Sonntagsbrief zum 5. Sonntag im Jahreskreis, 4. Februar 2024

3. Februar 2024 von Günther Doliwa

Jesu Therapie der Wurzelkrankheiten

Sie verließen sogleich die Synagoge und gingen zusammen mit Jakobus und Johannes in das Haus des Simon und Andreas. Die Schwiegermutter des Simon lag mit Fieber im Bett. Sie sprachen sogleich mit Jesus über sie und er ging zu ihr, fasste sie an der Hand und richtete sie auf. Da wich das Fieber von ihr und sie diente ihnen.

 Am Abend, als die Sonne untergegangen war, brachte man alle Kranken und Besessenen zu Jesus. Die ganze Stadt war vor der Haustür versammelt und er heilte viele, die an allen möglichen Krankheiten litten, und trieb viele Dämonen aus. Und er verbot den Dämonen zu sagen, dass sie wussten, wer er war.

In aller Frühe, als es noch dunkel war, stand er auf und ging an einen einsamen Ort, um zu beten. Simon und seine Begleiter eilten ihm nach, und als sie ihn fanden, sagten sie zu ihm: Alle suchen dich. Er antwortete: Lasst uns anderswohin gehen, in die benachbarten Dörfer, damit ich auch dort verkünde; denn dazu bin ich gekommen. Und er zog durch ganz Galiläa, verkündete in ihren Synagogen und trieb die Dämonen aus. 

Mk 1, 29-39

 

Jesu Therapie der Wurzelkrankheiten

1. Kraft gesund zu machen

Wer sich gut mit der Schwiegermutter stellen kann, hat schon viel gewonnen. Unter uns gesagt, ich punkte durch aufheiternde Worte, lenke auf die heitere Seite der Geschichte, senke den Bluthochdruck, indem ich auf die Komik der angeblichen Tragödie hinweise. Das ist meine Art, die Fieberkurve bei Aufgeregtheiten zu senken. Jesus senkt das Fieber der Schwiegermutter des Simon, heißt es. Er beruhigt sie, richtet sie auf, indem er sie an die Hand nimmt. An die Hand nehmen, kann wahrlich aufrichten. Diese Kunst können Menschen auch ohne medizinische Ausbildung. Wie aber heilt man kompliziertere Fälle – „gebrochene Herzen“ (Ps 147,3)? „Als mein Herz gebrochen war, hast du vorsichtig die Stücke geleimt.“ (So dichtet Huub Oosterhuis jenen Vers.) Jesus heilt, ist aber kein Arzt. Jesus heilt viele, heißt es, nicht alle. Aber der Andrang des Volkes schwillt an. Alle suchen ihn, von dem eine heilsame Kraft ausgeht. Wen bringen sie nicht alles zum Meister: Kranke, Aussätzige, Gelähmte, Taubstumme, Blinde, von Dämonen Besessene, die ausplaudern könnten, wen sie da in Jesus vor sich haben: „den Heiligen Gottes“ (Mk 1,24). Wie wird es gut von Gott her? Wie überrascht und überwältigt uns die Wirklichkeit? „Wer kein Unglück hat, glaubt auch nicht an Wunder.“ (Joseph Roth in seinem Hiob-Roman, 1930).

 

2. Keine Magier-Show abziehen: Was Jesus nicht ist

Eine neue Lehre muss sich nach damaligem Verständnis durch Wunder beglaubigen. Das ruft Scharlatane und Magier auf den Markt der Eitelkeiten. Heute gelten Wunder eher als „Meisterwerke des Zufalls“ (Cocteau). Rätselhafte Wendungen gibt es nach wie vor. Jesus ist eine ganz andere Nummer von Dämonenaustreiber. Er geht auf Distanz, wenn die Leute Zirkus verlangen. Sucht Einsamkeit. Hält sich in die Stille. Verweigert ein demonstratives Zeichen vom Himmel, eine Magier-Show, als die Generation wundersüchtig zu werden droht. Jesus will nicht als sensationeller Wunderheiler angebetet werden. Er entzieht sich Erwartungen, wandert mit den Menschenfischern nach Galiläa, weil er lieber Gleichnisse erzählen will als unentwegt Symptome heilen. Jesus bevorzugt Wurzelbehandlung! Ist gekommen, um unerhört zu reden von einer Weltgestalt, die Gott gefällt. Jesus treibt noch ganz andere Dämonen aus: Angst, Schuld, Zwang, falsche Götter, engstirnigen Geist, Buchstabengläubigkeit. 

 

Seit dem 2. Vatikanischen Konzil macht das Wort die Runde: „die Zeichen der Zeit“ zu lesen. Wie geht das? Schlag die Zeitung auf! Bring Ereignisse zum Sprechen. Deute klug, was sich anbahnt. Nutze die einzigartige Gelegenheit, die sich anbietet: den Kairos! Tomás Halik, geboren 1948, Professor für Soziologie, Pfarrer der Akademischen Gemeinde Prag, 1978 heimlich zum Priester geweiht, entwickelt eine „Kairologie“, „eine theologische Hermeneutik der Glaubenserfahrung in der Geschichte“, eine Art „Sozio-Theologie“ (Der Nachmittag des Christentums. Eine Zeitansage 2022 S.36). Die gegenwärtige Kirchenkrise sieht er als Chance zur Vertiefung des Christentums. Klar ist, „die Macht der Kirche, das Glaubensleben zu kontrollieren und zu disziplinieren“ (101), wird schwächer. Die Diskrepanz zwischen dem, was bzw. wie die Kirche verkündigt, und der Welt ihrer Zuhörer nimmt zu. Um die Zeichen der Zeit zu interpretieren, brauche es weltkundige Propheten, die sich auf den geschichtlichen Kontext verstehen. Die aktuelle Krise des Klerus lässt auf ein falsches Jesusbild schließen. 

