Sonntagsbrief zum 32. Sonntag im Jahreskreis, 12. November 2017
11. November 2017 von Reinhard Olma
Vorbereitet hoffen
Dann wird die Welt Gottes mit der Wirklichkeit in der folgenden Geschichte über zehn junge Frauen verglichen werden: Sie nahmen ihre Fackeln und gingen hinaus, um dem Bräutigam zu begegnen. Fünf von ihnen waren naiv und fünf schlau. Denn die naiven nahmen ihre Fackeln, aber kein Öl mit sich. Die schlauen jedoch nahmen Öl in den Gefäßen mit ihren Fackeln mit. Als der Bräutigam auf sich warten ließ, wurden sie alle müde und schliefen ein. Mitten in der Nacht ertönte Geschrei: ´Da ist der Bräutigam. Geht hinaus, um ihm zu begegnen.` Da wachten diese jungen Frauen alle auf und machten ihre Fackeln zurecht. Die naiven sagten zu den schlauen: ´Gebt uns von eurem Öl, denn unsere Fackeln verlöschen.` Die schlauen antworteten: ´Dann wird es bestimmt nicht für uns und euch reichen. Geht lieber zu den Händlern und kauft welches für euch.` Während sie weggingen, um einzukaufen, kam der Bräutigam, und die fertig vorbereiteten gingen mit ihm zur Hochzeitsfeier, und die Tür wurde geschlossen. Später kamen die übrigen jungen Frauen und sagten: ´Herr, Herr, öffne uns.` Er aber sagte: ´Das sage ich euch: Ich kenne euch nicht.` Seid wach, denn ihr kennt weder Tag noch Stunde!
Mt 25, 1-13 Bibel in gerechter Sprache
Wir wollen euch, Schwestern und Brüder, über die Entschlafenen nicht unwissend lassen, damit ihr nicht traurig seid, wie es die anderen sind, die keine Hoffnung haben. Wenn wir nämlich glauben, dass Jesus starb und vom Tod aufstand, dann wird Gott wegen Jesus die Entschlafenen genauso mit ihm führen.
1 Tess 4, 13-14 (13-18) Bibel in gerechter Sprache
Wie kann man denn das Öl vergessen! Das ist wieder typisch! Die „doofen“ Frauen! Und das sagt ausgerechnet Jesus, der doch sonst recht unbeeindruckt von der zeitgemäßen öffentlichen Meinung mit Frauen umgeht und sie akzeptiert? Und Paulus scheint ja ganz genau zu wissen, was mit den Verstorbenen passieren wird, obwohl es tausende unterschiedliche Meinungen und Deutungen dazu gibt. Woher kommt denn plötzlich diese Gewissheit?
Natürlich geht es bei den klugen und törichten Jungfrauen überhaupt nicht um Genderproblematik und Paulus will uns auch nicht wirklich sagen, wie es genau abläuft, wenn es mal so weit ist. Beide Texte beschäftigen sich mit dem Reich Gottes, also mit der Zeit nach unserem Erdenleben. Aber wie unterschiedlich sind sie – auf der einen Seite der Aufruf zu ständiger Wachsamkeit, dem nur die klugen Jungfrauen gerecht geworden sind – auf der anderen Seite die fröhliche, fast unbeschwerte Hoffnung, dass zum Schluss auch ohne unser Zutun alles gut wird, egal wann und unter welchen Umständen sich unsere Lebenszeit erfüllt hat.
In einem interessanten Beitrag in Publik-Forum 19/2017 mit dem Titel „Bezeugen alle Religionen denselben Gott?“ stellt der Religionswissenschaftler Perry Schmidt-Leukel fest, dass Jesus und Paulus durchaus nicht das gleiche Gottesbild haben. Während Jesus den strikten Monotheismus des jüdischen Volkes teilte, treffen wir bei Paulus auf ein spätjüdisches Gottesbild, das durch sein Verständnis der Rolle Jesu besonders geprägt ist.
Ja, der Glaube kann sich in unterschiedlichen Formen und auf unterschiedliche Weise ausdrücken. Das haben wir inzwischen in manchmal schmerzlichen Prozessen auch in unserer Kirche gelernt. Schließlich ist jeder Mensch einzigartig, mit speziellen Anlagen und Fähigkeiten, mit einem ganz individuellen Lebensweg und persönlichen Erfahrungen.
Wenn uns aber Gott so verschieden geschaffen hat, dann will er auch die ganze Vielfalt im Glauben. Und keiner hat das Recht, mein persönliches Gottesbild in Zweifel zu ziehen. Natürlich kann man sich darüber austauschen und ich werde auch die eine oder andere Vorstellung im Laufe meiner Entwicklung und durch den Austausch mit anderen korrigieren – aber immer, wenn mir jemand vorschreiben will, was ich glauben oder nicht glauben soll, werde ich misstrauisch.
Jesus gibt uns ganz direkte Hinweise zu einem selbstbestimmten und eigenverantwortlichen Leben; mehr noch durch sein Handeln, als durch Worte. Aber wenn er Aussagen dazu macht, bedient er sich dabei ganz verständlicher Beispiele aus dem täglichen Leben; hier bezieht er sich auf den Ablauf eines jüdischen Hochzeitsfests, der seinen Zuhörern bekannt ist. Die einfache und deutliche Botschaft lautet: Sei vorbereitet auf das, was kommen wird!
Paulus wiederum ist vom Gedanken der Auferstehung fasziniert. In seinen oftmals von Selbstzweifeln geprägten Überlegungen ist ihm plötzlich bewusst geworden, dass es ja gar nicht anders sein kann – wenn Jesus auferstanden ist, dann werden wir auch auferstehen! Das will er seinen Gemeinden mitteilen und dabei vor allem neue Hoffnung wecken: Wir sind bereits erlöst und können darauf bauen, in dieses Erlösungswerk eingebunden zu sein. Und so entsteht das tröstliche Bild, dass der Herr vom Himmel herabkommen und uns alle an sich ziehen wird. Schön, dass dieser Text so kurz nach dem Reformationsjubiläum ausgewählt wurde, er ist ja recht nah bei Luther.
Sind diese beiden Positionen widersprüchlich? Ich glaube nicht.
Mit meinen Kräften, Anlagen und Fähigkeiten dafür zu sorgen, dass „immer genug Öl in der Lampe“ ist, das will ich versuchen. Aber es kommt nicht allein auf mich an. Wenn es mir einmal nicht gelingt, muss ich nicht verzweifeln: Schließlich bin ich ja schon erlöst!
Wenn wir uns dafür einsetzen, dass die Welt auch nur ein wenig besser wird; wenn wir etwas dafür tun, dass die Armen etwas weniger arm sind, die Rechtlosen etwas mehr Rechte bekommen, die Hungernden mehr zu essen haben, die Flüchtlinge ein wenig mehr Heimat finden und die Umwelt durch unser Handeln etwas weniger zerstört wird – dann können wir getrost in dieser Hoffnung leben.
Reinhard Olma