Sonntagsbrief zum zweiten Sonntag der Osterzeit, 7. April 2024

5. April 2024 von Brigitte Karpstein

Verpasste Gelegenheit!?

Am Abend dieses ersten Tages nach dem Sabbat, als die Jüngerinnen und Jünger hinter geschlossenen Türen saßen aus Angst vor der jüdischen Obrigkeit, da kam Jesus, trat in ihre Mitte und sagte zu ihnen: „Friede sei mit euch!“ Als er das gesagt hatte, zeigte er ihnen die Hände und die Seite. Da freuten sich die Jüngerinnen und Jünger, dass sie Jesus den Lebendigen sahen. Jesus sagte noch einmal zu ihnen: „Friede sei mit euch! Wie mich Gott gesandt hat, so sende ich euch.“ Und als er das gesagt hatte, blies er sie an und sagte ihnen: „Nehmt die heilige Geistkraft auf. Allen, denen ihr Unrecht vergebt, ist es vergeben. Allen, denen ihr dies verweigert, bleibt es.“

Aber Thomas, einer der Zwölf, der Didymos oder Zwilling genannt wurde, war nicht bei ihnen, als Jesus kam. Die anderen Jüngerinnen und Jünger sagten zu ihm: „Wir haben Jesus den Lebendigen gesehen.“ Er aber sagte zu ihnen: „Wenn ich nicht die Wunden der Nägel in seinen Händen sehe und meinen Finger in die Nägelwunden lege und mit meiner Hand in seine Seite greife, dann werde ich nicht glauben.“ Nach einer Woche saßen die Jüngerinnen und Jünger wieder drinnen und Thomas war bei ihnen. Jesus kam – die Türen waren verschlossen – und trat in ihre Mitte und sagte: „Friede sei mit euch!“ Dann sagte er zu Thomas: „Lege deinen Finger hierher und sieh meine Hände an und nimm deine Hand und greife in meine Seite und sei nicht ungläubig, sondern gläubig!“ Thomas antwortete und sagte zu ihm: „Ich verehre dich und will dir gehorchen, du bist der Lebendige, mein Gott!“ Jesus sagte zu ihm: „Weil du mich gesehen hast, glaubst du. Glücklich sind, die nicht sehen und trotzdem glauben.“

Jesus tat noch viele andere Wunderzeichen vor seinen Jüngerinnen und Jüngern, die nicht in diesem Buch aufgeschrieben sind.“

Joh 20,19-30 Bibel in gerechter Sprache 

 

Verpasste Gelegenheit!? 

 

Ein Freund, der auch die gleiche Stimme wie dieser hat, verehrt den Popsänger Sting, und sein größter Wunsch war es, ihm einmal zu begegnen. Als sich der Freund einmal in Brasilien aufhielt, sah er einen kleinen Menschenauflauf, konnte aber nicht dorthin gehen. Hinterher erfuhr er, dass dort gerade „sein“ Sting war. Die Enttäuschung war groß. „Das darf doch nicht wahr sein, diese Gelegenheit ist unwiederbringlich!“

 

Wir alle kennen das Gefühl, wenn wir etwas absolut Wichtiges verpasst haben, wo es keine Wiederholung geben kann. Da hilft kein „Es ist vorbei, hab eben Pech gehabt“, es nagt, ärgert und schließlich bleibt nichts anderes übrig, als es zu akzeptieren. 

 

Ähnlich ist es, wenn man von Freunden von einem ganz besonderen, nie dagewesenen, unglaublichen Ereignis erzählt bekommt, das sie erlebt haben. Heute können wir fragen: „Das ist ja unglaublich, Habt Ihr ein Foto gemacht?“ 

 

Davon erzählt das Evangelium vom ungläubigen Thomas. Sein Name ist abgeleitet aus dem Aramäischen Taám, griechisch Didimus.- Welch unterschiedliche Menschen hat sich Jesus da zusammengesucht: Judas, der ihn verrät, Petrus, der ihn aus Angst dreimal verleugnet und die Jünger, die am Ölberg einschlafen, und bei der Kreuzigung sind alle, außer Johannes, verschwunden. Und dann diesen Thomas, der uns eigentlich doch so ähnlich ist wie ein Zwilling. 

 

Dass der gerade erst gekreuzigte Jesus als Auferstandener seinen Freunden erschienen sein soll, wovon er doch zu irdischen Lebzeiten gesprochen hat, ist für ihn nicht denkbar, selbst wenn es seine Freunde erzählen, denen er doch vertrauen, glauben könnte. Er schämt er sich nicht vor ihnen und versteckt seine Zweifel nicht, sondern steht dazu, es ist eben seine Art. Er fragt noch nicht einmal nach, wie es genau war, sondern er stellt Bedingungen für sein Glauben, die letztlich an Jesus adressiert sind. Seine Freunde sind nicht empört, denn auch sie müssen erst zum festen Glauben an die Auferstehung kommen. Warum verstecken sie sich und schotten sich bei ihrem Treffen nach acht Tagen immer noch im verschlossenen Raum ängstlich ab? 

