Sonntagsbrief zumsiebten Sonntag der Osterzeit, 12. Mai 2024

10. Mai 2024 von Sigrid Grabmeier

Das Fest des Loslassens

In diesen Tagen trat Petrus mitten unter den Schwestern und Brüdern auf – es war eine Menge von ungefähr 120 Personen zusammen – und sagte: „Ihr lieben Leute, Schwestern und Brüder, es musste die Schriftstelle ausgeführt werden, die die heilige Geistkraft durch den Mund Davids über Judas vorausgesagt hatte, der denen den Weg wies, die Jesus festnahmen. Er zählte ja zu uns und ihm war Anteil an demselben Auftrag zugefallen. – Es steht nämlich im Buch der Psalmen geschrieben: : Seine Aufgabe soll jemand anderes bekommen. Von den Männern also, die in der ganzen Zeit mit uns zusammen gegangen sind, in der Jesus, der Herr, bei uns ein- und ausging, von der Johannestaufe angefangen bis zum Tag, an dem er uns entzogen und hinaufgenommen wurde – einer von denen muss mit uns Zeuge seiner Auferstehung werden.“ 

Da stellten sie zwei auf, Josef, Barsabbas genannt, der auch Justus hieß, und Matthias. Sie beteten: „Du, Adonaj, kennst aller Menschen Herzen: Zeige doch auf, welchen von diesen beiden du ausgewählt hast, die Stelle dieser Beauftragung als Apostel einzunehmen, von der Judas abgewichen ist, um an den ihm zukommenden Ort zu gehen.“ Da gab man ihnen Lose; und das Los fiel auf Matthias, und so wurde er zu den elf Aposteln hinzugewählt.

Apostelgeschichte 1, 15–17a. 20 a,c–25 Bibel in gerechter Sprache

 

Das Fest des Loslassens

Die Nachwahl eines neuen Mitglieds des Zwölferkreises folgt in der Apostelgeschichte unmittelbar auf die Himmelfahrt des Auferstandenen und liegt vor dem Pfingstereignis.

  

Auf Gemälden alter Meister können wir an der „Abflugstelle“ des Auferstandenen häufig die Fußspuren sehen, die er hinterlassen hat. Zum einen wird damit verdeutlicht, dass der „wahrhaft Auferstandene“ eben nicht nur ein Geist war, sondern tatsächlich gegenwärtig war, aber auch im übertragenen Sinne, dass er Spuren hinterlassen hat. Der Auferstandene ist ebensowenig spurlos verschwunden wie der, der – nach einer qualvollen Hinrichtung – gestorben ist und begraben wurde.

  

Die Botschaft, dass Jesus lebt, dass der Tod eben nicht sein Ende bedeutete, hat die Apostel aufgerüttelt, wiewohl sie weiter trauerten. Erst der zweite Abschied jedoch ist die Voraussetzung für die Freisetzung neuer Energie. Für die Jünger begann nach diesem zweiten Abschied eine Phase der Neuorganisation. 

 

Auch wir haben solche Erfahrungen. Wenn ein Mensch, der mit uns sein Leben geteilt hat uns verlässt, wenn Lebenswege auseinandergehen, wenn der geliebte Partner stirbt. Je nach Intensität der Beziehung und der Art Trennung können uns solche Ereignisse aus der Bahn werden, uns lebens-untüchtig machen, in tiefe Depression stürzen – wie die Apostel, die sich nach dem Tod Jesu erst einmal verkrochen haben.

 

Was bedeutet Himmelfahrt heute für uns? Die Reihenfolge, wie sie im Glaubensbekenntnis aufgezählt wird, Tod – Auferstehen – Auffahren, kann, so denke ich, auch für uns eine Hilfe, ein Weg sein, wenn wir trauern. Der Tod eines Menschen (einer Beziehung) füllt uns mit unmittelbarem Abschiedsschmerz. Lässt uns weinen, verzweifelt nach dem Warum fragen. Das Ritual des Abschieds bei einer Beerdigung schafft den Rahmen für Anteilnahme, Gemeinschaft und das Erfahren von Zuspruch. Das erinnernde Sprechen über Verstorbene lindert die Trauer, tröstet, lässt Dankbarkeit zu. 

 

Was aber hat es mit der Himmelfahrt auf sich? Für mich ist es der Akt des Loslassens. Oft in unserem Leben haben wir Gelegenheit, dieses Loslassen zu üben. Aber das endgültige Loslassen eines geliebten Menschen ist noch einmal besonders einschneidend. Vielleicht fällt es uns leichter, wenn wir uns vorstellen, dass wir die Seele eines anderen nicht festhalten können. Das Loslassen, es geschieht wohl bei jedem Menschen unterschiedlich, es kann sich über Jahre hinziehen, es kann mit einem bestimmten Erlebnis verbunden sein. Es bedeutet ja nicht, dass wir die von uns Gegangenen vergessen. Es bedeutet dass auch wir, die wir „zurück“ geblieben sind, neue „Freiheiten“ gewinnen, dass wir uns neu aufstellen können. 

 

Nächste Woche feiern wir das Pfingstfest. Auch ein Fest, dass sozusagen programmatisch in unserem Leben immer wieder stattfindet. Ostern, das Fest des Aufstands der Vorausgegangenen. Pfingsten das Fest des Aufstands der Lebenden.

 

Sigrid Grabmeier

 

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