt zugleich, mit ihm gemeinsam das Leid heutiger Menschen zu sehen und zu beklagen.
Von daher wird mir die Auferstehung Jesu so wichtig (nicht nur meine eigene). Ich würde den Zustand unserer Welt nicht ertragen - es ist immer noch schwer genug -, wenn ich nicht durch die Auferstehung Jesu wüsste, dass jeder Mensch aufgefangen wird von der Hand Gottes: jeder Mann, jede Frau, jedes Kind, wie menschenunwürdig sie auch leben und sterben mussten, wie brutal sie auch gehandelt haben und behandelt wurden. Wir bleiben nicht am Boden (im Boden) liegen, wir stehen wieder auf und werden in die Arme Gottes hineingezogen.
Wann immer wir diese göttliche Kraft schon im Leben in uns spüren, uns aufzurichten, aufrecht zu stehen, das Rückgrat nicht zu krümmen, wird Osterglaube lebendig. Uns zu engagieren gegen alles, was sich gegen das Glück der Menschen richtet, das Gott in Fülle für uns will, politische Fantasie zu entwickeln, um für diese Welt Wege des Miteinanders und der Versöhnung zu finden: das ist Hoffnung wider alle Hoffnung, das ist Ostersonntag trotz Karfreitag.
Martha Heizer