Sonntagsbrief zur Osternacht, 20. April 2019

20. April 2019 von Anna Röder

Er ist nicht hier: Lasst das Vergangene zurück, bleibt nicht im Tod

Kirchschletten, Abtei Maria Frieden

Der Sabbat war vorüber. Gleich als der Morgen dämmerte, gingen die Frauen zum Grab. Sie brachten die wohlriechenden Öle mit, die sie vorbereitet hatten. Da entdeckten sie, dass der Stein vom Grab weggerollt war. Sie gingen in die Grabkammer. Doch sie konnten den Leichnam von Jesus, dem Herrn, nicht finden. Dann, während sie noch überlegten, was sie von alldem halten sollten – sieh doch: Da traten zwei Männer in leuchtenden Gewändern zu ihnen. Die Frauen erschraken und hielten ihren Blick gesenkt. Die beiden Männer sagten zu ihnen: „Warum sucht ihr den Lebenden bei den Toten? Er ist nicht hier, Gott hat ihn vom Tod auferweckt. Erinnert euch an das, was er zu euch gesagt hat, als er noch in Galiläa war:  ›Der Menschensohn muss ausgeliefert werden in die Hände der Menschen, die voller Schuld sind. Er muss am Kreuz sterben. Aber am dritten Tag wird er vom Tod auferstehen.‹“ Da erinnerten sich die Frauen an das, was Jesus gesagt hatte. Die Frauen kehrten vom Grab zurück und berichteten alles den elf Jüngern und den anderen Anwesenden. Es waren Maria aus Magdala, Johanna, Maria, die Mutter von Jakobus, und noch andere, die zu ihnen gehörten. Die Frauen erzählten den Aposteln, was sie erlebt hatten. Die Apostel hielten ihren Bericht für reine Erfindung und glaubten ihnen nicht. Aber Petrus stand auf und lief zum Grab. Er schaute hinein, sah aber nur die Leinenbinden. So ging er wieder zurück und fragte sich, was da wohl geschehen war. 

Lk 24,1-12 Basis Bibel

 

Er ist nicht hier: Lasst das Vergangene zurück, bleibt nicht im Tod

In einem Roman von Günter Herburger „Jesus in Osaka“(1970) wird folgende Szene beschrieben: Bei einem Verkehrsunfall geht jemand in die am Unfallort gelegene Kirche und ruft :“ He, Jesus, wir brauchen dich! Draußen liegen Verletzte. Komm herunter von deinem Kreuz!“ „Sofort“, sagt Jesus. „Ich muss mir nur noch die Nägel aus Händen und Füßen ziehen.“ Er macht sich vom Kreuz los und steigt herunter. Auf der Straße stillt er die Wunden der Verletzten. Einen Sterbenden belebt er wieder. Die Neugierigen staunen, wie leicht es diesem Menschen aus der Kirche fällt, Verletzten zu helfen. „Jeder kann helfen“, ruft Jesus. „ Ihr müsst nicht staunen, sondern handeln.“ „Jesus!“, rufen alle. Sie heben ihn hoch und tragen ihn in die Kirche zurück. Als sie ihn wieder ans Kreuz hängen wollen, springt er auf den Altar und ruft.“ Ich will nicht mehr ans Kreuz. Ich bin wie ihr. Ich will mich freuen und anderen helfen, die in Not sind.“ Mit einem Sprung steht Jesus zwischen den Zuschauern und geht mit ihnen zusammen in die Kirche. Seitdem wird in den Kirchen wieder gelacht. Auf jeden Fall hängt kein Sterbender mehr am Kreuz. Die Kreuze wurden abgeschafft.-

Halten Sie diese freimütige schriftstellerische Darstellung für eine absurde Vision, einer christlichen Glaubenstradition für unwürdig ? Immerhin geht es ja an Ostern um die Auferstehung, um Auferweckung vom Tod, d e r zentralen Kernbotschaft des christlichen Glaubens! Brauchen wir Christinnen und Christen nicht zwingend das Kreuz, um Tod und Auferstehung als Hoffnung auf ewiges Leben wirklich feiern zu können ???

