Sonntagsbrief zum Christkönigsfest, 25. November 2018
23. November 2018 von Tobias Grimbacher
Was ist Wahrheit?
Pilatus ging wieder hinein ins Prätorium, rief Jesus und sagte zu ihm: „Bist du der König des jüdischen Volkes?“ Jesus antwortete: „Ist das deine Meinung oder haben es dir andere über mich gesagt?“ Pilatus antwortete: „Bin ich etwa ein Jude? Angehörige deines Volkes und die Hohenpriester haben dich mir ausgeliefert. Was hast du getan?“
Jesus antwortete: „Mein Königreich gehört nicht dieser Welt an. Wenn mein Königreich dieser Welt angehören würde, würden meine Leute kämpfen, damit ich nicht der jüdischen Obrigkeit ausgeliefert werde. Mein Königreich ist aber nicht von hier.“ Da sagte Pilatus zu ihm: „Bist du also doch König?“
Jesus antwortete: „Du sagst, dass ich König bin. Ich bin dazu geboren und in die Welt gekommen, dass ich die Wahrheit bezeuge. Alle, die der Wahrheit angehören, hören auf meine Stimme.“ Pilatus fragte ihn: „Was ist Wahrheit?“
Joh 19,33-38 Bibel in gerechter Sprache
Was ist Wahrheit?
In den vergangenen Wochen durfte ich in einer Theaterproduktion mitwirken. Das Kriminalstück Gefährliche Kurve von John B. Priestley dreht sich vordergründig um die Aufklärung eines Selbstmordes. Dahinter geht es aber um die Wahrheit; es steht die Frage im Raum, wie viel Wahrheit wir vertragen, welche Wahrheit über uns selbst wir preisgeben wollen, und welche Wahrheit wir uns überhaupt selbst eingestehen können. Im Stück lässt Priestley sein Alter Ego, die Verlagsangestellt Olwen, sagen: „Was die meisten Leute unter Wahrheit verstehen, ist nur die halbe richtige Wahrheit. Sie besagt nicht alles, was in jedem vorging. Sie besagt einfach nur eine Menge Tatsachen.“
Auch Pilatus interessiert sich für die Tatsachen, wenn er nach dem Königtum Jesu fragt. Bei einem Ja ist die Sache klar, denn einen König gegen den Kaiser darf es nicht geben. Ein Nein ist genauso gut, entlarvt es doch die Aussage der Hohenpriester als Fake News. Doch Jesus entzieht sich dieser einfachen Tatsachen-Zuschreibung. Natürlich ist er kein König wie der Kaiser oder König Herodes. Ein von Gott gesalbter davidischer König ist dafür verantwortlich, sich für Witwen und Waisen, Arme und Ausgegrenzte einzusetzen, modern gesprochen: Sozialpolitik zu betreiben. Aber da es das davidische Königtum nicht mehr gibt, ist diese Verantwortung an alle Menschen guten Willens übergegangen, wie Jesus selbst es beispielhaft vorlebt. Auch in unserer Zeit fühlen sich einige mächtige Politiker nur dem eigenen Vorteil verpflichtet. So werden Tatsachen verschleiert oder als Fake News diffamiert, und manche versuchen, eine Ideologie als abgeschlossene, nicht zu hinterfragende Wahrheit zu verkaufen. Unser König und Christus Jesus bietet dazu das Gegenmodel an.
Ja, natürlich handelt auch Jesus in der Gewissheit einer Wahrheit. Aber ihm ist bewusst, dass er diese Wahrheit niemals umfassend und abschliessend formulieren kann. Er kann immer nur Teile vermitteln, und dieses „die Wahrheit bezeugen“ beschränkt sich nicht auf Worte, es muss sich auch in Taten auswirken, im Einsatz für unterdrückte Personen und im Widerstand gehen offensichtliche Unwahrheit. So entzieht sich Jesus immer wieder den Erwartungen der Machthaber und Rechthaber. Seine Wahrheit ist grösser als das, was sie denken können oder wollen. Seine Wahrheit ist wahrhaftig göttlich, und damit nie ganz verstehbar. Am Ende des Theaterstücks Gefährliche Kurve kommt Olwen zu einer sehr ähnlichen Einsicht: „Die wirkliche Wahrheit ist etwas so Tiefliegendes, dass man sie auf diese Weise nicht erreicht.“ Dass man sie nie ganz erreicht.
Ein Stück weit bleiben wir ratlos zurück wie Pilatus. „Was ist Wahrheit?“ Wann müssen wir laut auf der Wahrheit und den Tatsachen bestehen? Wo bezeugen wir die Wahrheit besser durch unser Handeln? Und wem ersparen wir viel Leid, wenn wir einmal nicht alles sagen, was wir von der Wahrheit verstanden haben?
Ich wünsche Ihnen allen einen erfüllten Christkönigssonntag und eine gesegnete Adventszeit
Tobias Grimbacher
Bildnachweis: Szenenbild der Gefährlichen Kurve, Foto: Ingo Höhn / http://dramateure.ch . Das Stück über die Wahrheit ist nochmals vom 23. bis 26. Januar 2019 in Zürich zu sehen.
Mit dem Sonntagsbrief zum Christkönigsfest endet die Lieferung der Sonntagsbriefe für das Jahr 2018. - Zum Beginn des neuen Jahres, ab dem 1. Januar 2019, wird es wieder Sonntagsbriefe geben.
Auch in diesem Jahr laden wir Sie wieder ein, sich in Ihrer persönlichen Adventszeit vom Wir sind Kirche Adventskalender begleiten zu lassen. Der diesjährige Adventskalender beginnt mit dem 1. Advent am 2. Dezember.
Entsprechend der kath. Leseordnung für den Advent 2018 wurde für jeden Tag eine Stelle aus der „Bibel in gerechter Sprache“ ausgewählt und dann dazu ein Text zum aktuellen Geschehen, ein Gebet, ein Gedicht oder ein theologischer Gedanke gestellt.
Tag für Tag werden so Texte der Befreiungstheologie, zu Ökumene und interreligiösem Dialog, zu weltpolitischen Themen und aus der Arbeit der KirchenVolksBewegung mit der immer wieder aktuellen Botschaft der Bibel in Verbindung gebracht.
Eine gesegnete Adventszeit wünschen Ihnen
das Bundesteam der KirchenVolksBewegung Wir sind Kirche und der Vorstand von Wir sind Kirche e.V.
Für das Bundesteam Sigrid Grabmeier |
Für den Verein Christian Lauer |
Die aktuellen Kalenderblätter finden Sie auch auf unserer Adventskalender-Web-Seite advent.wir-sind-kirche.de
Bitte machen Sie auch andere - Freunde, Bekannte, Verwandte - auf den Wir sind Kirche Adventskalender aufmerksam, Danke!