Sonntagsbrief zum 33. Sonntag im Jahreskreis, 19. November 2017

17. November 2017 von Sigrid Grabmeier

Vergrabenes Talent

© Guillaume Piolle Kuppel in der Hagia Sophia – Heilige Weisheit

Eine tatkräftige Frau – wer findet sie?
Weit mehr als Korallen ist sie wert!
Herz und Verstand ihres Mannes vertraut ihr.
An Gewinn mangelt es ihm nicht.
Sie tut ihm Gutes und nichts Böses ihr ganzes Leben lang.
Sie kümmert sich um Wolle und Leinen.
Voll Vergnügen arbeiten ihre Hände.
Sie ist wie die Schiffe der Kaufleute: Von weither bringt sie ihr Brot.
Sie steht auf, wenn es noch Nacht ist, gibt ihrem Haus, was es braucht,
und erteilt ihren Mitarbeiterinnen Anweisungen.
Sie plant, ein Feld zu kaufen, und tut es.
Sie pflanzt einen Weinberg vom Ertrag ihrer Hände.
Mit Kraft umgürtet sie ihre Hüften und macht ihre Arme stark.
Sie merkt, wie gut ihr Geschäft geht.
Auch in der Nacht erlischt ihre Lampe nicht.
Ihre Finger greifen den Spinnrocken, und ihre Hände halten die Spindel.
Für die Rechtlosen breitet sie ihre Arme aus,
und ihre Hände reicht sie den Armen.
Sie fürchtet für ihr Haus nicht den Schnee,
denn ihr ganzes Haus trägt doppelte Kleidung.
Decken stellt sie für sich her. Ihr Kleid ist aus feinstem Purpur.
Berühmt wird ihr Mann in den Toren der Stadt,
wenn er bei den Ältesten des Landes sitzt.
Ein Hemd fertigt sie und verkauft es.
Einen Gürtel liefert sie den Kaufleuten.
Macht und Hoheit sind ihr Gewand.
Auf den nächsten Tag freut sie sich.
Ihren Mund öffnet sie mit Weisheit,
und Lehre voll Liebe ist auf ihrer Zunge.
Sie achtet darauf, was in ihrem Haus geschieht.
Das Brot der Faulheit isst sie nicht.
Ihre Kinder stehen auf und preisen sie glücklich. Ihr Ehemann rühmt sie:
„Viele Töchter handeln mit Tatkraft, doch du übertriffst sie alle!“
Anmut ist trügerisch und flüchtig die Schönheit.
Eine Frau, die die EWIGE achtet und ehrt, kann sich rühmen.
Gebt ihr Anteil am Ertrag ihrer Hände,
denn ihre Werke rühmen sie in den Stadttoren!
 

Sprüche 31, 10-31 (31,10-13.19-20.30-31) Bibel in gerechter Sprache 

Dieser Lesungstext, der wohl zu den eher unbekannteren gehört, und der nach der Leseordnung auch nur bruchstückhaft gelesen werden soll, bringt eine hohe Wertschätzung gegenüber Frauen zum Ausdruck. Das Buch der Sprüche ist eines der Bücher des Alten Testaments, das sich speziell mit Weisheit und ihrer Bedeutung für das tägliche Leben beschäftigt. Und diese Weisheit wird im letzten Kapitel in die Züge und Eigenschaften einer Frau gekleidet: fleißig, vorausschauend, kreativ, liebevoll, barmherzig, klug, wachsam.

Im Evangelium nach Matthäus (25,14-30) geht es heute um die Knechte, die von ihrem Herren in unterschiedlicher Anzahl Talente anvertraut bekamen. Der, der nur eines bekam, vergrub es. Er wusste nicht so recht, was er damit anfangen sollte. Die Assoziation, die sich mir beim Lesen und Nachdenken über die heutigen Texte nahezu aufdrängte war diese: Sicher hat die Kirche nicht nur ein Talent anvertraut bekommen, mit vielen hat sie tatsächlich auch gut gewirtschaftet. Aber das eine, die Frauen, das ist im Verlauf ihrer Geschichte tief vergraben worden. Ein Teil der Kirche hat spät aber immerhin dieses Talent wieder ausgegraben. Ein anderer Teil beharrt auf seiner Unfähigkeit, mit diesem Talent etwas anfangen zu können, leugnet sogar die spezielle Befähigung.

Was würden all die Verhinderer der vollen Gleichberechtigung der Frauen auch in der Kirche wohl dem Herren antworten, wenn er ihnen am Ende der Tage ihre Ignoranz und Selbstherrlichkeit vorwirft?

Sigrid Grabmeier

Bildnachweis © Guillaume Piolle Kuppel in der Hagia Sophia – Heilige Weisheit - Hagia Sophia

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