Sonntagsbrief zum 4. Sonntag der Osterzeit 22. April 2018

20. April 2018 von Sigrid Grabmeier

Offene Tür

Schafstall Lethe-Heide bei Bissel (Großenkneten, Niedersachsen)

„Ich bin der gute Hirte. Der gute Hirte gibt sein Leben für die Schafe. Bezahlte Angestellte, die nicht Hirtinnen oder Hirten sind, und denen die Schafe nicht gehören, die sehen den Wolf kommen und verlassen die Schafe und fliehen – und der Wolf raubt die Schafe und treibt sie auseinander. Dies geschieht, weil sie bezahlte Angestellte sind und ihnen nichts an den Schafen liegt. Ich bin der gute Hirte und ich kenne die Meinen und die Meinen kennen mich, so wie mich Gott wie eine Mutter kennt und ich Gott kenne. Und ich gebe mein Leben für die Schafe. Aber ich habe noch andere Schafe, die nicht von diesem Hof stammen; auch diese muss ich führen und sie werden meine Stimme hören, und sie alle werden eine Herde mit einem Hirten sein. Deshalb liebt mich Gott, weil ich mein Leben gebe, um es wieder zu empfangen. Kein Mensch nimmt es von mir, sondern ich gebe es von mir selbst aus. Ich habe Macht, es zu geben, und ich habe Macht, es wieder zu empfangen. Diesen Auftrag habe ich von Gott, meinem Ursprung, empfangen.“ 

Joh 10,11-18 Bibel in gerechter Sprache

 

„Die Kirche ist der Schafstall und Christus ist die Tür.“ - Diesen Satz posaunte unser zweiter Sohn bei seiner Ministranteneinführung als den von ihm gewählten Spruch ins Mikrofon. Die ganze Kirche lachte und mein Mann und ich, wir blickten uns etwas ungläubig an. Da hatte dieser Pimpf doch glatt den Satz aufgeschnappt, über den wir uns ein paar Tage vorher etwas amüsiert hatten. Der Satz steht in Lumen Gentium 6: „So ist die Kirche der Schafstall, dessen einzige und notwendige Tür Christus ist.“ Er bezieht sich auf eine Passage zwei Sätze vor dem heutigen Text:

„Ich bin die Tür für die Schafe. Alle, die vor mir kamen, sind Diebe und Räuberinnen; aber die Schafe haben nicht auf sie gehört. Ich bin die Tür; alle, die durch mich hineingehen, werden gerettet werden und hineingehen und hinausgehen und Weide finden. Diebische Menschen kommen nur um zu stehlen und zu töten und zu vernichten. Ich bin gekommen, damit alle Leben und Überfluss haben. (Joh 10,7-10)

 Auf die Frage, warum er sich für diesen Satz entschieden hätte antwortete er uns später: „Weil ich mir das so gut vorstellen konnte. Der Schafstall, da gehen die Schafe hinein, weil es warm und sicher ist und es Futter gibt und Jesus passt auf, dass alles in Ordnung ist.“ Er hatte zweifellos ein viel positiveres Kirchenbild als ich.

An diese Episode musste ich denken, als ich mir den heutige Text durchlas. Aus den Worten meines Sohnes sprach die Überzeugung: Es gibt einen Ort, da bin ich gut aufgehoben und es gibt jemanden, der dafür Sorge trägt. Und das ist ja eine Hoffnung, eine Sehnsucht, die tief in uns allen wohnt.

Mit seinem Hirtenbild ruft Jesus bei den Zuhörenden das Gleichnis in Erinnerung, das sich schon bei Ezechiel 34 findet. Darin sagt Gott seinem Volk zu, dass er gegen die schlechten Hirten, die Machthaber, die ihr Volk ausbeuten, sie in Gefahr nicht schützen, nicht Recht schaffen und die Schwachen im Stich lassen, vorgehen wird, ja selbst zum Hirten werden wird und einen anderen, guten Hirten senden wird.Jesus spricht dieses Wort aus in einer Zeit, als in Israel die Mächtigen mit den Besatzern gemeinsame Sache machten und er selbst den Priestern und Pharisäern schon mehr als deutlich ihre Unaufrichtigkeit und Heuchelei vorgeworfen hatte. Damit ist dieses Gleichnis kein beschauliches Idyll, es ist ein Manifest des Widerstands. Und er outet sich als Gesandter Gottes, der die Hirtenaufgabe übernehmen wird.

]Mit seinem Bekenntnis. „Ich habe noch andere Schafe, die nicht von diesem Hof stammen; auch diese muss ich führen und sie werden meine Stimme hören, und sie alle werden eine Herde mit einem Hirten sein.“ geht er dann weit über das Bild des Ezechiel hinaus. Und das ist der Satz der mich am meisten fasziniert. Die offensichtliche Botschaft: „Das was ich zu sagen habe, betrifft nicht nur euch Juden. Es betrifft alle! Und dafür werde ich mich einsetzen, auch wenn es mich mein Leben kostet. Aber meine Botschaft und ich, wir sind nicht voneinander zu trennen. Mit meiner Botschaft öffne ich die Tür für alle Menschen, die auf der Suche nach Frieden und Gerechtigkeit sind.“ -

Ich wünsche mir für meine Kirche, dass sie diese Botschaft in Zukunft besser versteht und nicht meint, diese Türe verrammeln zu müssen für Menschen, die die von Menschen erdachten Spielregeln nicht einhalten konnten oder für solche, die mit ihren Zweifeln und Widersprüchen auf dem Weg sind. Dann wäre das eine Kirche, die auch für mich Ort der Hoffnung und der Sehnsucht ist.

Sigrid Grabmeier

Bildnachweis:

Schafstall Lethe-Heide bei Bissel (Großenkneten, Niedersachsen) © Corradox

 

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