Sonntagsbrief zum Neujahrstag, 1. Januar 2018
31. Dezember 2017 von Sigrid Grabmeier
Erbberechtigt
Als aber die Fülle der Zeit kam, da sandte Gott das Gotteskind aus: geboren aus einer Frau und geboren unter die gesetzte Ordnung. Die unter der Gesetzesordnung leben, sollte es freikaufen, damit wir als Kinder adoptiert würden. Weil ihr aber Kinder seid, hat Gott die Geistkraft des Gotteskindes in unsere Herzen ausgesandt, die mit lauter Stimme ruft: Abba! Vater! Du bist also nicht mehr versklavt, sondern Kind; wenn aber Kind, dann auch erbberechtigt durch Gott.
Gal 4, 4-7
„Was du ererbt von deinen Vätern, erwirb es um es zu besitzen“. Dieser Goethe-Satz hing, die Darstellung eines Bauern hinter dem Pflug begleitend, neben dem Wandtelefon in der Wohnung meiner Eltern. Ich hatte ihn bei Anrufen im Blick. Wenn ich das Läutsignal am anderen Ende der Leitung hörte und abwartete, bis sich dort jemand meldete, hatte ich Zeit zum Überlegen, was das bedeuten könnte. Es hatte wohl etwas mit Anstrengung und Arbeit zu tun.
Erben, das war für mich als Kind kein Begriff; am ehesten brachte ich es damit in Zusammenhang, dass in meiner Familie, wie so gesagt wurde, die Musikalität vererbt worden sei. Dass ein Erbe aber insbesondere von materiellem Wert sein kann und in Familien zu ganz hässlichen Auseinandersetzungen führen, das habe ich erst viel später erfahren. Bei der Musikalität jedoch hat mir schon eingeleuchtet, dass man etwas tun muss, sich anstrengen, damit daraus was wird. Flöte und Klavier spielen musste ich üben und auch beim Singen im Chor ging es nicht ohne.
Heute spricht man von der „Generation der Erben“ und bringt damit zum Ausdruck, dass in Deutschland, einer Umfrage der Postbank von 2016 zufolge jedes Jahr 250 Milliarden Euro an Werten vererbt werden, Tendenz steigend. Gleichzeitig geht aber auch die Schere auseinander: Auf der einen Seite die, die wenig erben, oft nur eine paar Erinnerungsstücke und diejenigen, die zum Teil erheblicher Werte erhalten. Männer und Westdeutsche erben häufiger und mehr als Frauen oder Ostdeutsche. Darin liegt sozialpolitischer Sprengstoff, denn ein ständig wachsender Teil des Wohlstands wird nach einem Prinzip umverteilt, das weder den Leistungsidealen der Marktwirtschaft entspricht noch den Gerechtigkeitspostulaten des Sozialstaates. Reich wird, wer in die richtige Familie geboren wird. Um ein Erbe zu besitzen braucht man es nicht zu erarbeiten, zu erwerben.
In der richtigen Familie sind wir, wie Paulus an die Galater schreibt, durch Jesus Christus. Adoptiert, Kinder Gottes und damit auch Erben. Wie wir wissen richtete sich Jesu Botschaft und Paulus´ Deutung von der Erbberichtigung sowohl an Männer wie Frauen, an Freie und an im juristischen Sinne Sklavinnen und Sklaven.* Das Erbe ist nicht materieller Natur, das Erbe ist die Geistkraft und die Freiheit der Kinder Gottes. Gaben, die nicht als Automatismen wirken, sondern gepflegt, „erworben“ und gelebt werden wollen, wie der Autor in den folgenden Abschnitten verdeutlicht und im Kapitel 6 noch beispielhaft aufzählt.
„Tragt einander eure Lasten und erfüllt so das Gesetz des Messias.
Die sich aber einbilden etwas zu sein, und sind doch nichts, betrügen sich selbst.
Alle sollen das eigene Tun kritisch prüfen, dann werden sie allein im Blick auf sich selbst Ruhm gewinnen, anstatt im Blick auf das Tun der anderen. ...
Wer Unterricht erhält im Wort, soll alle Güter gemeinschaftlich teilen mit denen, die unterrichten.“
Auch hier taucht ein Bild, wie am Anfang beim Göthezitat, aus der ackerbäuerlichen Vorstellungsweise auf:
„Was Menschen säen, werden sie ernten. Alle, die in ihre Selbstherrlichkeit hinein investieren, werden aus Selbstherrlichkeit Staub und Asche gewinnen. Die aber in die Geistkraft hinein säen, werden aus der Geistkraft ewig lebendiges Leben ernten.“
So wünsche ich uns für das Neue Jahr,
dass wir in die Geistkraft hinein säen
dass wir im Tun des Guten nicht müde werden,
dass wir ernten, wenn die Zeit dafür kommt,
dass wir immer wieder den Acker Gottes bestellen,
dass wir das Gute bewirken wollen
in der Familie der Kinder Gottes
für alle Menschen.
Sigrid Grabmeier
*In der Übersetzung in gerechter Sprache wird von Kindern gesprochen, in den anderen Übersetzungen von den Söhnen. Nach jüdischem Erbrecht, waren zunächst nur die Söhne, allen voran der Erstgeborene, erbberechtigt. Die Töchter nur, wenn es keine Söhne gab und das Erbe innerhalb der Sippe verblieb. Das sollte eine Zersplitterung der Güter verhindern und festigte die ökonomisch-patriarchalen Strukturen.
Bildnachweis:
Vincent van Gogh 1888: Der Sämann; Foundation E.G. Bührle