Sonntagsbrief zum Karfreitag, 25. März 2016

24. März 2016 von Barbara Dominguez

Wo sind die Grenzen?

Sonntagsbrief zum Karfreitag 25. März 2016

Korpus ohne Arme in der Kapelle von Notre-Dame de la Route, FribourgSeht, mein Knecht hat Erfolg, er wird groß sein und hoch erhaben.
Viele haben sich über ihn entsetzt, so entstellt sah er aus, nicht mehr wie ein Mensch, seine Gestalt war nicht mehr die eines Menschen.
Jetzt aber setzt er viele Völker in Staunen, Könige müssen vor ihm verstummen.

Denn was man ihnen noch nie erzählt hat, das sehen sie nun;
was sie niemals hörten, das erfahren sie jetzt.
Wer hat unserer Kunde geglaubt? Der Arm des Herrn - wem wurde er offenbar?

Vor seinen Augen wuchs er auf wie ein junger Spross,
wie ein Wurzeltrieb aus trockenem Boden.
Er hatte keine schöne und edle Gestalt,
sodass wir ihn anschauen mochten.

Er sah nicht so aus, dass wir Gefallen fanden an ihm.
Er wurde verachtet und von den Menschen gemieden,
ein Mann voller Schmerzen, mit Krankheit vertraut.

Wie einer, vor dem man das Gesicht verhüllt,
war er verachtet; wir schätzten ihn nicht.

Aber er hat unsere Krankheit getragen
und unsere Schmerzen auf sich geladen.
Wir meinten, er sei von Gott geschlagen,
von ihm getroffen und gebeugt.

Doch er wurde durchbohrt
wegen unserer Verbrechen, wegen unserer Sünden zermalmt.
Zu unserem Heil lag die Strafe auf ihm,
durch seine Wunden sind wir geheilt.

Wir hatten uns alle verirrt wie Schafe,
jeder ging für sich seinen Weg.
Doch der Herr lud auf ihn die Schuld von uns allen.


Voll von Grenzen ist der Karfreitag. An unüberwindbare Grenzen stoßen, sich an Mauern wund und blutig schlagen, scheitern und sterben. Das Leiden und Sterben Jesu verbindet heute wieder das ganze Elend dieser Welt. Immer wieder mit den quälenden Fragen nach dem Warum. Seit Menschen leben, rufen sie nach Gott: Wo bist du Gott? Du, der uns versprochen hat: Ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende der Welt. Wo bist du Gott, der uns zugesagt hat: Fürchte dich nicht, ich habe dich beim Namen gerufen, mein bist du. Wenn du durchs Wasser schreitest, bin ich bei dir, wenn durch Ströme, dann reißen sie dich nicht fort. Denn ich bin dein Gott, dein Retter. Wo bist du, Gott? So viel Leid müssen Menschen ertragen! Und soviel Leid verschulden Menschen! Wann ist es genug? Wo sind die Grenzen?

Ohne Karfreitag kein Ostern – sagen Sie das einmal Eltern, die gerade ihre Kinder auf tragische Weise verloren haben – das wäre ja wie ein Schlag mitten ins Gesicht. Ohne Karfreitag kein Ostern – das haben wir schon oft gehört, aber verstanden? Oder gar akzeptiert? – Warum musste Jesus diesen grauenhaften Tod sterben? Jesus am Kreuz – ein Siegeszeichen? Welchen Sinn soll das haben?

Das hat sich vielleicht auch Petrus gefragt. Er hat Jesus dreimal verleugnet. Er hatte Angst, konnte nicht mehr durchhalten, obwohl er Jesus liebte, ist an seine Grenzen gestoßen. Aber dann hat er bitterlich geweint. – Aushalten hätte er eigentlich wollen, ohne zu wissen, was richtig ist. Eigene und fremde Grenzen aushalten.
Auch die Freunde Jesu haben kümmerlich versagt. Bleibet hier und wachet mit mir. – Eingeschlafen sind Jesu Freunde. Wie konnten sie nur? Vor Kummer und Angst haben sie sich vielleicht in den Schlaf geflüchtet. Und wir? Wo verschließen wir lieber die Augen vor dem Elend der Menschen, wollen am liebsten gar nicht so direkt damit konfrontiert werden?

Wir kennen das Lied mit dem Gebet von Dietrich Bonhoeffer: Von guten Mächten wunderbar geborgen erwarten wir getrost was kommen mag! – wie konnte er das schreiben? Im KZ? Was hat ihn getragen? Da war etwas, das ihm Halt und wunderbare Ruhe gegeben hat. Das Vertrauen und die Hoffnung auf Gott haben ihn aushalten lassen. Hoffnung ist eine innere Gewissheit ohne Beweise.

Und Jesus? Ich kann und will nicht darüber befinden, was in Jesus während seiner letzten Lebenstage vorgegangen sein muss. Aber ich möchte Ihnen erzählen, was mich sehr beeindruckt hat:  Letztes Jahr waren wir in Jerusalem, im Garten Getsemani, vor uns die Stadt, hinter uns, gar nicht weit, Bethanien, nur knappe 3 km entfernt – wie uns die israelische Führerin erklärte –, dort lebten Jesu Freunde, Maria, Marta, Lazarus. Es wäre ihm ein Leichtes gewesen, sich in dieser entscheidenden Nacht nach Bethanien abzusetzen, er wäre in Sicherheit gewesen. Warum tat das Jesus nicht? Er war sich der tödlichen Gefahr bewusst, er hat gebetet: Vater, wenn du willst, nimm diesen Kelch von mir! Welcher Sinn im Sterben Jesu und in all dem Leid auf der Welt liegen soll, das fragen sich sogar große Theologen. Die Fragen bleiben.

Glauben heißt, die Unbegreiflichkeit Gottes ein Leben lang aushalten (Karl Rahner). Aushalten. Aushalten ist noch das Plausibelste. Aushalten fragt nicht nach dem Sinn.  Wenn wir nachspüren, wann und wie wir etwas ausgehalten haben, womit hatte das zu tun? Mit Hoffnung, mit Liebe. Liebe hält aus. Jesus ist und bleibt grenzenlos in der Liebe.

Barbara Domiguez

Bildnachweis: © Barbara Diminguez - Korpus ohne Arme in der Kapelle von Notre-Dame de la Route, Fribourg

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