Sonntagsbrief zum 7. Sonntag der Osterzeit, 2. Juni 2019
31. Mai 2019 von Reinhard Olma
Eins sein - Miteinander leben
„Ich bitte aber nicht allein für diese, sondern auch für alle, die durch ihr Wort an mich glauben. Sie alle sollen eins sein, so wie du, Gott, in mir bist und ich in dir. Sie sollen in uns sein, damit die Welt glaubt, dass du mich gesandt hast. Und ich habe ihnen den Glanz gegeben, den du mir gegeben hast, damit sie eins sind, so wie wir eins sind. Ich bin in ihnen und du bist in mir, so dass sie zu einer Einheit vollendet werden, damit die Welt erkennt, dass du mich gesandt hast und dass du sie geliebt hast, wie du mich geliebt hast. Gott, ich will, dass die, die du mir gegeben hast, auch da, wo ich bin, bei mir sind. Sie sollen meinen Glanz sehen, den du mir gegeben hast, weil du mich geliebt hast vor der Entstehung der Welt. Gerechter Gott, die Welt hat dich nicht erkannt, ich aber habe dich erkannt, und diese haben erkannt, dass du mich gesandt hast. Und ich habe ihnen deinen Namen mitgeteilt und ich werde mitteilen, dass die Liebe, mit der du mich geliebt hast, in ihnen ist und ich in ihnen bin.“
Joh 17,20-26 Bibel in gerechter Sprache
Eins sein - Miteinander leben
Die Steinigung des Stephanus, die in der Apostelgeschichte erzählt wird, begegnet uns regelmäßig am 2. Weihnachtstag und steht da im Kontrast zur Krippenseligkeit, die viele zum Weihnachtsfest erfasst.
Das Evangelium ist den Abschiedsreden entnommen, die Johannes als das letzte große Statement Jesu vor Beginn der Passion, als sein Vermächtnis für seine Jünger, also auch für uns, hinterlässt.
Auch da ist ein Kontrast zu finden: Hier das Beschwören der Einheit der Jünger, die feste Zusage, dass alle, die an ihn glauben, die Wahrheit erfahren haben und diese vor der ganzen Welt kraftvoll bezeugen sollen; wenige Stunden später der Verrat und die Flucht der Jünger und die Passion, in der alles zusammen zu stürzen scheint, was sie gerade erst zu begreifen begannen.
Es gibt also einen Zusammenhang zwischen den Texten. Aber was soll uns das zwischen Himmelfahrt und Pfingsten? Haben wir uns nicht am Ostersonntag gerade erst aus dem Staub der Fastenzeit erhoben und haben nun mindestens bis Pfingsten bzw. bis Fronleichnam nur gute Botschaften zu erwarten?
Irgendwie ist es, wie im richtigen Leben. Haben wir uns nicht gerade so gemütlich eingerichtet in unserem schönen Land: Wenig Arbeitslosigkeit, ein bescheidener Wohlstand für viele und die Renten steigen auch wieder. Wenn da nur nicht die vielen Flüchtlinge auf der einen Seite, die rechten Demagogen und Rassisten auf der anderen Seite wären. Und nun auch noch die beängstigenden Klimaveränderungen, die auch um Deutschland keinen Bogen mehr machen. Das haben wir nicht verdient?! – Doch, haben wir!
So etwa, wie die Begeisterung der Jünger kaum vom Abendmahlssaal bis zum Ölberg reicht, wo sie erst schlafen und dann panisch davonlaufen und ihn verlassen; so müsste sich jeder von uns eingestehen, dass man sich zwar zu einen hohen moralischer Anspruch aufgeschwungen hat, den man auch gern vertritt, wenn es ziemlich ungefährlich ist. Wenn es aber darum geht, Lebensgewohnheiten zu verändern, zu verzichten oder sich einzuschränken, damit auch für die Benachteiligten in der Welt noch etwas übrig bleibt, damit auch unsere Kinder und Enkel noch eine intakte Natur vorfinden, dann geht es uns meist so, wie den Jüngern am Ölberg und von unserer Moral bleibt nicht viel übrig.
Aber es gibt sie schon noch, die Ausnahmen. Die drei, vier Menschen, die unter dem Kreuz ausharren; den Ratsherren, der Jesus bestatten lässt, und schließlich Stephanus, den der beschwörenden Appell aus dem Abendmahlsaal bis zu seinem qualvollen Ende nicht loslässt. Und wenn uns das Bild dieser Menschen gelegentlich reibt oder betroffen macht, ist damit schon etwas erreicht.
Kaum jemand wird annehmen, dass Johannes Jesus in den Abschiedsreden wirklich zitiert. Viel zu „theologisch“ und anspruchsvoll sind die Texte, als dass die Fischer, Handwerker, die einfachen Leute, die die Apostel und Jünger zweifellos waren, damit etwas hätten anfangen können. Deutlich und verständlich wird aber schon das Drängen zur Einheit, zum Miteinander in Liebe und gegenseitiger Unterstützung. - Und wie weit sind die meisten Menschen heute davon entfernt! Abschottung lautet die Devise. Schütze das was, Du hast, gegen die, die auch was haben wollen! Installiere neue Sicherungssysteme um Deine Wohnung oder Dein Haus! Erhöhe Deinen Gartenzaun! Baue einen Zaun gegen Flüchtlinge um Dein wohlhabendes Land! Du brauchst die anderen nicht!
Wie fatal, wie falsch ist diese Entwicklung! Gerade bei der Wetter- und Klimaentwicklung wird augenfällig, wie wenig der einzelne tun kann. Es geht nur im Miteinander, wenn wir füreinander da sind, wenn wir uns einbringen und engagieren für das Gemeinwohl. Wenn wir denen entgegentreten, die handeln, als gehöre die Welt ihnen und wäre nur dazu da, ihren Reichtum zu vermehren. Wenn wir denen entgegentreten, die handeln, als gäbe es kein morgen nach der Devise: Nach mir die Sintflut!
„Gott liebt uns“, sagt Jesus in seinem Vermächtnis. So muss es sein, sonst hätte er uns nicht geschaffen. Und nicht nur uns hat er geschaffen, sondern auch die, mit denen wir gleichzeitig auf dieser Erden leben. „Lebt nicht nur gleichzeitig, sondern auch miteinander“, sagt er uns. Nur so könnt Ihr die Zukunft gestalten, nur so ist menschliches Leben auch künftig möglich.
Reinhard Olma
Bild: Ineinander