Sonntagsbrief zum vierten Sonntag der Osterzeit, 21. April 2024

19. April 2024 von Magnus Lux

Der gute Hirt

Ich bin der gute Hirt. Der gute Hirt gibt sein Leben hin für die Schafe.  Der bezahlte Knecht aber, der nicht Hirt ist und dem die Schafe nicht gehören, sieht den Wolf kommen, lässt die Schafe im Stich und flieht; und der Wolf reißt sie und zerstreut sie. Er flieht,  weil er nur ein bezahlter Knecht ist und ihm an den Schafen nichts liegt. Ich bin der gute Hirt; ich kenne die Meinen und die Meinen kennen mich,  wie mich der Vater kennt und ich den Vater kenne; und ich gebe mein Leben hin für die Schafe.
Ich habe noch andere Schafe, die nicht aus diesem Stall sind; auch sie muss ich führen und sie werden auf meine Stimme hören; dann wird es nur eine Herde geben und einen Hirten. Deshalb liebt mich der Vater, weil ich mein Leben hingebe, um es wieder zu nehmen. Niemand entreißt es mir, sondern ich gebe es von mir aus hin. Ich habe Macht, es hinzugeben, und ich habe Macht, es wieder zu nehmen. Diesen Auftrag habe ich von meinem Vater empfangen.

Joh 10, 11-18 Einheitsübersetzung 

 

 

Der gute Hirt

Der gute Hirt – was fangen wir mit diesem Bild heute an? Vor unserem inneren Auge erscheinen süßliche Bilder im Nazarener-Stil. Und selbst wenn wir an das ansprechende Bild von Sieger Köder denken: Wir kennen Hirten mit ihren Schafen bestenfalls aus Fernsehberichten oder sehen sie im Herbst von Weitem, wenn sie über die abgemähten Wiesen ziehen.

Der gute Hirt – irgendwie kommt uns der Begriff „Hirt“ doch noch bekannt vor: ach ja, aus Liedern wie „Mein Hirt ist Gott der Herr…“. Das hilf uns aber auch nicht weiter. Und dann fällt uns das Wort „Pastor“ ein: das heißt ja „Hirte“! Pastor ist der Berufstitel für Geistliche im kirchlichen Dienst, nicht nur evangelisch, sondern auch katholisch. Die Nicht-Kleriker sind dann Mitarbeitende im pastoralen Dienst, Pastoralreferent*innen z.B. – ganz wichtig: Mitarbeitende, nicht zu verwechseln mit den echten Herren Pastoren! Und dann ein Titel, der immer noch geläufig ist: der Bischof als Oberhirte. Das hat schon ein Gschmäckle: Christus der Hirte – der Bischof der Ober-Hirte. Und so fühlen sich manche bis heute: über den Hirten und natürlich weit über den Schafen stehend, bisweilen auch über dem Wort des Evangeliums. Das gilt vor allem für die Obersten Hirten in Rom: Sie würden ja durchaus mit den bischöflichen Präsidenten des Synodalen Wegs reden, aber sie finden es unter ihrer Würde, mit der „Laien“-Präsidentin und dem „Laien“-Präsidenten zu sprechen. Jesus habe schließlich klare Anordnungen gegeben, gibt man wohl vor, er habe Petrus den Auftrag gegeben: Weide meine Schafe! Und jetzt weigern sich die Schafe, Schafe zu sein und den Anordnungen zu gehorchen! Habt ihr vergessen, ihr Herren, dass Jesus, der Christus sagt: Weide meine Schafe?

Der gute Hirt – er unterscheidet sich vom bezahlten Knecht, dem die Schafe nicht gehören und dem an den Schafen nichts liegt. Sicher gibt es viele Priester und Bischöfe, die dem guten Hirten ehrlich und mit ganzem Herzen nacheifern. Doch es gibt auch die, die sich mit diesem Titel schmücken und sich über die Niederungen in der Kirche erhaben und sich ohne ihr Priester-Outfit nicht behaglich fühlen, die ohne ihr bischöfliches Zubehör quasi nackt sind. Was geht wohl in deren Köpfen vor, wenn sie lesen: Einer ist euer Meister, ihr alle seid Brüder und Schwestern? Was denken sie wohl, wenn sie die Forderung von Paulus hören: Benehmt euch nicht wie die Herren, sondern wie die Diener der Freude? Wie fühlen sie sich, wenn ihnen der Herr und Meister sagt: Der Menschensohn ist nicht gekommen, um sich bedienen zu lassen, sondern um zu dienen? Ich gestehe: Wenn ich die lange Liste mit den vielen Titeln der selbsternannten Herren in der Kirche lese, dann graust es mir und es kommt mir in den Sinn: Sind das alles „bezahlte Knechte“, denen an den Schafen nichts liegt?

Jetzt fragt ihr mich: Wo steckt hier die „Frohe Botschaft“ für uns heute? Da ist sie, die frohe Botschaft: „Ich bin der gute Hirt.“ Und weiter: „Ich kenne die Meinen und die Meinen kennen mich.“ Wir sind auf den Namen des Christus getauft, wir sind gefirmt, d.h. gestärkt durch Gottes heilige Geistkraft, wir sind aufgerufen, die frohe Botschaft vom Reich Gottes zu hören, zu leben und zu verkünden. Wir lassen uns ansprechen von den Worten und Taten des Mannes aus Nazaret, den wir als den Christus bekennen, sie sind uns hier und heute wichtig. Wir halten den mitten unter den Menschen lebenden und handelnden Jesus für unseren Maßstab, nicht das, was selbstherrliche Kirchenfürsten in Dogmatik und Kirchenrecht aus ihm gemacht haben, oft genug, um ihre eigene Bedeutsamkeit zu erhöhen. Erinnert ihr euch? Beim Tod am Kreuz riss der Vorhang des Tempels mitten entzwei, der Vorhang, der das Allerheiligste vom allgemein zugänglichen Tempel trennte. Nun hat jeder und jede unmittelbar Zugang zu Gott. Die Trennung des Volkes Gottes in privilegierte Priester und unmündiges Volk ist mit Jesus passé.

Und die Freude, dass der gute Hirte für die da ist, die ihn kennen, wird noch übertroffen: „Ich habe noch andere Schafe, die nicht aus diesem Stall sind; auch sie muss ich führen und sie werden auf meine Stimme hören.“ Damit sind nicht die Evangelischen gemeint, denen Benedikt das Kirche-Sein abgesprochen hat. Damit sind nicht die Orthodoxen gemeint, die als Schismatiker gelten. Damit sind nicht die christlichen Sekten gemeint, die sich abgespaltet haben. Denn sie alle gehören ja zu dem einen Schafstall Christenheit. Karl Rahner hat von den „anonymen Christen“ gesprochen, von Menschen also, die das Christsein verwirklichen, indem sie das Menschsein verwirklichen. „Anima humana naturaliter christiana“ sagt schon Tertullian um das Jahr 200. Wer wirklich „Mensch“ ist und menschlich handelt, der handelt christlich, der handelt im Sinne Gottes, so wie ihn der Mann aus Nazaret gesehen und verkündet hat. Gehen wir also auf alle Menschen als unsere Schwestern und Brüder zu, gleich ob Jüdin und Jude, Muslima und Moslem usw. – oder Atheistin und Atheist, denen der Weg zu einem Bekenntnis Gottes vielleicht durch unsere Gleichgültigkeit oder durch unsere Rechthaberei versperrt ist; denn für alle ist Christus „der gute Hirt“.

Magnus Lux

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