Sonntagsbrief zum vierten Sonntag in der Fastenzeit, 26. März 2017

25. März 2017 von Sigrid Grabmeier

…damit uns nicht Hören und Sehen vergeht...

…damit uns nicht Hören und Sehen vergeht...

Karikatur, 230317, Klimawandel ©Gerhard Mester

Im Vorübergehen sah er einen Menschen, der von Geburt an blind war. Und seine Jüngerinnen und Jünger fragten ihn und sagten: „Rabbi, wer hat Unrecht getan: Dieser oder seine Eltern, dass er blind geboren wurde?“ Jesus antwortete: „Weder hat dieser Unrecht getan noch seine Eltern, sondern die Werke Gottes sollen an ihm sichtbar werden. Wir müssen die Werke Gottes tun, solange es Tag ist; es kommt die Nacht, wo niemand wirken kann. Wenn ich in der Welt bin, bin ich Licht der Welt.“ Als er dies gesagt hatte, spuckte er auf die Erde und machte einen Brei aus der Spucke und strich ihm den Brei auf die Augen und sagte ihm: „Geh, wasche dich im Teich Schiloach!“ – was übersetzt `Gesandter´ heißt. Er ging also weg und wusch sich und kam sehend zurück.

Die Nachbarschaft nun und die, die ihn früher gesehen hatten, als er bettelte, sagten: „Ist dieser nicht der, der dasaß und bettelte?“ Einige sagten: „Er ist es.“ Andere sagten: „Nein, aber er ist ihm ähnlich.“ Jener sagte: „Ich bin es.“ Da fragten sie ihn: „Wie sind denn deine Augen geöffnet worden?“ Jener antwortete: „Der Mensch, der Jesus heißt, hat einen Brei gemacht und mir auf die Augen gestrichen und mir gesagt: `Geh zum Schiloachteich und wasche dich´ ; ich ging also und wusch mich und wurde sehend.“ Und sie sagten ihm: „Wo ist jener?“ Er sagte: „Ich weiß es nicht.“

Sie brachten ihn – den ehemals Blinden – zu den Pharisäerinnen und Pharisäern. Es war Sabbat an dem Tag, als Jesus den Brei gemacht und seine Augen geöffnet hatte. Nochmals fragten ihn auch die Pharisäerinnen und Pharisäer, wie er sehend geworden sei. Er sagte ihnen: „Er tat mir einen Brei auf die Augen und ich wusch mich und ich sehe.“ 

Einige von der pharisäischen Partei sagten daraufhin: „Dieser ist kein Mensch von Gott, denn er hält den Sabbat nicht.“ Andere aber sagten: „Wie kann ein Mensch, der fern von Gott ist, solche Wunderzeichen vollbringen?“ Es entstand eine Spaltung unter ihnen. Da sagten sie wiederum zu dem Blinden: „Was sagst du über ihn, dass er dir die Augen geöffnet hat?“ Er sagte: „Er ist ein Prophet.“

Die anderen jüdischen Menschen nun glaubten nicht von ihm, dass er blind gewesen sei und sehend wurde, bis sie die Eltern des sehend Gewordenen riefen und sie fragten und sagten: „Ist dies euer Kind, von dem ihr sagt, dass es blind geboren wurde? Wieso sieht er jetzt? “Seine Eltern antworteten und sagten: „Wir wissen, dass dies unser Kind ist und dass es blind geboren wurde. Wieso er jetzt sehen kann, wissen wir nicht, und wer ihm die Augen geöffnet hat, wissen wir auch nicht. Fragt ihn, er ist erwachsen, er kann selbst über sich reden.“ Dies sagten seine Eltern, weil sie die jüdische Obrigkeit fürchteten; denn schon hatte die jüdische Obrigkeit beschlossen, alle, die bekennen würden, dass er der Messias sei, aus der Synagoge auszuschließen. Deshalb sagten seine Eltern: „Er ist erwachsen, fragt ihn.“

Da riefen sie den Menschen, der blind gewesen war, zum zweiten Mal und sagten ihm: „Gib Gott die Ehre! Wir wissen, dass dieser Mensch jemand ist, der Unrecht tut.“ Jener antwortete: „Ob er jemand ist, der Unrecht tut, weiß ich nicht; eins weiß ich: Ich war blind und jetzt sehe ich.“ Sie sagten ihm: „Was hat er mit dir gemacht? Wie hat er deine Augen geöffnet?“ Er antwortete ihnen: „Ich habe es euch schon gesagt und ihr habt nicht zugehört. Was wollt ihr nochmals hören? Wollt vielleicht auch ihr seine Jüngerinnen und Jünger werden?“ Da beschimpften sie ihn und sagten: „Du bist ein Jünger von jenem, wir aber sind Jüngerinnen und Jünger des Mose. Wir wissen, dass durch Mose Gott gesprochen hat, von diesem aber wissen wir nicht, woher er ist.“ Der Mensch antwortete und sagte ihnen: „Darin liegt gerade das Wunderbare, dass ihr nicht wisst, woher er ist, und meine Augen hat er geöffnet. Wir wissen, dass Gott einen Menschen, der Unrecht tut, nicht hört; aber wenn ein Mensch gottesfürchtig ist und den Willen Gottes tut, so hört Gott ihn. Von Urzeiten her ist niemals gehört worden, dass ein Mensch einem Blindgeborenen die Augen geöffnet hätte. Wenn dieser nicht von Gott wäre, hätte er nichts tun können.“ Sie antworteten und sagten ihm: „Du bist ganz und gar in Unrecht geboren und du willst uns belehren?“ Und sie warfen ihn hinaus.

