Sonntagsbrief zum Neujahrstag 2017

1. Januar 2017 von Sigrid Grabmeier

Mehr Mensch werden

Vertikaler Erdkilometer, © KucharekAls aber die Zeit erfüllt war, sandte Gott seinen Sohn, geboren von einer Frau und unter das Gesetz getan, auf dass er die, die unter dem Gesetz waren, loskaufte, damit wir die Kindschaft empfingen. Weil ihr nun Kinder seid, hat Gott den Geist seines Sohnes gesandt in unsre Herzen, der da ruft: Abba, lieber Vater! So bist du nun nicht mehr Knecht, sondern Kind; wenn aber Kind, dann auch Erbe durch Gott.

Gal 4,4-7
Lutherbibel 2017

Unzählige Male wurden in den Weihnachtsgottesdiensten wieder die alten Lieder gesungen, die uns vermitteln, dass Gott Mensch wurde, uns zugute, wahrer Gott von Ewigkeit geboren, den wir finden in unserem Fleisch und Blut, in reinlichen Windeln, ein himmlisches Kind, lachend aus seinem göttlichen Mund. - Unbehagen war das mindeste, was das bei mir ausgelöst hat. Mehr als in den vergangenen Jahren rumorte es in mir, denn unsere flapsige Formulierung „Mach´s wie Gott – werde Mensch“ als Titel für den Ratschlag in Wittenberg im Oktober stieß zum einen auf viel Zuspruch, noch mehr aber auch auf heftiges, kritisches Hinterfragen. - „Ich wüsste nicht, dass Gott Mensch geworden ist; diese Idee kam im 4. Jahrhundert auf und mochte für eine Kultur angängig sein, die nur hellenistisch denken konnte. - Ich möchte schon, dass Gott Gott bleibt und Jesus nicht mit einer wesenhaften Gottheit und einem Absolutheitsanspruch beladen wird.“ so reagierte Hermann Häring.

Renate Wind zeigte in ihrem Eröffnungsvortrag „Mehr Mensch werden“ auf, welches Potential im Wahrnehmen des Menschen aus Nazareth einerseits, welche Gefahren andererseits in der Ver-Göttlichung Jesu liegen: „Zumindest in ihren Anfängen ist die Christenheit von dem Gedanken beseelt, dass der Messias von unten kommen wird, in einer Bewegung, die sich an der Botschaft und Praxis Jesu orientiert, um die Welt zum Besseren, zum Reich Gottes hin zu verändern. Aus dieser Praxis entsteht ein Volk Gottes aus allen Völkern, eine Bewegung, die den von der Krippe bis zum Kreuz machtlosen Jesus als Herrn und Retter der Welt bekennt.“

Im heutigen Text heißt es: „Als aber die Zeit erfüllt war, sandte Gott seinen Sohn“. Damit ist eben nicht ein Gottessohn im Sinne der antiken Götterwelt gemeint, ein Superheld wie Herkules, sondern ein Mensch, der gemäß der jüdischen Vorstellung den Willen Gottes lebt und ihm deshalb so nah wie ein Sohn, wie ein Kind ist. Wie sehr er als Mensch gesehen wird, wird sichtbar in seiner Abstammung aus dem Hause Davids, durch seine Geburt durch Maria, vor allem aber durch die Bemerkung „unter das Gesetz getan“, das heißt dem göttlichen Gesetz unterstellt.

“Als zu Beginn des 4.Jahrhunderts die christliche Kirche in der „Konstantinischen Wende“ zur neuen Staatsreligion des römischen Reiches aufstieg, konnte man die Vorstellung von einem Menschen, der in seiner Niedrigkeit zum Sohn Gottes erhöht wurde, nicht mehr gebrauchen.“ schreibt Renate Wind. Und so gewinnt die im Lukasevangelium anklingende Deutung von Jesus als Gottessohn im hellenistischen Verständnis die Oberhand und damit über die Botschaft Jesu, die seiner armseligen Geburt, die von der Zuwendung zu den Armen und Ausgeschlossenen, die der Bergpredigt, die von seiner qualvollen Hinrichtung als Konsequenz seines obrigkeitswidrigen Lebens und Wirkens.

Dies bringt unabsehbare Konsequenzen für die Kirchengeschichte und die Theologie mit sich, vielleicht am offensichtlichsten im Credo, in dem das Leben Jesu mit keinem Wort erwähnt wird. Auch heute leben wir noch in einer Kirche, die sich der Symbolik und der Strukturen des römischen Kaiserreiches bedient und die Jesus den Menschen entrückt hat. Wie mühsam die Befreiung davon ist, erleben wir seit Jahrzehnten und ganz konkret zur Zeit, wenn Papst Franziskus versucht, der Botschaft des Jesus von Nazareth wieder ein neues Gewicht zu geben, die kirchlichen Fußangeln und Ketten zu zerschlagen, die römisch-imperialen Kirchenstrukturen in Strukturen, die die Mitwirkung des Gottesvolkes ermöglichen zu überführen. - Wenn wir aber wirklich der Botschaft Jesu ein neues Gewicht geben wollen in unserer Kirche, dann müssen wir wieder näher an ihn heran, an unseren Bruder, an den Menschen aus Nazareth, der mit uns ruft: „Abba, lieber Vater“. Mit seinem Leben hat Jesus uns vorgelebt, wie wir als Menschen Kinder Gottes sein können, der Geist der Jesus erfüllt hat, ist auch in unsere Herzen gesandt. Es war nicht sein Tod, mit dem er den Menschen Erlösung gebracht hat. Es war sein Vor-Leben.

Renate Wind beschließt ihren Vortrag: „Im Menschsein des Messias Jesus liegt die hoffnungsvolle Möglichkeit begründet dass wir in seiner Nachfolge mehr Mensch werden können und diese Menschlichkeit weltbezogen und solidarisch gestalten in einer Welt, in der wir nur noch gemeinsam leben und überleben können.“

Wollen wir uns aufmachen
hoffnungvoll
mehr und mehr Mensch werden
uns erfüllen lassen
von der Geistkraft
die auch unseren Bruder Jesus erfüllte
Gott vertrauend
dem Gesetz der Liebe folgen
frei von den Ketten
die uns banden.

So segne uns Gott
mit Deinem Wohlwollen,
behüte uns und halte Bedrohung, Gefahr und Schaden von uns ab,
hülle uns in Licht, wenn es um uns dunkel wird,
sei uns zugeneigt, wenn wir nicht weiter wissen.

Mögen wir das Neue Jahr im Bewusstsein der Liebe Gottes beginnen
und als Gesegnete den Segen Gottes in die Welt hineinleben.

Sigrid Grabmeier

Zurück