Sonntagsbrief zum 32. Sonntag im Jahreskreis, 11.November 2018

10. November 2018 von Reinhard Olma

Brot und Rosen

Hl. Elisabeth von Thüringen

Elija machte er sich auf und ging nach Sarepta. Und als er zum Stadttor kam, war da tatsächlich eine Witwe, die Holz zusammenlas. Er rief ihr zu: „Bring mir doch ein wenig Wasser in einem Gefäß, damit ich trinke!“ Und als sie hinging, um es zu holen, rief er ihr nach: „Bring mir doch auch einen Bissen Brot in deiner Hand!“ Da sagte sie: „So wahr DIE EWIGE, deine Gottheit, lebt: Ich habe nichts Gebackenes außer einer Hand voll Mehl im Topf und ein wenig Öl im Krug. Nun, nachdem ich ein paar Holzscheite zusammengelesen habe, werde ich hineingehen und für mich und meinen Sohn etwas zubereiten. Und wir werden essen und sterben.“ Elija sagte zu ihr: „Fürchte dich nicht, geh und bereite es ganz nach deinem Wort zu. Bereite davon nur für mich zuerst einen kleinen Brotfladen und bring ihn mir heraus – für dich und deinen Sohn sollst du erst danach etwas machen. Denn so spricht DIE EWIGE, die Gottheit Israels: Das Mehl im Topf geht nicht zu Ende und das Öl im Krug nimmt nicht ab bis zu dem Tag, an dem DIE EWIGE es auf den Erdboden regnen lässt.“ Da ging sie hin und handelte nach Elijas Anweisungen. Und sie hatte zu essen, er und sie und ihr Haus, Tag für Tag. Das Mehl im Topf ging nicht zu Ende und das Öl im Krug nahm nicht ab ganz nach dem Wort DER EWIGEN, geredet durch Elija.

1 Könige 17, 10-16 Bibel in gerechter Sprache 

 

Brot und Rosen

Ich liebe diese Geschichte von der Witwe, die resigniert und quasi mit ihrem Leben bereits abgeschlossen hat, und die völlig irrationale Überwindung ihrer Nöte durch den Propheten Elija!

Da stehe ich sicher nicht allein, sonst käme das Thema nicht in so vielen Varianten immer wieder vor: Im Märchen „Der süße Brei“ zum Beispiel oder auch in der Verszeile „Wenn Du denkst es geht nicht mehr, kommt von irgendwo ein Lichtlein her“. Aber auch das neutestamentliche Wunder der Brotvermehrung ist in gewisser Weise eine Variante dieser Geschichte.

Es entspricht unserer heimlichen Sehnsucht, dass es Hilfe gibt, wenn unsere Kräfte und Ideen nicht mehr ausreichen; dass uns jemand an die Hand nimmt und aus dem Dilemma herausführt, wenn wir ganz unten, in tiefer Verzweiflung sind.

Unserem heutigen gesellschaftlichen Selbstverständnis entspricht das ganz und gar nicht. „Jeder ist für sich selbst verantwortlich“, heißt es da; oder „Jeder ist seines Glückes Schmied“; „Hilf dir selbst, dann hilft dir Gott“.

In unserer heutigen Geschichte aus dem 1. Buch der Könige ist das „Wundermittel“, den Bedürftigen mit den eigenen bescheidenen Mitteln zu helfen, ohne lange darüber nachzudenken, ob dann noch etwas für uns übrig bleibt. So, als würden solche Impulse tätiger Nächstenliebe Signale in die Gesellschaft senden, die sie verändern können. Aber ist das so?

Viel plausibler erscheint da doch die Warnung vor den Schriftgelehrten, die Markus aufgeschrieben hat. „Nehmt Euch in acht vor den Schriftgelehrten!“ - Jesus würde vermutlich auch heute mit Mächtigen in Kirche und Gesellschaft hart ins Gericht gehen, die sich an Macht und Besitz klammern; die Kluft zwischen Wohlhabenden und Armen stetig vergrößern und rücksichtslos unseren Lebensraum und die menschliche Kultur und Solidarität zerstören:

„ Wir kommen zuerst!“, „Schützt unseren Besitz vor den Wirtschaftsflüchtlingen und den Sozialschmarotzern!“, „Wir müssen unsere Kultur vor den fremden Einflüssen bewahren!“ Diese Parolen bestimmen heute wesentlich Aussagen einflussreicher Politiker, die leider auch – z. B. in den USA – von einigen Bischöfen und Kardinälen unserer Kirche unterstützt werden.

Was kann dagegen die Witwe ausrichten, die die zwei kleine Münzen für die Armen spendet, obwohl sie selbst bedürftig wäre; was können da die Ärzte und Priester in den Slums dieser Welt ausrichten, die einen schier aussichtslosen Kampf gegen Hunger, Elend und Tod führen?

Was kann der Amazonas-Bischof Kräutler in Brasilien in seinem Kampf gegen den Wahnsinn eines geplanten Staudammbaus am Rio Xingu ausrichten, jetzt wo der Rechtspopulist Bolsonaro auch noch die Wahl in Brasilien gewonnen hat und mit Gewalt gegen alle seine Kritiker vorgehen will und wird?

In unserer Welt scheint kein Raum zu sein für die kleinen Gesten der Barmherzigkeit und Güte; kein Platz für die alltäglichen Wunder der Mitmenschlichkeit, die uns zeigen könnten, dass es noch etwas anderes gibt, als den rücksichtslosen Kampf um Macht, Geld und Konsum, als Egoismus und das Streben nach Selbstverwirklichung koste es was es wolle.

Und doch ist da diese Sehnsucht, dass es anders sein könnte, dass es noch andere Kräfte gibt, die im Menschen sind, um eine bessere Welt zu schaffen. Und die Sehnsucht, dass sich diese Kräfte, dass sich das Gute, das Gott in diese Welt gelegt hat, trotz allen durchsetzen kann.

Ja, ich liebe diese Geschichten; die vom Propheten Elija und der Witwe, die von der Speisung der 5000; die von den lebensspendenden Brunnen in den Wüsten Afrikas, die von den Mehrgenerationenhäusern und den Suppenküchen. Und ich glaube, dass sie etwas bewirken können und die Welt besser machen.

Warum ich das glaube? Weil es nicht ausschließlich auf unsere schwachen Kräfte ankommt. Es war nur eine Handvoll Mehl, es waren nur 5 Brote und 2 Fische, es waren nur ein paar Pfennige einer armen Frau, die Wunder möglich machten. Und sie wurden möglich, weil Gott augenscheinlich andere Maßstäbe, andere Pläne hat.

Lassen wir uns durch die Texte des heutigen Sonntags anregen, mit unseren bescheidenen Mitteln und Möglichkeiten selbst solche Impulse der Hilfsbereitschaft, Güte und Toleranz auszusenden in eine Gesellschaft, die vielleicht gar nicht mehr glaubt, dass so etwas möglich ist; die aber sehnsüchtig darauf wartet. Und schließlich passt das ja auch ganz wunderbar zum heutigen Martinstag.

Reinhard Olma

Brot und Rosen

Bildnachweis: 

Moriz Schlachter  (1852–1931)  

Figur "Hl. Elisabeth von Thüringen", 1894, vom linken Seitenaltar der Pfarrkirche St. Nikolaus (Friedrichshafen-Berg), inzwischen eingelagert; fotografiert in der Sonderausstellung Heilige Kunst aus dem Verborgenen im Museum Humpis-Quartier Ravensburg

Photo: Andreas Praefcke

 

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