Jesus hörte, dass sie ihn hinausgeworfen hatten, fand ihn und sagte: „Glaubst du an den erwählten Menschen?“ Jener antwortete und sagte: „Und wer ist es, Rabbi, dass ich an ihn glaube?“ Jesus sagte ihm: „Der, den du gesehen hast und der mit dir redet, der ist es.“ Er sagte: „Ich glaube und gehöre zu dir!“ Und er fiel vor ihm nieder. Jesus sagte: „Ich bin zum Gericht in diese Welt gekommen, damit die, die nicht sehen, anfangen zu sehen, die Sehenden aber blind werden.“ Dies hörten einige von den Pharisäerinnen und Pharisäern, die mit ihm waren, und sie sagten ihm: „Sind etwa auch wir blind?“ Jesus sagte ihnen: „Wenn ihr blind wärt, wärt ihr nicht im Unrecht. Nun aber sagt ihr: `Wir sehen´ : Euer Unrecht bleibt.“

Joh. 9
Bibel in gerechter Sprache

Besonders fasziniert hat mich am heutigen Evangeliumstext die Situation, in der die Pharisäer den Geheilten zum zweiten Mal in die Mangel nehmen. Da werden die menschlichen Bewältigungsprozesse aufgezeigt, wenn es um das Annehmen von Botschaften geht. Es geht also nicht nur ums Sehen, auch ums Hören, vor allem aber ums Erkennen und Verstehen – und ums Wahr-haben-Wollen. Zahlreiche Parallelstellen lassen sich in der Bibel finden, die das Thema Sehen und Hören, Wahrnehmen, Erkennen und Verstehen in verwandter Weise beinhalten. -

Sie können und wollen es einfach nicht fassen: Der, den sie für sündig und bestraft halten, der wird von einem, dem die Menschen wichtiger sind als der Sabbat, geheilt. „Ich habe es euch schon gesagt und ihr habt nicht zugehört.“ - Doch, die Pharisäer haben schon zugehört, und einige haben sich vom Gehörten wohl auch beeindrucken lassen. Die anderen aber haben auf stur gestellt. Das was sie gehört haben, das wollten sie nicht hören, denn es passte nicht in ihr Weltbild. - Zusammen mit den vielen anderen Textstellen zum gleichen Thema ein Hinweis darauf, dass das wohl ein zutiefst menschliches Problem ist. Auch im Koran wird das übrigens ähnlich zum Ausdruck gebracht.

Wir erleben doch beides in allen möglichen Abstufungen: dass wir etwas vermitteln wollen, bei anderen aber weder Wahrnehmung, Gehör und Einsicht finden, oder dass wir selbst auf stur stellen. Nur, das wird uns weniger bewusst. Vielleicht erst im Nachhinein. Um so dankbarer müssen wir denen sein, die sich nicht mundtot machen lassen, die dran bleiben und weiter unbequem hinweisen auf Missstände Konsequenzen. Propheten heute?

Ich erinnere mich daran, als die „Grünen“ anfingen und mit ihren Forderungen gegen Atomkraft, Umweltverschutzung und für Nachhaltigkeit in der Produktion von industriellen und landwirtschaftlichen Produkten die ökologische Bewegung in Deutschland auf parteipolitische Füße stellten. Sie wurden damals als Spinner abgetan. Aber ihre Forderungen wurden nach und nach ernst genommen und einige konnten durchgesetzt werden bis hin zum Atomausstieg der Bundesrepublik. -

Wir wissen heute mehr denn je wie eng die Verknüpfung zwischen Ökonomie und Ökologie ist, zwischen nachhaltigem Wirtschaften und sozialer Gerechtigkeit, zwischen guten Lebensgrundlagen und Frieden. - Papst Franziskus hat das in seiner Enzyklika „Laudato si“ eindrücklich und umfassend dargestellt.

Und trotzdem: immer noch und immer wieder setzen wir in unseren reichen westlichen Gesellschaften mit unserem Lebensstil, mit dem Wirtschaften und dem Leben auf Kosten anderer das Gleichgewicht, die heilige Ordnung der Schöpfung auf´s Spiel. - Jesaja beschreibt das vor über 2500 Jahren so:

Aber das Übrige machen sie zum Gott, damit es ihr Götzenbild sei, sie beten es an und fallen vor ihm nieder, beten zu ihm und sprechen:„Rette mich, denn du bist mein Gott!“ Sie erkennen nicht und verstehen nicht, denn ihre Augen sind verklebt, damit sie nicht sehen und ihre Herzen keine Einsicht haben. In ihren Herzen kehren sie nicht um, sie haben weder Verstand noch Einsicht. (Jes 44,17-19a)

 Die österliche Bußzeit: Zeit zum Hinschauen und Hinhören – Zeit zur Einsicht - Zeit zum Umkehren - Zeit für Nachhaltigkeit – damit uns nicht Hören und Sehen vergeht.

Ich wünsche allen einen gesegneten, nachhaltigen Sonntag,
Sigrid Grabmeier

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