Dazu muss man erstens die Verengung der Kirche auf Moral, Sexualität und Sünde sprengen. „Die Kirche bekam jetzt die Quittung für ihre Tendenz, aus dem sechsten Gebot das erste und wichtigste zu machen.“ (Ebd. 96) Die schmerzhafte Krise des Missbrauchs zeigt „Krankheiten des Systems deutlich“ (97): Machtmissbrauch, die Unfähigkeit vieler Träger religiöser Autorität, mit dem eigenen Schatten zu arbeiten, die „romantische Pseudomystik des Priestertums mit seiner magischen Aura – „in radikalem Gegensatz zum Geist des Evangeliums und seinem Verständnis des Dienstes“ (99). 

Dafür muss man zweitens Jesus von Missverständnissen befreien:

  • Jesus war kein Priester, sondern ein ‚Laie‘“. (99) 

  • Jesus machte aus dem Kreis seiner zwölf Freunde nicht Priester im Sinne der Tempelreligion Israels.“ (100) 

  • Jesus gründete keine Hierarchie, keine ‚heilige Regierung‘“, keine Regierungsklasse im Volk. Er gab ihnen „Vollmacht, ein provokanter Kontrast gegenüber der Welt der Macht und der religiösen und politischen Manipulation zu sein.“

  • Brotbrechen heißt generell Selbsthingabe (kenosis). 

  • Der Priester ist kein Ersatz-Christus.“ Wobei Stellvertretung auf den Vertretenen verweist, Ersatz ihn aber überflüssig macht. 

  • Jeder Christ ist „berufen, Christus in dieser Welt zu vergegenwärtigen, zu repräsentieren.“ Amtspriester sind da, „das Gebot Jesu zu erfüllen, die Geringsten und die Diener aller zu sein.“ (101)

Der papstloyale, aber machtmissbrauchskritische Tomás Halik warnt entschieden vor „Pseudo-Religion“ mit ihren entlarvenden Kennzeichen: Fundamentalismus, Fanatismus, Legalismus. Es beunruhigen ihn Bemühungen populistischer Politiker in Polen, Ungarn, in der Slowakei, in Slowenien, aber auch in der Tschechischen Republik, „die religiöse Rhetorik als Instrument der populistischen und oftmals xenophoben, nationalistischen Politik oder der Politik der äußersten Rechten zu verwenden – und die Kollaboration mancher Repräsentanten der Kirche mit diesen Kreisen.“ (105) 

Heute treffen sich in Potsdam ungeniert identitäre Rechte und fantasieren von massenhafter „Remigration“ (Unwort des Jahres), gleich Ausweisung; vorgeblich im Sinne von Volkserhaltung. Man faselt von einer „Reconquista“ unter einem falschen Volksbegriff, der die Menschenwürde und Rechtsgleichheit verletzt. Es ist an der Zeit: Schach der falschen Alternative! Protest erhebt sich.

Kurz gesagt: Das Christentum hat im Kern therapeutische Kraft, eignet sich aber auch toxisch zum Machtmissbrauch destruktiver, ideologischer Politisierung, also rigider Polarisierung.

 

3. Was ist heilsam? - Liebe ins Werk setzen

Jesus warnt davor, sich durch Macht blenden und durch Reichtum verführen zu lassen. Machtstreben korrumpiert und deformiert. Vulgäre Populisten wie Trump oder monströse Großmeister der Lüge und Gewalt wie Putin, ausgestattet „mit einer banalen imperialen Triebstruktur“, „einem Phantom von Größe nachjagend“ (Peter Sloterdijk, Zeilen und Tage 2023 S. 517), - deformierte Machtkrüppel aller Art mögen als Warnung dienen. Lieber segnet Jesus die Unschuld der Kinder, denen Spielen Spaß macht, statt mit Macht zu spielen. Dienen statt herrschen, lehrt er. Das aber bringt die Machtverliebten, Machtbesessenen auf den Plan. Er lehrt die Liebe zu Gott, zum Nächsten, zu sich selbst (Mk 12, 29f). Jesus geht an die Wurzel. Jesu Therapie der Wurzelkrankheiten führt schließlich zur Machtprobe mit den Buchstabentreuen und Regelversessenen, die nicht mehr wissen, was Menschlichkeit bedeutet. Erst beim Anblick der Opfer beginnen selbst Mörder (vielleicht) zu erkennen, wie sinnlos es ist, dem Tod zu dienen, und nicht dem Leben. Markus schreibt, laut Eugen Drewermann, eine „Leidensgeschichte Gottes an den Menschen und mit den Menschen“ (Vorwort, Die vier Evangelien 2004, S.20). „Vertrauen zu schenken, ist das Anliegen Jesu in allen Evangelien.“ Dann richtet der Mensch sich auf, schüttelt das Fieber ab und atmet befreit.

 

Günther M. Doliwa; www.doliwa-online.de

 

Wer zum Teufel ist das 

 

Er lehrt ist aber 
kein Lehrer

Er predigt ist aber 
kein Prediger

Er gilt als Prophet ist aber 
kein Aufrührer

Er betet zählt aber 
nicht zu den Frommen

Er fastet ist aber 
kein Kostverächter

Er lädt zum Spiel ein ist aber 
kein Spieler

Er rät ab vom Seitenspringen 
heiratet aber nie

Er missachtet Gesetze ist aber 
kein Gesetzloser

Er erfindet Gleichnisse ist aber 
gottlob unvergleichlich

Er heilt ist aber 
kein Arzt

Er wird verurteilt ist aber 
kein Verbrecher

Er stirbt ist aber 
nicht tot

 

Aus: G. M. Doliwa, Originale I 2015, S.81

Der Band Originale II folgt 202

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