Sonntagsbrief zum 31. Sonntag im Jahreskreis, 5. November 2017

3. November 2017 von Sigrid Grabmeier

Die Heuchler und ich

Brunnenfigur im Innenhof des Hotels Bischofshof in Regensburg

Darauf redete Jesus zur Menge und seinen Jüngerinnen und Jüngern. Er sagte: »Auf dem Stuhl Moses' sitzen toragelehrte und pharisäische Leute. Alles, was sie euch lehren, das tut und daran haltet euch. Aber haltet euch nicht an das, was sie tun, wenn ihre Worte nicht mit ihren Taten übereinstimmen. So binden sie schwere und unerträgliche Lasten zusammen und legen sie auf die Schultern der Menschen, selbst aber wollen sie sie nicht mit einem Finger bewegen. Alles, was solche Leute tun, ist darauf gerichtet, den Menschen ins Auge zu fallen. Sie machen ihre Gebetsriemen breit und vergrößern ihre Schaufäden; sie lieben den Ehrenplatz bei den Mahlzeiten und die Ehrenstühle in den Synagogen; sie lieben es, auf den Straßen begrüßt zu werden und von den Leuten Lehrer und Lehrerin genannt zu werden.

Ihr jedoch sollt euch nicht Lehrerin oder Lehrer nennen lassen, denn einer ist euer Lehrer und ihr untereinander seid alle Geschwister. Ihr sollt niemanden auf der Erde euren Vater oder eure Mutter nennen, denn allein Gott im Himmel ist für euch Vater und Mutter. Auch lasst euch nicht Erzieher oder Erzieherin nennen, denn nur einer ist euer Erzieher, der Messias.

Die bei euch wichtig sind, sollen euch dienen. Alle, die sich selbst erhöhen, werden erniedrigt werden, und die, die andere nicht beherrschen wollen, werden erhöht werden.«

Mt 23,1-12 Bibel in gerechter Sprache

 

Diese Heuchler von Pharisäern und Besserwissern gab es also schon zur Zeit Jesu! Wir kennen sie nur allzu gut: ganz genau wissen sie, was richtig ist. Wie man leben muss, nachhaltig, tolerant, umweltverträglich. Wie man gesund und glücklich wird. Nutzen jede Gelegenheit, um vorne, im Rampenlicht, laut „für“ und „gegen“ zu argumentieren – und nicht selten zum eigenen Vorteil. Nur sie verhalten sich nicht danach. Die grossen Regeln und Weisheiten gelten, insgeheim: nur für die andern. Die kennen wir alle!

Wenn ich einen Schritt zurücktrete, stelle ich fest, dass ich manchmal auch so einer bin. Zum Beispiel erzähle ich überall, dass wir unseren CO2-Ausstoss drastisch reduzieren müssen (und zwar heute, nicht erst in ein paar Jahren), aber trotzdem drehe ich die Heizung voll auf, denn ich mag es auch gern wohlig warm. Und ich habe wieder das doppelt in Plastik verpackte Gemüse gekauft, und trage es in meinem Stoffbeutel nach hause. Ich habe meine Ideale, ich habe sie sogar verstanden und kann sie begründen. Aber oft genug bin ich ein gedankenloser, bequemer Mensch, der es nicht schafft, nach diesen Idealen auch zu leben. Deshalb muss ich über mich das sagen, was Jesus über die Pharisäer sagt: hört auf meine Worte, aber schaut bitte nicht auf meine Taten. Und ich weiss, dass es uns allen so geht, dem einen mehr und der anderen vielleicht weniger: Schwächen, Fehler, Sünden gehörten zum Menschsein dazu.

Damit bin ich schon beim zweiten Teil des Evangeliums. Will Jesus ernsthaft, dass wir nicht mehr Vater und Mutter sagen zu unseren Eltern, dass die Bezeichnungen Lehrer und Meister einfach verschwinden? Das wird kaum der Kern der Botschaft sein. Ich erinnere mich da an einen Schlager aus den 80ern: „Der Papa wird´s schon richten, der Papa machts schon gut“. Papa ist der Grösste und Beste! Es gibt eine Zeit im Leben von Kindern, wo sie ihren Eltern alles zutrauen, alles ausser Fehler. Später lernen sie, dass Papa und Mama nicht alles können und wissen, und dass sie auch Fehler machen. Wir können uns mit etwas Glück an dieses kindliche Urvertrauen erinnern und es auf die himmlische Dimension übertragen, die wir mit Jesus „Abba“ nennen. Aber wenn wir auf der Erde zu jemandem Vater, Meister oder Lehrer sagen, dann muss uns bewusst sein, dass es ein normaler, fehlbarer Menschen ist. Das gilt natürlich auch für die Meister und Glaubenslehrer, die uns den Willen des himmlischen Abba und den Willen Jesu erklären. Geben sie offen zu, dass sie selbst manchmal scheitern? Ich glaube, Jesus will uns vor allem davor warnen, den Gurus, Vätern und sonstigen Autoritäten blind hinterherzulaufen.

Und damit sind wir beim Dienen. Manchmal kann ich nicht verhindert, dass ich als Meister oder Lehrer wahrgenommen werde. Aber dann muss ich mit meinem Reden und Verhalten klar machen, dass ich um nichts besser - dass ich fehleranfällig - bin, und dass wir die gute Sache und das gute Ziel nur gemeinsam erreichen können, unter Gleichen: „Ihr alle aber seid Geschwister“.

Tobias Grimbacher

 Bildnachweis: Brunnenfigur im Innenhofe des Hotels Bischofshof in Regensburg, Foto: Sigrid Grabmeier

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