Ich lese aus dem Evangelienbericht des Lukas zur Osternacht folgenden zentralen Gedanken: Als die ersten Zeuginnen der Auferstehung Jesus gelten die Frauen, an die die fragende Aufforderung gerichtet wird: „Warum sucht ihr den Lebenden bei den Toten ? Er ist nicht hier. Gott hat ihn vom Tod erweckt. Erinnert euch an das, was er zu euch gesagt hat…er muss am Kreuz sterben. Aber am dritten Tag wird er vom Tod auferstehen“. Da erinnerten sich die Frauen an das, was Jesus gesagt hatte.“

Der harte Brocken, dieser schmähliche, brutale, unausweichliche Tod Jesu am Kreuz war eine zutiefst erschütternde, existentielle Krise für die Jünger*innen. All ihre Hoffnungen waren zerstört. Diese römische vollstreckte Todesstrafe der Kreuzigung mußte in ihrer Wahrnehmung als Schande und Schmach empfunden werden, welche die Gegenwart Gottes in Jesus in Frage stellte.

Alle vier Evangelien berichten von der Auferstehung Jesu , wenn auch z.T. widersprüchlich. Eines aber eint die Darstellungen: den Frauen und Männern, die damals einige Zeit lang ihr Leben mit Jesus geteilt haben und mit ihm durch Galiläa und Judäa gewandert waren, haben Jesu Auferstehung als unerklärliches und unfassbares Ereignis erlebt. Diese einzigartigen Zeugnisse dieser Menschen vor Ort in historischer Hinsicht können als Verzweiflung und Not der Jüngerinnen und Jünger verstanden werden, die sich kaum in Worte fassen läßt; die nur durch Bilder und Metaphern zum Ausdruck gebracht werden können. Die Frauen am leeren Grab, wie auch Petrus, die Emmauserzählung, die Schilderungen von Jesu Erscheinen im engsten Kreis der Jünger und Jüngerinnen (hinter verschlossenen Türen!) etc. sind Zeichen dieser speziellen persönlichen Glaubenserfahrungen. Etwas, was man erhofft, ein Überzeugtsein von Dingen, die man nicht sieht, ist eine Frage des Vertrauens, einer inneren Überzeugung oder Gewissheit, ein Hoffen gegen jede Hoffnungslosigkeit. 

Gehen wir zurück zum leeren Grab und zum Ausschnitt aus Günter Herburgers Roman: „Was sucht ihr den Lebenden bei den Toten?“ Man könnte auch formulieren :“Nehmt den Menschen, nehmt d i e Menschen vom Kreuz ! Sucht sie nicht bei den Toten, sondern bei den Lebenden, im Jetzt, in der realen Gegenwart ! Seid, wie Jesus, Erlöser, Erlöserinnen, denn das seid ihr, sind wir alle ! Jesus hatte Frauen und Männer zur Mitarbeit gerufen und sie ausgesandt, um den Ausbruch der Gottesherrschaft zu verkünden, um Kranke zu heilen, Aussätzige rein zu machen, Tote zu erwecken. Sein Heilshandeln soll weitergeführt werden- durch Menschen, die sich dafür in seinen Dienst nehmen lassen ! Aber nicht mit Lippenbekenntnissen, machtgebärdend und in ausbeuterischen Strukturen, Systemen und Hierarchien, sondern vorbildlich und damit zeichenhaft soll erlöstes Menschsein gelebt und bezeugt werden, auch lautstark und anklagend, fordernd ,gegen Fesseln, Unterdrückung, Ausbeutung an Menschen, wenn diese die wahre und eigentliche Freiheit zum Menschsein versperren und blockieren, egal wo. 

Wir werden von den weißgekleideten Gestalten am leeren Grab deshalb weggewiesen und dorthin geschickt, wo wir Jesus aus Nazareth nachfolgen können. Mit anderen Worten: „Den Auferstandenen sieht, wer ihm nachfolgt, wer lebt, wir er lebt, wer auf sein Wort hört und seine Taten fortsetzt“ (Joh 14,18-24). Jesu Tod mündet also in das Leben. Seinen Spuren folgen bedeutet: sein Handeln ist Richtschnur und Maßstab unseren Handelns zum Leben !

Regina Grotefend-Müller

Bild: Wegkreuz, Kirchschletten, Abtei Maria Frieden. Foto Sigrid Grabmeier

Zurück