Sonntagsbrief zum Sonntag nach Pfingsten, 16. Juni 2019

14. Juni 2019 von Sigrid Grabmeier

Am Anfang war die Weisheit

Eibsee; Dorothea Grabmeier

Die EWIGE schuf mich zu Beginn ihrer Wege,
als Erstes all ihrer Werke von jeher.
Gewoben wurde ich in der Vorzeit;
zu Urbeginn, vor dem Anfang der Welt.

Bevor es das Urmeer gab, wurde ich geboren.
Bevor die Quellen waren, von Wasser schwer.

Bevor die Berge verankert wurden, vor den Hügeln wurde ich geboren.
Noch hatte sie weder Erde noch Felder erschaffen
oder den ersten Staub des Festlands.

Am Anfang war die Weisheit
und die Weisheit war bei Gott
und die Weisheit war wie Gott.
Diese war am Anfang bei Gott.
Alles ist durch sie entstanden
und ohne sie ist nichts entstanden.

Als sie den Himmel ausspannte, war ich dabei,
als sie den Erdkreis auf dem Urmeer absteckte,
als sie die Wolken oben befestigte,
als die Quellen des Urmeers kräftig waren,
als sie das Meer begrenzte, damit das Wasser ihren Befehl nicht überträte,
als sie die Fundamente der Erde einsenkte:
Da war ich der Liebling an ihrer Seite.

Was in ihr entstanden ist, war Leben,
und das Leben war das Licht für die Menschen.
Und das Licht scheint in der Finsternis,
aber die Finsternis hat es nicht aufgenommen.

Die Freude war ich Tag für Tag und spielte die ganze Zeit vor ihr.
Ich spielte auf ihrer Erde und hatte meine Freude an den Menschen.

Die Weisheit war das wahre Licht,
das allen Menschen leuchtet, die in die Welt kommen.
Sie war in der Welt,
und die Welt ist durch sie entstanden,
aber die Welt hat sie nicht erkannt.
In das ihr Eigene kam sie,
aber die Ihrigen haben sie nicht aufgenommen.
Allen denen aber, die sie angenommen haben,
denen gab sie Vollmacht, Kinder Gottes zu werden.

Nun, Töchter und Söhne, hört auf mich:
Glücklich können sich alle schätzen, die auf meinen Wegen gehen.
Hört auf die Ermahnungen und werdet weise; gebt nicht auf!

Spr. 8, 22-34 ; Joh 1, 1-5; 9-12a  Bibel in gerechter Sprache

Am Anfang war die Weisheit

Mit der Verschränkung von zwei Texten, der heutigen 1. Lesung aus dem Buch der Sprichwörter und dem Prolog des Johannesevangeliums, der heute nicht auf dem Leseplan steht, hab ich versucht, ihre enge Beziehung zueinander zu beleuchten. Die Bibel in gerechter Sprache benutzt anstelle des uns gewohnten „Das Wort“ den Begriff Weisheit. Die beiden Übersetzerinnen diese Buches erläutern dies folgendermaßen: „In der ›Bibel in gerechter Sprache‹ wird logos an dieser Stelle mit ›Weisheit‹ übersetzt. Dieser Begriff ist (anders als ›Wort‹) als eine abstrakt bezeichnete göttliche Gestalt in jüdischer Tradition und auch in der Bibel selbst eingeführt, also für die Lesenden zugänglich. (Vgl. z.B. Spr 8; Sir 24.) Die sehr ähnliche Verwendung von logos und sophia bei Philo sowie die deutliche Verbindung des Johannesprologs zu Weisheitstraditionen zeigt, dass beide Begriffe in dieser sehr spezifischen Verwendung nahe beieinander liegen.“ ( Judith Hartenstein, Silke Petersen )

 Die Weisheit stellt sich im 8. Kapitel selbst vor, nachdem sie in vorhergegangenen Kapiteln vor allem Ratschläge für ein gutes, gottgefälliges Leben gegeben hat. In den vorweg gehenden Versen beschreibt sie den Nutzen für die Menschen, wenn sie sich an sie halten und gerecht und ehrlich leben:

Ich bin die Weisheit und wohne bei der Klugheit;
kluge Pläne entwickle ich.
Die EWIGE zu ehren und zu achten heißt, das Böse zu hassen.
Stolz,Überheblichkeit, Bösartigkeit und scheinheiliges Reden hasse ich.

Ich liebe, die mich lieben; wer nach mir sucht, findet mich sicherlich.
Reichtum und Ansehen sind bei mir,
beträchtlicher Besitz und Gerechtigkeit.

Auf dem Weg der Gerechtigkeit gehe ich,
mitten auf den Wegen des Rechts.
Mit denen, die mich lieben, teile ich den Besitz,
und ihre Vorratsräume fülle ich.

Spr 8, 2; 13; 17-18; 20-21

Das Kapitel endet mit den folgenden Sätzen, die die Konsequenzen aus der Nichtbeachtung ihres Rates aufzeigen:

Glücklich können sich alle schätzen, die auf mich hören,
die Tag für Tag meine Türen bewachen und meine Türpfosten hüten.
Denn wer mich findet, hat Leben gefunden
und wird von der EWIGEN Freude erhalten.
Wer mich verfehlt, fügt sich selbst Gewalt zu.
Alle, die mich hassen, lieben den Tod.

Spr 8,34-36

Für mich erschließen die beiden Texte eine weitere Annäherung sowohl an das Wirken des Göttlichen als auch an die Person Jesu. Ich begreif ihn als einen, in dem sich die göttliche Weisheit in Vollendung verwirklich hat, im dem sie Person wurde.

Besonders ermutigendan der heutigen Lesung scheint mir der Satz:

Glücklich können sich alle schätzen, die auf meinen Wegen gehen.
Hört auf die Ermahnungen und werdet weise; gebt nicht auf!

In jedem, in jeder von uns kann die Weisheit Person werden, das Göttliche in uns einziehen. Gebt nicht auf.

Ich wünsche einen schönen, der Weisheit geöffneten Sonntag

Sigrid Grabmeier

 

Bild: Als sie den Himmel aufspannte, war ich dabei.  Eibsee, Dorothea Grabmeier;

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