Sonntagsbrief zum Palmonntag, 20. März 2016

19. März 2016 von Reinhard Olma

Pazifismus und gewaltfreier Widerstand sind nicht vergebens

Sonntagsbrief zum Palmsonntag 20. März 2016

Pazifismus und gewaltfreier Widerstand sind nicht vergebensAls er loszog, breiteten sie ihre Kleider auf dem Weg aus. Aber schon als er sich dem Abhang des Ölbergs näherte, begann die ganze Gruppe der Jüngerinnen und Jünger sich zu freuen und Gott wegen all der machtvollen Taten, die sie gesehen hatten, lauthals mit den Worten zu loben:
„Gepriesen ist, der da kommt,
der König, im Namen DER LEBENDIGEN.
Im Himmel ist Friede
und Gottesglanz in den Höhen!“

Lk 19, 36-38
Bibel in gerechter Sprache

Pilatus ließ die Hohenpriester mitsamt der Obrigkeit und dem Volk zusammenrufen und sagte zu ihnen: „Ihr habt diesen Menschen zu mir gebracht als einen, der das Volk aufwiegelt. Doch seht, beim Verhör vor euch habe ich an ihm keinen Grund für eure Anklagen gefunden, auch Herodes nicht, denn er hat ihn zu uns zurückgeschickt. Seht, es ist von ihm nichts verübt worden, was den Tod verdient. Nach ein paar Züchtigungen werde ich ihn gehen lassen.“
Sehr viele riefen aber gleichzeitig: „Ergreife ihn und lass uns Barabbas frei!“ Dieser war wegen eines Aufruhrs, der in der Stadt ausgebrochen war, und wegen Totschlags ins Gefängnis geworfen worden. Pilatus redete noch einmal auf sie ein, da er Jesus freilassen wollte. Sie aber schrien: „Kreuzige, kreuzige ihn!“ Darauf sagte er zum dritten Mal zu ihnen: „Was hat er denn Schlechtes getan? Ich habe keinen Grund gefunden, ihn zum Tod zu verurteilen. Darum will ich ihn freilassen, nachdem ich ihn habe züchtigen lassen.“ Sie jedoch bestürmten ihn mit lautem Geschrei und forderten, dass er gekreuzigt würde; und ihr Geschrei erreichte sein Ziel: Pilatus entschied, ihre Bitte sollte ausgeführt werden. Den aber, der wegen Aufruhr und Totschlag ins Gefängnis geworfen worden war, ließ er frei ziehen, wie sie es begehrten. Jesus hingegen gab er ihrem Willen preis.

Lk 23, 13-25
Alle Texte vom Palmsonntag: Jes 50, 4-7; Phil 2, 6-11; Lk 19, 28-40; Lk 22,14-23,56
Bibel in gerechter Sprache

So schnell und so gravierend, bis ins bodenlose, kann die öffentliche Meinung kippen! Es gibt wohl wenige Gegenüberstellungen im Neuen Testaments, die so oft zitiert worden sind und gleichzeitig jedesmal wieder so sprachlos machen, wie der Absturz des „Hosianna unserem König!“ des Palmsonntags beim Einzug Jesu in Jerusalem zum „Ans Kreuz mit ihm!“ des Karfreitags; in derselben Stadt. Gerufen von denselben Menschen. „Himmelhoch jauchzend – zu Tode betrübt“, ist eine Redewendung, die solchen Stimmungsumschwung ganz gut darstellt und vermutlich auch auf diese Schrifttexte zurückgeht.

Was sind das für Menschen, die zu solcher Verwandlung fähig sind, und vor allem: Was muss diesen Menschen geschehen sein, dass sie ihre Meinung so gravierend ändern, ihre Überzeugung so total über den Haufen werfen? Hat ihnen jemand Brot versprochen und Steine gegeben? Und wie furchtbar ist die Manipulierbarkeit dieser Menschen; die Manipulierbarkeit von Menschen überhaupt!

Ja, es gibt diese abgründigen Wechsel, wir finden sie auch heute immer wieder. Menschen, die sich offensichtlich sehr geliebt haben, führen plötzlich einen Rosenkrieg auf niedrigstem Niveau mit dem einzigen Ziel, dem ehemals geliebten Partner trotz der gemeinsam zurückgelegten Zeit durch alle Höhen und Tiefen des Zusammenlebens nur noch Schaden zuzufügen.

Wir sind entsetzt, können und wollen uns damit nicht abfinden. „Da müsste man doch…“, rufen wir und tun doch oft so wenig. Oder wir versuchen, gegen diesen Hass und gegen diese Gleichgültigkeit vorzugehen und stoßen doch schnell wieder an unsere Grenzen. Muss man da nicht resignieren? An der eigenen Ohnmacht verzweifeln?

Die heutigen Lesungen aus dem Alten und Neuen Testament führen uns den Gottesknecht vor Augen, der all das erträgt, diese Ungerechtigkeiten, diesen Egoismus, Gewalt und Schmerzen. Der nur erträgt und seinen Mund nicht auftut. Kann uns das trösten? Ist das die Chance auf Erlösung? Kann das die Welt verändern – mehr als alle unsere Anstrengungen?

Alle Erfahrungen und all unser Denken und Fühlen scheinen dem zu widersprechen. Und trotzdem lässt uns das Bild nicht in Ruhe. Und wenn wir in Tagen oder Stunden der Besinnung historische Ereignisse Revue passieren lassen, stoßen wir auf Beispiele, die die Haltung des Gottesknechts zu stützen scheinen:
Haben nicht gerade die leuchtenden Figuren des Pazifismus, des gewaltfreien Widerstands gezeigt, dass solche Haltung nicht vergeblich sein muss. Ob uns das heute wieder so gelingen kann, bleibt so lange unbeantwortet, bis es versucht wird.

Wenn wir Jesu Weg durch Leiden und Tod zur Auferstehung bejahen und annehmen, dann müssen wir diese Option des Ertragens, der Gewaltlosigkeit offenhalten; auch für uns, auch heute.

Reinhard Olma

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