Sonntagsbrief zum 4. Sonntag in der Österlichen Bußzeit, 6. März 2016

5. März 2016 von Anna Röder

„Steht auf aus dem Tod“

Sonntagsbrief zum 4. Sonntag in der Österlichen Bußzeit, 6. März 2016

Wilhelm Morgner: Der verlorene Sohn -Quelle: http://www.zeno.org - Contumax GmbH & Co. KGEs kamen immer wieder alle, die beim Zoll beschäftigt waren und zu den Sündern gezählt wurden, um ihn zu hören. Die Angehörigen der pharisäischen Glaubensrichtung und die Schriftgelehrten murrten und sagten: „Der akzeptiert ja sündige Leute und isst mit ihnen!“ Jesus aber gab ihnen folgenden Vergleich: „Ein Mann hatte zwei Söhne. Der jüngere von ihnen sagte zum Vater: ´Vater, gib mir den Teil des Vermögens, der mir zusteht.` Und er verteilte seine Habe an sie. Bald danach nahm der jüngere Sohn alles mit sich und zog in ein fernes Land. Dort verschleuderte er sein Vermögen und lebte in Saus und Braus. Nachdem er aber all das Seine durchgebracht hatte, kam ein gewaltiger Hunger in jenes Land, und er begann, Not zu leiden. Er zog los und begab sich in die Abhängigkeit eines Bürgers jenes Landes, und der schickte ihn auf die Felder, seine Schweine zu hüten. Er hätte sich unheimlich gern satt gegessen an den Schoten des Johannisbrotbaums, die die Schweine fraßen, aber niemand gab ihm davon. Da ging er in sich und sagte: So viele Tagelöhner und Tagelöhnerinnen meines Vaters haben Brot im Überfluss – und ich komme hier um vor Hunger! Ich stehe auf, wandere zu meinem Vater und sage zu ihm: ´Vater, ich habe gesündigt gegen den Himmel und vor dir. Ich bin nicht mehr wert, dein Sohn zu heißen. Mach' mich zu einem deiner Tagelöhner!` Er stand auf und ging zu seinem Vater. Schon von ferne sah ihn sein Vater kommen, und Mitleid regte sich in ihm, und er eilte ihm entgegen, fiel ihm um den Hals und küsste ihn. Der Sohn sprach zu ihm: ´Vater, ich habe gesündigt gegen den Himmel und vor dir. Ich bin nicht mehr wert, dein Sohn zu heißen.` Der Vater aber sagte zu seinen Sklaven und Sklavinnen: ´Schnell, bringt das beste Kleid her und zieht es ihm an, steckt ihm einen Ring an die Hand und Sandalen an die Füße! Holt das Mastkalb und schlachtet es, lasset uns essen und fröhlich sein! Denn dieser, mein Sohn, war tot und ist wieder lebendig, er war verloren und ist gefunden!` Und sie begannen sich zu freuen.

Sein älterer Sohn aber war auf dem Feld. Als er heimkam und sich dem Haus näherte, hörte er Singen und Tanzschritte. Er rief einen der jungen Sklaven und fragte ihn, was denn sei. Der aber sagte ihm: ´Dein Bruder ist gekommen, und dein Vater ließ das Mastkalb schlachten, weil er ihn gesund wieder erhalten hat!` Da wurde der Bruder wütend und wollte nicht hineingehen. Sein Vater aber kam heraus und lud ihn ein. Er antwortete aber seinem Vater: ´Siehe, ich diene dir schon so viele Jahre und habe nie ein Gebot von dir übertreten, und nie hast du mir einen Bock gegeben, damit ich mit meinen Freunden fröhlich wäre. Nun aber kommt dein Sohn, der deine Habe mit Unzüchtigen verfressen hat, und du lässt für ihn das Mastkalb schlachten!` Er sagte zu ihm: ´Kind, du warst alle Zeit mit mir zusammen, und alles, was mir gehört, gehört auch dir. Nun ist es Zeit, sich zu freuen und fröhlich zu sein, weil dein Bruder, der tot war, lebendig ist. Er war verloren und ist gefunden!`“

Lk 15,1-3.11-32
Bibel in gerechter Sprache

„Ein Mann hatte zwei Söhne“- diese Geschichte, die wir schon oft gehört haben, handelt vom sogenannten „verlorenen Sohn“ oder vom „barmherzigen Vater“- je nach Blickwinkel. Kennen wir sie wirklich? Schnell assoziieren wir Begriffe wie Schuld und Reue, Umkehr und das Bekenntnis von Irrwegen und daran gekoppelt eine große Barmherzigkeit in der Wiederaufnahme. Je nach Deutung liegt der Fokus auf dem „Verlorensein“ oder der „Barmherzigkeit Gottes“.

Das Gleichnis, das Jesus seinen Zuhörern, vor allem an die Pharisäer und Schriftgelehrten gerichtet, erzählt, ist die Geschichte einer Emanzipation: der Lösung des jüngeren Sohnes vom Elternhaus durch ökonomische und rechtliche Selbstständigkeit. Der Vater steht ihm nicht im Weg; nein, er erkennt das Erbrecht an und zahlt ihn aus. Der Sohn verlässt seine alten Bindungen, will seine Freiheit erleben, berechtigterweise also erwachsen und autonom werden.

Aber es gelingt ihm nicht: desillusioniert und mit großen ambivalenten Gefühlen des Heimwehs kehrt er zurück und erlebt seine Wiederaufnahme in die alten Bindungen mit großem Fest, Musik und Tanz. Der ältere Bruder jedoch steht an den Rand gedrängt mit großem Frust und vielen Fragen. Das Ende ist bewusst offen gelassen. Es wird nicht erzählt, ob und wie er mit dieser Situation zurechtkommt.

Jesus als Erzähler nimmt im Gleichnis die Position des Vaters der Söhne ein. Er fordert die Pharisäer zu konkreten Positionierungen heraus. Werden sie sich mit Zöllnern an einen Tisch setzen, oder werden sie dem Fest fernbleiben und auf Rache sinnen? “Außerhalb des Hauses ‚Kirche’ findest Du kein Heil“… Jetzt wird klar, wie die Rollen in dem Gleichnis verteilt sind. Jesus macht sehr deutlich, warum ER Feste mit Zöllnern, Armen, Verlorenen feiert: nicht, um streng und unnachsichtig mit ihnen umzugehen und ihnen unverhältnismäßige Lasten aufzuerlegen, sondern um zu lieben, loszulassen und das Verlorene aufzuwerten und zu erheben. Er sagt damit:  Meine Geschichte mit deinem jüngeren Bruder verstehe ich als eine Geschichte von Totenerweckung, Wiederfindung  und Leben. Seid auch ihr einverstanden mit der Liebe, sie kommt auch euch zu gute. Wer weiß, wann und wie. Freut euch mit denen, die tot waren und lebendig werden. Steht auf aus dem Tod, den der Neid und der Hass euch selbst bereiten.

Regina Grotefend-Müller

Link zum Bild: www.zeno.org/Kunstwerke/B/Morgner,+Wilhelm%3A+Der+verlorene+Sohn
Quelle: http://www.zeno.org - Contumax GmbH & Co. KG
Bildrechte: Nach unserer Information Gemeinfrei

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