Sonntagsbrief zum 7. Sonntag der Osterzeit 13. Mai 2018

9. Mai 2018 von Günther Doliwa

Wer in der Liebe bleibt

Blue_Marble_Western_Hemisphere

Ich habe deinen Namen den Menschen offenbart, die du mir aus der Welt gegeben hast.

Heiliger Gott, halte und bewahre du sie in deinem Namen, den du mir gegeben hast, damit sie eins sind wie auch wir. Als ich bei ihnen war, habe ich sie in deinem Namen, den du mir gegeben hast, gehalten und bewahrt. Und ich habe sie behütet, und keiner und keine von ihnen ging verloren, außer dem einen, der aus der Verlorenheit stammt. Und dies geschah, damit die Schrift erfüllt werde. Jetzt aber gehe ich zu dir und sage dies in der Welt, damit sie meine vollkommene Freude in sich haben. Ich habe ihnen dein Wort gegeben. Und die Welt hasste sie, weil sie nicht zur Welt gehören, wie auch ich nicht zur Welt gehöre. Ich bitte nicht, dass du sie aus der Welt wegnimmst, sondern dass du sie vor dem Bösen bewahrst. Sie gehören der Welt nicht an, so wie ich der Welt nicht angehöre. Heilige sie in der Wahrheit. Dein Wort ist Wahrheit. Wie du mich in die Welt gesandt hast, so habe auch ich sie in die Welt gesandt. Und für sie heilige ich mich, damit auch sie wahrhaftig Geheiligte werden.

Joh 17, 6a; 11b-19 Bibel in gerechter Sprache

Wer in der Liebe bleibt

Stürzen wir uns gleich in die Schwierigkeit, in die Annäherung an den Verrat. Darin ist Petrus ebenso schuldig wie Judas. Petrus, den sie „Fels“ nennen, verleugnet Jesus dreifach. Um an ihn zu erinnern, kräht auf jedem Kirchturm ein Hahn. Petrus macht in der Kirche Karriere. Judas führt die an, die Jesus gefangen nehmen. Sein Verräter naht mit „einer römischen Kohorte, einigen Dienern der Tempelpriester und Pharisäern mit Laternen, Fackeln und Waffen“ (Joh 18,3). Sie ziehen in einen Überraschungssieg, den ein überlegener Jesus ummünzt in deren moralische Niederlage, weil er sich dem „Freund“ Judas (Mt 26,50) stellt und die anderen Freunde rettet. Konsequenz aller Verengung: die Schlinge. Judas hat seinen Dienst verlassen, sagen sie. Ihm ist ein böses Ende bestimmt und das Privileg völliger Verachtung.

Heute gibt es freundlichere Annäherungen an Judas. Ein Kapitell der Kathedrale von Vézelay zeigt Jesus als guten Hirten, wie „Judas, der Freund“ (Buchtitel von Christoph Wrembek, SJ, 2017), auf seinen Schultern getragen wird. Der Jesuit sieht darin Gottes maßlose Barmherzigkeit: Gott gibt keinen Menschen jemals auf. Amos Oz schreibt 2014 ein Buch über Judas und lotet das Thema des Verrats aus. „Yehuda ist ein häufiger, alltäglicher Name, er ist positiv konnotiert. Aber wenn du jemanden in anderen Sprachen Judas nennt, kannst du ihm auch ins Gesicht spucken. Im christlichen Sprachgebrauch ist Judas der Inbegriff für Verrat und Demütigung und der Ausbund von Judentum, Falschheit und Unterwürfigkeit.“ (Amos Oz, Das Evangelium des Yehuda 2014) Seine Rolle im Heilsgeschehen zu relativieren, d.h. als zugewiesenen Part zu sehen, den er spielen muss, führt zur Ambivalenz des Menschen überhaupt. Wie eindeutig ist der Mensch zu verstehen? Ist Judas ein Verräter, wenn er doch eigentlich „der leidenschaftlichste unter den Jüngern" Jesu war, der der Welt zeigen wollte, welche Größe dieser Mann hat, welche Fähigkeit zum Wunder. Judas jedenfalls schied aus. Nachwahlen im Glückslosverfahren. Auf Matthias fällt das Los, vor dem rechten Josef. (Apg 1,15ff.) Was die einen Verrat nennen, ist für andere ein Schritt über eine Grenze. Ist jeder Verrat verwerflich? Amos Oz wird in Israel als „Verräter“ beschimpft, weil er Verständnis zeigt für das Los der Palästinenser. Verrat sprengt die Einheit – auf eine heilsnotwendige Weise, könnte man sagen. Dieses Motiv wird in den Abschiedsreden Jesu ausgebreitet. Wie können die Jünger & Jüngerinnen eine Einheit im Namen Jesu werden?

