Sonntagsbrief zur Osternacht 31. März 2018
31. März 2018 von Georg Mollberg
Befreiung aus Unterdrückung und Knechtschaft
ER sprach zu Mose: „Warum schreist du zu mir um Hilfe? Gib deinen Leuten den Befehl zum Aufbruch. Du selbst hebe deinen Stab und strecke deinen Arm meerwärts: Spalte das Gewässer. Israel soll trockenen Fußes zwischen den Wassern hindurchgehen. Ich werde die ägyptische Führung derart starrköpfig machen, dass sie den Flüchtlingen nachsetzt. Ich will Pharao und seine ganze Streitmacht, die Kriegswagen samt ihren Besatzungen, meine Macht spüren lassen. Ägypten soll erfahren, dass ICH da bin, denn ich werde ihnen zeigen, wie ich mit Pharao und seinen Truppen umgehe.“ Der Engel Gottes, der sonst den Heerzug Israels anführte, wechselte seine Position und ging jetzt am Schluss. So auch die Wolkensäule, sie war vorne gewesen und stand jetzt hinten, zwischen dem ägyptischen Heerhaufen und den Kolonnen Israels. Die Feuersäule war dunkel, erleuchtete aber trotzdem die Nacht. Die beiden Seiten waren also getrennt, keine konnte sich während der Nacht der anderen nähern. Mose streckte seinen Arm zum Meer hin, da ließ ER einen starken Ostwind kommen, der wehte die ganze Nacht und trieb das Wasser zurück. Die Wasser spalteten sich und der feste Boden kam zum Vorschein. Israel ging trockenen Fußes durch das Meer, das Wasser stand rechts und links von ihnen wie eine Mauer. Die ägyptische Armee setzte ihnen nach, mit aller ihrer königlichen Kavallerie, mit Streitwagen und Elitekriegern jagten sie mitten ins Meer hinein. Als der Morgen anbrach, beobachtete SIE aus der Feuersäule heraus das ägyptische Heer. Sie stiftete eine heillose Verwirrung unter ihnen. Die Räder der Kriegswagen blockierte sie, Hindernisse legte sie in ihren Weg. Da verzweifelten die ägyptischen Soldaten: „Lasst uns vor Israel fliehen, denn ER kämpft auf ihrer Seite gegen Ägypten.“
SIE sagte zu Mose: „Strecke deinen Arm zum Meer hin, damit das Wasser zurückkommt und die ägyptische Armee, ihre Wagen und Krieger, überrollt.“ Mose tat es: Da strömte das Wasser zurück in sein Bett, gerade als der Tag anbrach. Die ägyptische Armee stürzte ihm entgegen, ER trieb sie förmlich in die Fluten hinein. Die Gewässer kehrten zurück und bedeckten Streitwagen, Mannschaften und das ganze Heer Pharaos, das dem Volk Israel ins Meer gefolgt war. Kein Einziger der Verfolger kam mit dem Leben davon. Die Scharen Israels dagegen gingen trockenen Fußes durch das Meer, die Wassermassen standen rechts und links von ihnen wie eine Mauer. So rettete SIE an jenem Tage Israel vor der ägyptischen Macht. Die Geretteten sahen die Leichen der Ägypter am Meeresufer liegen. Da erkannte man in Israel, mit welcher riesigen Gewalt ER Ägypten besiegt hatte. Die Gemeinde gab IHR die Ehre, glaubte an IHN und an Mose, seinen Gefolgsmann.
Zu der Zeit sangen Mose und Israel IHR das folgende Lied:
IHM will ich singen, er überragt alle; Rosse und Reiter warf er ins Meer!
Ex 14,15-15,1 Bibel in gerechter Sprache
2015: Flüchtlingstrecks auf unseren Autobahnen. Rund 3200 Jahre früher am Schilfmeer das gleiche Bild: Hunderte Männer, Frauen und Kinder, Säuglinge und Greise, Kranke und Gebrechliche, bepackt mit wenigen Habseligkeiten folgen ihrem Anführer Mose. Von ihm wussten sie, Gott werde sie aus dem Sklavenhaus Ägypten befreien. Modernste Streitwagen des Pharaos verfolgen die Israeliten. Ein Massaker droht.
Doch es kommt anders! Unterdrückte und Verfolgte aller Zeiten warten darauf: Eine höhere Macht greift ein. Gott scheint auf der Seite der Verfolgten, die Menschen erreichen das rettende Ufer. Nie mehr können die Peiniger wieder Hand an sie legen, Gott hat alle ersäuft.
Brutal! Ein Gott gibt sich als Lebensretter und tötet gleichzeitig alle Unterdrücker. Musste denn das so radikal sein? Aber es geht um etwas anderes: Gott rettet sein Volk, das ist der Tenor des Geschehens. Das wussten auch die Exilanten in Babel. Sie trösteten sich gegenseitig mit dem Wunder am Schilfmeer und schöpften daraus Hoffnung. Bis heute setzt Israel auf Jahwe, der sich in allen Verfolgungen und Ausrottungsversuchen, denen die Juden bis heute ausgesetzt waren und sind, auf die Seite der Schwachen stellt.
Viele Zeitgenossen leben in diktatorischen Systemen, andere leiden unter dem Hochmut, der Sturheit und der Unbarmherzigkeit ihrer religiöser Führer. Ihnen allen gehört diese großartige Rettungsgeschichte: Dem syrischen Flüchtling, wie der Frau, die seit Jahren von ihrem Partner misshandelt wird, den Lohnsklaven, die gegen Hungerlöhne unsere Markenklamotten zusammennähen, den Kindern, die missbraucht und vergewaltigt, zu schwerer Arbeit gezwungen oder als Kindersoldaten zum Morden abgerichtet werden.
Die Erlösungsgeschichte gehört auch den geschiedenen wiederverheirateten Christen, denen die Eucharistie, also der Zugang zu Gott, verwehrt wird, und sie gehört allen katholischen Seelsorgern, denen Gott die Liebe zu einer Frau ins Herz gesenkt hat. Sie alle dürfen sich wünschen, dass der allmächtige Gott sich an ihre Seite stellt und sie befreit.
Ausschließlich auf ein Eingreifen „von oben“ zu warten, hilft Menschen, die unter Unterdrückung leiden, aber nur wenig. Ärzte ohne Grenzen und andere Hilfsorganisationen sind ein Beispiel dafür, wie wir selbst etwas dazu beitragen können, dass den Opfern dieser Welt Gerechtigkeit widerfährt, dass Unterdrückte Befreiung erleben. Wir können der verlängerte Arm des Wüstengottes sein, der sich „Ich-bin-der-der-ich-für-euch-da-sein-werde“ nannte. Amen.
G. Mollberg
Bild: Wie geht es weiter © Sigrid Grabmeier