Sonntagsbrief zum 33. Sonntag im Jahreskreis, 18. November 2018

17. November 2018 von Günther Doliwa

Motivation durch Einladung – nicht durch Drohkulissen!

Hans Memling, etwa 1433 –1494, Ausschnitt aus dem Triptychon

 

 

In den Tagen nach jener Qual wird sich die Sonne verfinstern und der Mond nicht mehr scheinen, und die Sterne werden vom Himmel fallen und die Kräfte im Himmel werden erschüttert werden. Dann werden sie die himmlische Menschengestalt inmitten der Wolken kommen sehen mit viel Vollmacht und Glanz. Dann wird Gott die Engel aussenden und die Erwählten aus allen vier Himmelsrichtungen vom Anfang der Erde bis zum Ende des Himmels versammeln.

 Vom Feigenbaum lernt das Gleichnis: Wenn sein Zweig schon junge Triebe zeigt und die Blätter wachsen, werdet ihr erkennen, dass der Sommer nahe ist. So werdet ihr, wenn ihr dies geschehen seht, auch erkennen, dass Gott nahe vor der Tür steht. Ja, ich sage euch: Diese Generation wird nicht vorüber sein, bis dies alles geschieht.

 Himmel und Erde werden zerbersten, aber meine Worte werden für immer Bestand haben. Niemand außer Gott kennt jenen Tag oder jene Stunde, auch nicht die Engel im Himmel oder Gottes Kind. 

Mk 13, 24-32

 Bibel in gerechter Sprache

 

Motivation durch Einladung – nicht durch Drohkulissen!

 

 

Daniel spricht (12,1-3) vom Engelsfürst Michael und vom Erheben aus dem Staub (Tod). Die Rede ist von einem Erwachen – zum Gericht, das Gut und Böse spaltet: Die einen gehen ins ewige Leben, vergleichbar dem Strahlen der Sterne; die anderen dorthin, wo nur Abscheu übrig bleibt. Das sollte ein Trost sein! - Das soll ein Trost sein?

Daniel, ein deportierter Jüngling, Aufsteiger und einer der drei Oberstatthalter des Reiches, deutet Träume, legt Proben des Glaubens ab. Michael, Völkerengel, Himmelsfürst, der die Einzigkeit Gottes verteidigt, behütet Israel und rettet nach einer Zeit furchtbarer Bedrängnisse (Pogrome). Reiche kämpfen gegeneinander wie Widder (Perser) und Ziegenbock (Alexander). Das Un-Tier wird vernichtet. Der Menschensohn rückt an die rechte Seite Gottes und herrscht und richtet über alle Völker. Finale!

Das Daniel-Buch ist ein „Zeugnis der Apokalyptik“, die erste Deutung der Weltgeschichte als böses Schauspiel mit spektakulärem (und spekulativem) Ende als Gericht, mächtig dargestellt von Michelangelo in der Sixtinischen Kapelle. Welt und Heil im dualistischen Spannungsverhältnis. Worum geht es? Um Tröstung der Verfolgten mit der Aussage: Gott plant – auch das Ende. Treue zu ihm ist nicht umsonst.

Die Liturgie setzt eine zweite Lesung drauf, welche die Einzigartigkeit des Opfers Jesu in den Zusammenhang der Vergebung stellt, also das Gericht abschwächt: Vom vergeblichen, immer gleichen Opfern der Priester und von der besonderen Vergebung dank Jesu einzigem Opfer (Hebr 10,11ff). Dabei war Jesus kein Opferpriester, sondern ein Opfer der Priester. Sie lieferten ihn ans Kreuz. Das wird nicht reflektiert.

 

Das Evangelium kommt von Markus (Mk 13,24-32). Es geht um alles oder nichts: Vom Kairos der Welt-Katastrophe zu unbekannter Stunde. Das ist Apokalypse pur, wenn die Sterne vom Himmel fallen, die Gravitation zusammenbricht und die Fliehkräfte heillos werden. Ein Alptraum. „Krieg der Sterne“ ist nichts dagegen! Letzte Enthüllung. Das ist Futter für Verschwörungstheoretiker. Ein Fest für Ressentiment-Geladene!

Wir würden das große Ende, den großen Schluss-Knall, heute anders beschreiben. Vor 5 Milliarden Jahren entstand unsere Sonne, ein Himmelsauge neben Milliarden anderen. Sie zieht acht Planeten in ihren ruhigen, elliptischen Bahnen wie eine dauernd pulsierende Spirale hinter sich her. Die kosmische Wendeltreppe ist der Vergänglichkeit unterworfen. Eines ziemlich fernen Tages, in 5 Milliarden Jahren, wird sie sich zu einem so genannten Roten Riesen aufblähen und in sich zusammenstürzen... Rote Riesen – das klingt fast mythisch. So fern, dass wir uns getrost zurücklehnen können. Eine evolutionäre Weltsicht kann ein Finale schwer denken.

Das NT aber weiß von Prognosen der Naturwissenschaft nichts. Es spricht anders, um im verstörten Nachhinein das Jesus-Ereignis zu deuten. Nach der Zeit der Not erwachen Tote, werden Auserwählte durch Engel zusammengeführt auf Befehl des Menschensohns. Wer ist das? Das ist der mit „Messias“, „Christus“, „Menschensohn“ Betitelte, der auf den Wolken daher fährt wie Elija. Der Menschensohn ist der Menschenrichter.