Wer die Sendung Jesu verstehen will, und der Frage nachgehen will, weshalb überhaupt von Sendung die Rede ist, trifft bei Johannes im Evangelium auf hohe Philosophie. Auf spektakuläre Seitenwechsel, auf Sphärengänge mit Abstieg und Aufstieg, Erniedrigung und Erhöhung (Himmelfahrt). Herab kommt das Wort (Logos), wird Fleisch und steigt bzw. fährt nach getaner Arbeit wieder auf in die oberste Etage des dreiteiligen Weltgebäudes: Himmel – Erde- Hölle und zurück. Erlösungslogik. Der Fall ist behoben, der Sündenfall ausgeglichen. Können wir als Vertreter der Evolution noch so denken? Müssen wir nicht eine andere Entwicklungsdynamik denken lernen, außer wir nehmen Zuflucht im Idylle-Garten des Kreationismus unter den Evangelikalen? Johannes, der Seher, bietet Schlüsselworte in den Reden Jesu, die alles andere als wörtlich so von Jesus kommen können, denn so redet in alle Ewigkeit kein Mensch: Ich bin Weinstock, guter Hirte, Weg, Wahrheit, Leben, Licht, Lebensbrot, Wasser des Lebens... Er spricht davon, dass Jesus von Gott kommt und zu ihm zurückkehrt. Das ist seine Wahrheit, sein Geheimnis, unverhüllt und doch unbegreiflich. Gott als Gott, als wahren „Heiligen Vater“ erkennen und Jesus Christus als seinen Gesandten. Warum redet er davon, er habe Gottes Namen offenbart, kundgemacht? Damit die Liebe Gottes in ihnen sei ((Joh 17,26). Gottes Name ist Liebe. Die innere Einheit von Vater und Sohn wird als Vor- und Inbild der Liebe verstanden. Dies dient dazu, die allseitige Einheit zu beschwören. Damit sie alle eins seien wie der Vater im Sohn und der Sohn im Vater ist. Die Herrlichkeit Gottes - Kraft, Duft, Freiluft - durchdringt alles. Als real-historischer Hintergrund darf vermutet werden, dass die Jünger nach Verfolgungen „zerstreut“ sind, „ein jeder an seinen Ort“. Vom Bösen, vom Hass als Abtrünnige, als Sekte umringt. Von Angst umzingelt, in Gefahr das Wort zu verlieren, das Jesus brachte.

Sehen wir einmal ab von (innertrinitarischen und soteriologischen) Spekulationen, so stoßen wir auf das Kernmotiv christlicher Einheit. Die Hüter sog. „Offenbarungswahrheiten“ pflegen dieses Motiv als Lieblingsargument, um vor dem Zerfall der Einheit im Glauben zu warnen (längst tausendfach geschehen!) und nebenbei um bitter nötige Reformen zu verhindern. In welchem Zustand befindet Kirche sich heute? „Die Kirche befindet sich im rasanten Absturz.“ Sie sei „zunehmend morsch, hinfällig und einsturzgefährdet“ diagnostiziert Wunibald Müller (Der letzte macht das Licht aus? 2017) Und will zu einem erneuerten Glauben ermutigen.

