Mit seiner ganzen Fülle
Er ist Bild des unsichtbaren Gottes,
der Erstgeborene der ganzen Schöpfung.
Denn in ihm wurde alles erschaffen
im Himmel und auf Erden,
das Sichtbare und das Unsichtbare,
Throne und Herrschaften, Mächte und Gewalten;
alles ist durch ihn und auf ihn hin erschaffen.
Er ist vor aller Schöpfung und in ihm hat alles Bestand.
Er ist das Haupt,
der Leib aber ist die Kirche.
Er ist der Ursprung,
der Erstgeborene der Toten;
so hat er in allem den Vorrang.
Denn Gott wollte mit seiner ganzen Fülle in ihm wohnen,
um durch ihn alles auf ihn hin zu versöhnen.
Alles im Himmel und auf Erden wollte er zu Christus führen,
der Frieden gestiftet hat am Kreuz durch sein Blut.
Kol 1,15-20 Einheitsübersetzung
Mit seiner ganzen Fülle
Da dieser Sonntagsbrief mehrere Dimensionen hat, gerät er länger, als ich es eigentlich bevorzuge. Dennoch versuche ich, ihn auf so wenig Raum wie möglich zu verdichten.
Im Anfang dieses Textes wird Jesus als der „Erstgeborene der ganzen Schöpfung“ beschrieben, als den, der vor aller Schöpfung war und dass er in allem den Vorrang habe.
Im Jahr 2000 schrieb ich mein Werk „Am Anfang war die Einheit!“. Das passt gut zu der Erkenntnis über Jesus hier im Kolosserbrief. Ich schrieb im letzten Kapitel dieser biblisch poetischen Reise zum Anfang der Schöpfung: „Im Anfang schuf GOTT nur einen Menschen, männlich und weiblich schuf er ihn! Er schuf den Menschen nach seinem Bilde, nach dem Bilde seines Sohnes, der Mann und Frau in sich vereint, der als guter Hirte beispielhaft vorangeht und GOTT in liebender Ergänzung darstellt. In Ihm ergänzt sich alles, in Ihm vereint sich alles, in Ihm verlieren sich die Unterschiede, verlieren sich die Widersprüche und verschmelzen sich in GOTTES Plan.“
Ich beschreibe Jesus hier als Ur-Modell für die Gattung Mensch! Jesus, das Urbild des Menschen, war vor aller Schöpfung, war ihr Erstgeborener.
Und deshalb kann ich nicht begreifen, geschweige denn als gut erachten, wenn Jesus wie selbstverständlich in eine binäre Vorstellung vom Menschen eingespannt wird, einer Vorstellung, dass es nur Mann oder Frau gibt und jeder Mensch sich in dieses System einzuordnen hat um Mensch zu sein nach GOTTES Bild und Gleichnis. Dieses System nimmt lediglich Menschen in den Blick, die sich eindeutig als Männer und Frauen verstehen, andere dagegen nicht. Als Verbindung zwischen diesen beiden Polen steht das heterosexuelle Begehren zueinander, das dann zur Fortpflanzung führt.
Als ich mich vor vielen Jahren meinen Eltern als schwul outete sagte mein leiblicher Vater damals: „Du bist ja gar kein Mann, sondern in Wahrheit ein Weib.“ Was für ein Schlag! Es gab keinen Lebensraum für seinen eigenen Sohn in seinem erlernten Weltverständnis. Ich war ihm deswegen nie böse, er wusste es nicht besser. Die Geschlechter waren klar definiert. Besonders gerne wurde diese Sicht auf die Gattung Mensch als binäre* Erscheinungsform Mann und Frau mit Genesis 1,27 begründet und wird es immer noch mit ausgrenzender Gewalt: „GOTT schuf den Menschen nach seinem Bilde, als Abbild GOTTES schuf er ihn, als Mann und Frau schuf er sie.“
Mittlerweile haben Humanwissenschaftler diese binäre* Sicht auf den Menschen mit sehr guten Argumenten in Frage gestellt. Dennoch tobt ein Kulturkampf darüber, ob es nur zwei Geschlechter gibt und demnach alle, die da nicht hineinpassen als wider die Natur gebrandmarkt werden, als Ungeordnete.
