Sonntagsbrief zum 7. Sonntag in der Osterzeit, 8. Mai 2016
7. Mai 2016 von Johannes Brinkmann
Geöffneter Himmel
Von heiliger Geistkraft erfüllt, richtete Stephanus seinen Blick zum Himmel und sah den Glanz Gottes und Jesus zur Rechten Gottes stehen. Er sprach: „Da! Ich sehe den Himmel geöffnet und den Menschensohn zur Rechten Gottes stehen.“ Sie jedoch schrien laut, hielten sich die Ohren zu, fielen alle zusammen über ihn her, trieben ihn aus der Stadt hinaus und steinigten ihn. Die Zeugen legten ihre Obergewänder zu Füßen eines jungen Mannes ab, der Saulus hieß, und steinigten Stephanus, während er ausrief: „Jesus, dem ich gehöre, nimm meinen Geist auf!“ Er kniete nieder und rief mit lauter Stimme: „Herr, rechne ihnen doch diese Sünde nicht an!“Als er das gesagt hatte, verschied er.
Apg 7, 55-60
Bibel in gerechter Sprache
Die Steinigung des Stephanus – eine ganz grausame Geschichte, die mir auch immer dann in den Sinn kommt, wenn wieder von den schrecklichen Übergriffen meist auf Frauen, meist in Ländern, in denen fundamentalistische Auslegungen den Islam praktiziert werden, berichtet wird. Der wütende Mob straft so Menschen für Überschreitungen eines unbarmherzigen, unmenschlichen Regelwerks. - Die heutige Stelle aus der Apostelgeschichte beschränkt sich auf den Höhepunkt einer Entwicklung, die Vision des Stephanus, die gewaltsame Reaktion einer aufgehetzten Meute und sein letztes Gebet. Genau diese Situation kennen wir von vielen Bildern. Was aber hat diese Menschenmenge so zum Ausrasten gebracht, welche Regeln, welche Grenzen hatte Stephanus überschritten? Es empfiehlt sich, das ganze Kapitel 7 der Apostelgeschichte zu lesen, am besten Kapitel 6 auch noch.
Die hellenistisch-jüdische Gemeinde, in der Stephanus als charismatischer Verkünder des Messias auftritt, fühlt sich stark verunsichert. Einerseits waren sie strenggläubige Juden, andererseits hatten sie schon einen Wandlungsprozess hinter sich, in dem griechische Kultur und Philosophie in ihre Religion Einlass gefunden hatten. Umso mehr mussten sie sowohl gegenüber den Griechen wie auch den Jerusalemer Juden ihre Rechtgläubigkeit unter Beweis stellen. Und da kommt einer von diesen Jesus-Leuten und bringt das fest gefügte Lehrgebäude ins Wanken.
In einem Parforceritt durch die jüdische Geschichte von Abraham über Moses bis zu den Propheten greift Stephanus immer wieder Ereignisse heraus, die vom Neuanfang Gottes mit seinem Volk künden, vom Widerstand des jüdischen Volkes gegen das Neue, vom Festhalten am bekannten, z.B. am Goldenen Kalb, und die Ablehnung und Verfolgung gegenüber denjenigen, die das Neue vermitteln. Als Stephanus ihnen auch noch den Tempel, die Stein gewordene Präsenz Gottes, streitig machen will, indem er mit den Worten Jesajas sagt “Der Himmel ist mein Thron, die Erde der Schemel meiner Füße. Was für ein Haus wollt ihr mir denn bauen.“, da haben sie es satt. Da misst sich einer aus ihren Reihen mit den ganz großen der Geschichte und rüttelt an den Grundfesten ihrer Überzeugungen und Traditionen. „Weg mit ihm“, fordern sie, das Urteil ist gesprochen. Steinigung.
Stephanus hat Regeln in Frage gestellt, Verhaltensänderungen gefordert, vom Wirken der Heiligen Geistkraft gesprochen, Jesus, den Messias verkündet, den geöffneten Himmel gesehen. Dafür musste er sterben. Immer noch werden an vielen Orten der Welt Menschen in Gefängnisse gesperrt, gefoltert und ermordet, weil sie zwar nicht den Himmel öffnen, aber z.B. Menschenrechte einfordern.
Und wie ist es bei uns? Bei uns gibt es die perfide Methode des Kleinredens, des Wegschiebens, des Ignorierens, des Totschweigens. - Aber wie wir wissen setzt sich das, was die heilige Geistkraft bewegen will, immer durch. Gegen alle Widerstände öffnet sie immer wieder den Himmel. Das macht doch Mut, oder?
Einen gesegneten Sonntag wünschen
Johannes Brinkmann und Sigrid Grabmeier
Bildnachweis: Lissabon, die beim Erdbeben von 1755 zerstörte Karmeliterkirche
Foto: © Sigrid Grabmeier