Sonntagsbrief zum 5. Sonntag der Osterzeit, 19. Mai 2019
18. Mai 2019 von Tobias Grimbacher
Neue Gemeinden
Am nächsten Tag zog Paulus mit Barnabas weiter nach Derbe. Nachdem sie auch in dieser Stadt verkündigt und zahlreiche Schüler und Schülerinnen gewonnen hatten, kehrten sie zurück nach Lystra, Ikonion und Antiochia*, stärkten dabei die Schülerinnen und Schüler, ermunterten und ermahnten sie, beim Glauben zu bleiben und dass wir durch viele Bedrängnisse hindurch in Gottes Reich hineingehen müssen. Sie wählten für sie in jeder Gemeinde Älteste, beteten unter Fasten und vertrauten sie dem Herrn an, an den sie nun glaubten. Sie zogen durch Pisidien und kamen dann nach Pamphylien; sie verkündeten die Botschaft in Perge und stiegen dann nach Attalia hinab und segelten von dort nach Antiochia* ab, wo sie für die Aufgabe, die sie nun abgeschlossen hatten, der Freundlichkeit Gottes anvertraut worden waren. Dort angekommen, versammelten sie die Gemeinde und berichteten, was alles Gott an ihnen getan hatte und dass den Völkern die Tür zum Glauben von Gott geöffnet worden sei.
Apg 14, 20b-27, Bibel in gerechter Sprache
* Antiochia bezeichnet im Text zwei verschiedene Orte: bei der ersten Nennung Antiochia in Pisidien, bei der zweiten Antiochia am Orontes.
Neue Gemeinden
Die heutige Lesung berichtet vom Abschluss der ersten Missionsreise des Paulus. Von Derbe aus ziehen Paulus und Barnabas durch verschiedene Orte in die Hafenstadt Attalia. Diese knapp 500 km lange Strecke gehen Paulus und Barnabas zum zweiten Mal, denn sie reisen durch die selben Orte zurück, durch die sie auf dem Hinweg gekommen sind. Auf dem Rückweg also, nachdem einige Wochen vergangen sind, machen sie aus den verbliebenen Schülerinnen und Schülern jeweils richtige Gemeinden und setzen Älteste ein - wobei aus der Übersetzung nicht hervorgeht, ob es Männer, Frauen oder beides waren.
Von den genannten sechs Orten sind heute nur noch zwei bewohnt: die türkischen Grossstädte Konya (Ikonion) und Antalya (Attalia). Die anderen vier (die im anatolischen Hochland gelegenen Derbe, Lystra und Antiochia in Pisidien sowie das antiken Zentrum Perge im Hinterland von Antalya) sind nur als Ruinen erhalten. Von Attalia fahren Paulus und Barnabas mit dem Schiff zurück an den Ausgangspunkt der Reise, Antiochia am Orontes, einem frühen Zentrum der Jesus-Bewegung und dem Ort, an dem wir zum ersten Mal „Christen“ genannt wurden – dem heutigen Antakya.
Dass Paulus und Barnabas in jeder Stadt eine Gemeinde gründen konnte, muss wohl für ihre Botschaft sprechen, von der wir im heutige Text wenig erfahren (wohl aber in den Begebenheiten der vorangehenden Kapitel). Heute lese ich nur zwei Aspekte, die mich eher nachdenklich stimmen. „Beim Glauben bleiben“ - als ob der rechte Glaube wichtiger sei als das rechte Handeln. Und „durch Bedrängnis hindurch in Gottes Reich hinein“ - was mir schon arg nach Jenseitsvertröstung klingt. Mit diesen Lesarten haben wir „Christen“ durch die Jahrhunderte hindurch ja einiges angerichtet. Aber ich glaube kaum, dass die Menschen überall zu Jesus-Anhängern geworden wären, wenn Paulus nur eine neue Bekenntnis-Wahrheit und eine Jenseits-Botschaft gehabt hätte. Vielmehr muss er den Menschen mit Respekt und Achtung begegnet sein und ihr Selbstbewusstsein über alle sozialen Schranken hinweg angesprochen haben: dass wir allesamt Glieder eines Leibes sind, unterschiedlich, aber gleich wertvoll (wie er wenig später den Korinthern schreibt). Vermutlich etwas, das die damaligen Synagogen und die griechisch-römischen Tempelkulte nicht bieten konnten.
Können wir das noch bieten? Sind wir selbstbewusst genug um zu spüren (und einzufordern), dass alle Christinnen und Christen gleich wertvoll sind? Oder sind wir nur noch in der Kirche dabei, um beim Glauben zu bleiben und dereinst in Gottes Reich zu kommen? Sind wir zu Ruinen geworden, wie Perge, Derbe, Lystra und Antiochia?
Einen nachdenklichen, gleichwohl österlichen Sonntag wünscht
Tobias Grimbacher
Foto: Antike Ruinen Perge-Antalya © 07 özlem arli