Ich habe neulich, um auf ein ausgrenzendes Post einer Gruppe auf Facebook zu reagieren, das Internet durchforstet und stieß in seinen Untiefen auf einen Text des ZEKK (Zentrum für komparative Theologie und Kulturwissenschaften in Paderborn). Dieser Text ist einfach wunderbar klärend, deshalb spüle ich ihn hiermit an die Oberfläche, damit er nicht mehr übersehen werden kann. Hier der Link dazu: https://blogs.uni-paderborn.de/zekkblog/2024/02/23/genesis-1-27-und-das-binaere-geschlechterverstaendnis/
Noch einen zweiten Aspekt will ich aus diesen Versen des Kolosserbriefes herausarbeiten: das Wort ekklesia wird wie selbstverständlich mit dem Wort ‚Kirche‘ übersetzt. Im Ursprung heißt es ‚Herausgerufene‘. Ekklesia war schon damals kein neues Wort, denn schon im alten Griechenland wurde es benutzt für eine Versammlung von Menschen, die aus dem Volk herausgerufen wurden in eben diese Versammlung. Hier allerdings ruft Jesus in eine Versammlung. Als Bild wird der menschliche Körper gewählt: Jesus, der Christus, das Haupt, die von ihm Herausgerufenen als sein Körper. Ein sehr offenes und inklusives Bild ist das, jede und jeder bringe sich ein mit den ihm von GOTT geschenkten Charismen.
Ekklesia einfach mit Kirche zu übersetzen ist durchaus problematisch. Wo geht ein Mensch hin, wenn er oder sie sich heuausgerufen fühlt. Schon als Babys in eine Kirche hinein getauft, eine Konfession, orientierten wir uns dann ganz selbstverständlich zu ihr. Doch heute ist das Wort „Kirche“ so schillernd wie nie. Alle möglichen Ansammlungen von Menschen bezeichnen sich selbst als Kirche. Wir ja auch, hi hi.
Doch wie diese Ansammlungen im Inneren ticken, wofür sie stehen, was für ein Gepäck an Überzeugungen sie aufweisen, da wachsen wir erst dann hinein, wenn wir diesen Kirchen schon beigetreten sind. Viele dieser Gemeinschaften haben sich so fixiert auf eine bestimmte Sicht, dass ein Wachstum im Glauben geradezu unmöglich ist. Der dort angebotene Glaube ist von einem Lehrverständnis abhängig, das „man“ vertiefen kann, veränderbar aber ist es nicht.
Wie heißt eigentlich die Ekklesia, die Herausgerufene, wenn sie sich zu einer Versammlung geformt hat? Sie heißt immer noch Ecclesia! Müsste sie dann nicht vielmehr „fertig“ und „angekommen“ heißen? Ich denke, sie heißt weiterhin Ekklesia damit sie sich nicht zu sehr einrichtet, nicht zu viel Ballast anhäuft, nur leichtes Gepäck, damit sie beweglich bleibt. Der Heraus-Rufer ist ja schließlich ein Wanderprediger.
Ein Letztes will ich zu der Formulierung „Frieden gestiftet am Kreuz durch sein Blut“ im biblischen Text sagen, denn damit wird gerne die Sühneopfer-Theologie angeheizt. Auch so ein Kulturkampf mit der Bibel in der Hand! Dazu möchte ich folgendes anmerken: Blut war im jüdischen Verständnis Leben. Deshalb müssen geschlachtete Tiere ausbluten. Ein blutiges Steak ist keine Option für einen gläubigen Juden.
Jesu Blut steht für Jesu Leben. Jesus hat sein Herzblut der Versöhnung und liebenden Hingabe, aller menschlichen Schuld zum Trotz, aus Gehorsam und Liebe gewidmet in Einheit mit dem, der ihn gesandt hat. Das Blut hat sein Gewicht durch diese Hingabe. Das Kreuz kam hinzu, wurde angenommen, der Gewalt durch Menschen keine Gewalt GOTTES entgegengestellt. Der Spirale der Gewalt ist ein Ende gesetzt, Schalom ist möglich weil seither menschliche Schuld kein Gewicht mehr hat vor GOTT aus purer Gnade! Das ist nicht Sühne (Kein liebender Vater strebt für seinen einzigen Sohn den grausamen Tod am Kreuz an) das ist Hingabe in Einheit, einzigartige nicht zu überbietende Liebe!
GOTT ist gnädig!
Johannes (Brinkmann)
www.johannesbrinkmann.de
* Binär basiert auf der Annahme zweier sich gegenseitig ausschließender, notwendig aufeinander bezogener Gegensätze.