 

Thomas rechnet damit, dass Jesus auf seine Sehnsucht und seine Forderungen eingeht, denn beim Treffen am nächsten „Sonntag“ ist er mit dabei. Thomas lebt seinen Typ, der nur glaubt, was er sieht und anfassen kann und basta, ganz lapidar aus. Er will handfeste Beweise, und er formuliert klar, kurz und bündig, was er braucht. Bisher hatte der Glaube den Menschen geholfen, heil zu werden. Für Thomas muss erst die direkte Begegnung mit dem Geschundenen, nun Auferstandenen stattfinden, um aus dem Unglauben herauszukommen. Alles ist möglich.

 

Eigentlich ist er schon ein bisschen dreist. Aber Jesus ist die Beziehung, die Freundschaft und Liebe zu Thomas so wichtig, dass er auf dessen Probleme eingeht und sich wieder zeigt. Er hat keinen Körper mehr, sondern einen Leib, der ganz anders ist, aber sichtbar und er durchbricht die verschlossenen Türen ihres Schutzraumes und tritt in ihre Mitte, er will mittendrin sein in ihrem Leben, im Alltag. Und es geht ihm ausdrücklich um seinen Frieden – ein zentraler, wichtiger Bestandteil seiner Botschaft und Sendung. Diese wurde von den religiösen Machthabern nicht verstanden, sogar abgelehnt, und er wurde Opfer von Unglauben, Unverstand, Verblendung, Machtansprüchen, Hass, Ungerechtigkeit. 

 

Liebevoll fordert Jesus Thomas auf zu tun, was dieser verlangt hat: er soll aktiv werden und die Hand auf ihn hin ausstrecken, denn Jesus nimmt den Skeptischen, Zweifelnden, Glaubenslosen ernst, der etwas existenziell Wichtiges verpasst hat. Zweifel und Unglauben dürfen also sein, sie gehören zum Leben. Sie sind keine Hindernisse für den Glauben, sondern ermöglichen ihn, wenn man sich darum bemüht. 

 

Aber darum kommt Thomas nicht herum: Jesus fordert ihn deutlich und klar auf, in Zukunft gläubig zu sein; das wirkt. Sofort bekennt Thomas wie Maria Magdalena bei der Begegnung mit dem Auferstandenen am Grab: „Mein Herr undmein Meister!“ Das sitzt. In späterer Zeit wird er zu einem bedeutsamen Glaubensverkünder in Indien.

 

Jesus zeigt sich mit seinen Wunden, sie gehören ganz wesentlich zu ihm und gehen mit ins neue Leben, dort zählt makellose Schönheit nicht. Auch wir haben Verletzungen, Wunden und dies verbindet uns mit Jesus. Er kennt aus eigener Erfahrung die Schmerzen, Qualen, die wir durch andere erlitten haben. Seine Wunden und Qualen hatten und haben einen Sinn, sie führen durch das Begreifen zum Glauben und führen zu neuen Perspektiven. 

 

Und nun kommen auch wir ins Spiel, die nicht die Gelegenheit wie Thomas bekommen, uns durch das Anfassen der Wunden und der Seite Gewissheit zu verschaffen, sondern durch die Zeugen zum Glauben zu kommen, die uns erzählen: „Wir haben ihn gesehen und erfahren.“ Dafür preist uns Jesus selig.

 

Er meint aber auch noch etwas anderes: Wie oft blicken wir nicht durch, sitzen im Dunkeln, sehen kein Licht am Ende des Tunnels, erkennen nicht, was gerade dran ist. Das haben viele, auch Heilige, z. B. Mutter Teresa, ihr Leben lang erlebt. Wie oft würden wir gerne die Nähe Jesu erfahren und spüren. Wie gerne würden wir auch einmal so etwas erleben wie Thomas. Wenn wir jedoch in diesen Situationen am Glauben festhalten, sind und werden wir selig. Wir dürfen unsere Enttäuschung, unseren Ärger, unsere Sehnsucht nach ihm formulieren und auch Forderungen stellen, denn da sind wir aktiv und strecken unsere Hand nach Jesus aus. 

 

Den wir suchen, der sucht auch uns – auf. Er ist mitten unter uns, „wenn zwei oder drei in seinem Namen versammelt sind“ und einander zuhören, miteinander über seine Botschaft, den Glauben, die Zweifel, Ängste, Wünsche sprechen, miteinander leben, sich helfen und helfen lassen, die gemeinsam Eucharistie feiern und merken, dass sie sich gestärkt, motiviert und nicht allein fühlen. Er ist da, wenn wir die Wunden anderer wahrnehmen, sie begreifen, uns um sie kümmern, wenn wir unsere eigenen Wunden durch die Verbindung mit dem Auferstandenen in einem anderen Licht sehen und uns verwandeln lassen. 

 

Jesus sucht uns und stärkt unseren Glauben, damit wir mit Thomas, unserem Zwilling, bekennen: "Mein Herr und mein Gott." und diesen als den Auferstandenen verkünden können. 

 

Eine gesegnete Osterzeit, bis wir an Pfingsten begeistert sind.

 

Brigitte Karpstein, Sinzig

 

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