Gericht als gerechter Trost? Ist Martyrium auszuhalten ohne Stern der Hoffnung auf eine Gerechtigkeit, der selbst die Mächtigsten nicht entgehen? Ist der Tod zu ertragen ohne einen Hauch Hoffnung, dass die Gemordeten erwachen, um das Recht strahlen zu sehen? Und wer verbürgt diese Hoffnung? Eben der, den sie Menschensohn nennen.

Dieses Denken hat seinen Preis. Die Welt vom Gericht her zu denken, zwängt Gott in die Richterrolle. Soll der nun Gnade vor Recht ergehen lassen? Und wann sollte dies geschehen? Das Ende steht - vor der Tür (die nicht leicht zu finden ist). Ein großer Irrtum, dem scheinbar die Christen erlagen, auf dieses Ende binnen einer Generation zu warten!

Der Feigenbaum wird Lehrer. Steigt der Saft in die Zweige, treibt er Blätter, naht der Sommer, lassen sich Zeichen lesen als Vorboten. Auch Jesus war nicht allwissend. Kein Mensch weiß Tag noch Stunde, „nicht einmal der Sohn, sondern allein der Vater.“ (Mk13,32)

Spekulieren hat keinen Zweck, liebe Zeugen Jehovas! Liebe Verschwörungsliebhaber! Wer beherrscht schon die Kunst, die berühmten „Zeichen der Zeit“ zu entschlüsseln!? Wem aber soll der vorgestellte Untergang (nicht nur des Abendlands, nein, der ganzen Welt) Eindruck machen? Quintessenz aller Ängste: Gottes menschenfreundliches Wort aus Jesu Mund bleibt bestehen! „Himmel und Erde werden vergehen, aber meine Worte werden nicht vergehen.“ Verzweiflung, Panik sind keine Lösung – erst recht nicht auf der Titanic. Sein Wort gilt.

 

Wie können wir aber Jesu Wort, d.h. seine Botschaft vom Reich Gottes, überhaupt richtig verstehen? „Um den historischen Jesus von Nazareth zu verstehen, ist auch nicht von den Titeln auszugehen, die ihm nach seinem Tod gegeben wurden (Davidsohn, Messias/Christus, Menschensohn, Kyrios, Sohn Gottes)… Die von ihm überlieferten Worte sind die eines Weisheitslehrers, doch fehlt seiner Rede jede Spekulation über den Zeitablauf künftiger Ereignisse, so wie ihm auch die typischen Kennzeichen prophetischer Beauftragung abgehen.“ (Hubertus Halbfas, So bleib doch ja nicht stehn. Mein Leben mit der Theologie 2015,S. 190) Apokalyptische Rede wird ihm im NT also in den Mund gelegt. Und weiter:

„Im Unterschied zum Täufer betont Jesus auch nicht das kommende Gottesgericht, sondern die Gottesherrschaft, die den aktuellen Tag meint. Jene, die sich ihr öffnen, können die Gottesherrschaft heute schon wirklich werden lassen. Nicht durch Drohung, sondern durch Einladung zur Teilhabe motiviert Jesus seine Hörer. Während die Schüler des Johannes fasten, sieht er für sich dazu keinen Anlass. Das zentrale Symbol realisierter Gottesherrschaft ist eine egalitäre Tischgemeinschaft, die in ihren Konsequenzen jedoch über alles hinausgeht, was gesellschaftliche Konventionen billigen. Jesus als Lehrer anzunehmen, verlangt nicht einmal, ihm eine besondere Würde zuzusprechen, sondern der ungewöhnlichen Herausforderung seiner Lehre im eigenen Tun zu entsprechen.“ (Ebd. 190f)

Wie oft hat die Uhr schon auf Fünf vor Zwölf gestanden?! Noch immer ist Zeit für uns, Zeit zu handeln,, Flüchtlinge aus und vor dem Meer zu retten, die globale Klimakatastrophe abzuwenden, das Plastik (in der Flächengröße von Europa) aus dem Meer zu fischen, Wälder stehen zu lassen oder aufzuforsten, Wüsten zu verhindern, Hungersnöte zu beenden, den Finanzkapitalismus zu fesseln, Steuerbetrug zu ahnden, Güter gerechter zu verteilen, Vernichtungskriege zu entschärfen, (Atom-)Waffen zu verschrotten, den Hass des Fundamentalismus und Rechtsextremismus zu begraben und wo es nur geht Frieden zu stiften.

Für Wir sind Kirche mag das heißen, sich auf keinen Fall weiter einseitig rein binnenkirchlich zu fixieren, fruchtlos die immer gleichen Themen und Kämpfe auszutragen, sondern daran Teil zu haben, eine gerechtere Welt auszukundschaften. Nichts kann bleiben wie es ist. Eine „post-klerikale“ Kirche entgrenzt sich selbst, ist „drinnen daheim und draußen zuhause“ (Christian Bauer), setzt sich mit Herz, Hirn und Hand ein, um eine schönere und menschenwürdigere Welt zu schaffen für die Generationen, die nach uns kommen. Ohne apokalyptische Drohkulissen!

 Günther M. Doliwa

Bildnachweis: Hans Memling: Das Jüngste Gericht, Ausschnitt; 

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