Wodurch ist Einheit gewährleistet? Durch Gesetz und Vertrag? Durch Treueeid? Durch Vertrauen? Durch Gewalt? Durch einheitliche Regelungen (wie heute etwa, wenn zur Eucharistie Zugangsberechtigungen Einheit blockieren)? (Nicht alles in der katholischen Kirche muss überall gleich gelten, besonders nicht im Kernland der Reformation. Das Mahl schenkt uns die Einheit, nicht die Einheit uns das Mahl.) Durch das Zulassen der Vielheit und Vielfalt? - Durch Liebe! Bekräftigt Johannes schlicht. Einzig durch Liebe. Sie allein hat die Kraft, oben und unten, innen und außen, entlegenstes und nahes zu verbinden. Sie macht Lust im andern sich selbst zu erkennen.

Denn wenn wir einander lieben, ist Gottes Liebe in uns vollendet. (1 Joh 4,11f) Wer in der Liebe bleibt, bleibt im Unzerstörbaren. Wer in der Liebe bleibt, hat es gut. Wer aber kann das auf Dauer? Wer aus ihr fällt, der hat es schwer. Das Leben legt viele Fährten und Fallen. Da ist mitten im Hochgenuss eine Falltür ins Nichts. Du bist an das Ende der Liebe getanzt. Der Anfangszauber ist gebrochen. Der Segen ist abgewandert. Du kannst zumindest eine neue Liebe suchen, Liebe neu suchen, nicht nur in Verliebtheit schwelgen. Ohne die eigene kreative Liebesfähigkeit zu entwickeln, sagt Erich Fromm, ginge das immer wieder schief. Garantien gibt es keine. Wehe uns also, wenn wir die Liebe verlieren! Diese Erfahrung machen immer mehr. Wenn einer sich dem andern entzieht, weil andere Dinge oder Menschen wichtiger sind, geht das Band verloren. Gab es einst, als der Funke übersprang, Wichtigeres, als sich mitzuteilen, mitzuhören, mitzufühlen?! Wenn das vergeht, nicht nur verschüttet ist, läutet sich das Ende ein. Machen wir uns nichts vor: Liebe ist nicht haltbar durch einen Ehering! Einst vertrat man ihre Unwandelbarkeit. Doch Liebe ist Wandel schlechthin. Es genügt oft, dass einer sich entwickelt und der andere stehenbleibt, verfangen, verstrickt, müde geworden. Zur Einheit gehören zwei. Zum Trennen genügt einer, der nicht mehr will. Das Kirchenrecht ist völlig taub für den Schmerz der Trennung. Es hält eine Ehe formal hoch, die zerbrochen ist. Das katholische Ehemodell ist lebensfremd. Der CIC verengt.

Bei Johannes aber muss man weit denken. Aus der Welt, von der Welt, in der Welt, in die Welt. Immer Welt, Welt, Welt! Ort des Bösen. Ort der Sünde. Ort des Verderbens. Ort des Verrats. Ort des Hasses. Ort der Liebe. Ort der Sendung. Ort des Hörens. Ort der Offenlegung. Ort der Namen. Ort der Wahrheit. Ort der Gleichgültigkeit. Ort des Geistes. Ort der Einheit, durch und dank der Liebe. Ort der Anwesenheit Gottes bis an die Grenzen der Erde. Ort des Glaubens. Ort der Freude. Ort der Fülle. „Damit sie meine Freude in Fülle in sich haben. Sie sind nicht von der Welt, aber in der Welt. Bewahre sie vor dem Bösen, vor dem Verrat. Heilige sie in der Wahrheit. In die Welt sind sie gesandt.“ Wohin sonst!? Mit Ostern hat Pfingsten einmal begonnen. Mit Jesu schöner Prophezeiung vor der Himmelfahrt, (Mk 16,15ff) auf die wir in jeder Predigt (oft vergebens) warten: „In neuen Sprachen werden sie reden“.

Günther M. Doliwa, www.doliwa-online.de

Bildnachweis: Blue Marble Western Hemisphere

https://commons.wikimedia.org/wiki/Category:Earth_from_space?uselang=de#/media/File:Blue_Marble_Western_Hemisphere.jpg

NASA images by Reto Stöckli, based on data from NASA and NOAA. Instrument: Terra - MODIS

Literaturhinweis: Christoph Wrembek SJ Judas, der Freund  -  Du, der du Judas trägst nach Hause, trage auch mich -Jetzt 4.Auflage!!

 

Zurück