Sonntagsbrief zum 30. Sonntag im Jahreskreis, 28. Oktober 2018

26. Oktober 2018 von Barbara Dominguez

... mach, dass ich sehen kann ...

Wolfgang Bereiter, Christus, Altarbild im Bildungshaus St. Michael /Matrei, Tirol; Foto Barbara Dominguez

Sie kamen nach Jericho.
Als Jesus mit seinen Jüngerinnen und Jüngern und einer großen Menge Volk wieder aus Jericho wegzog, saß am Weg Bartimäus, der Sohn des Timäus, ein blinder Bettler.

Als er hörte, es sei Jesus aus Nazaret, begann er laut zu schreien: „Nachkomme Davids, Jesus, erbarm dich meiner!“ Viele herrschten ihn an, er solle den Mund halten. Doch da schrie er noch viel lauter: „Nachkomme Davids, erbarm dich meiner!“

Abrupt blieb Jesus stehen und sagte: „Ruft ihn her.“ Sie riefen den Blinden und sagten zu ihm: „Sei guten Mutes, steh auf, er lässt dich rufen.“ Er warf sein Obergewand fort, sprang auf seine Füße, kam zu Jesus, und Jesus fragte ihn: „Was soll ich für dich tun?“ Der Blinde antwortete: „Mein Rabbi, mach, dass ich sehen kann.“ Jesus daraufhin: „Geh, dein Vertrauen hat dich gesund gemacht.“

Mit einem Mal konnte er sehen. Und auch er zog mit Jesus davon.

Mk 10, 46-52, Bibel in gerechter Sprache

... mach, dass ich sehen kann ...

Die Geschichte von Bartimäus ist eine der lebendigsten Wundererzählungen. Bartimäus ist einfach eine liebenswerte Figur. Und obwohl ich seine Geschichte schon gut kenne, berühren mich überraschenderweise doch immer wieder dieselben Gedanken. Der blinde Bettler wird mit Namen genannt! Vielleicht möchte der Evangelist Markus festschreiben, wie realistisch diese Begegnung eines blinden Menschen mit Jesus war und deshalb auch heute für uns sein kann. Bartimäus schreit laut, er wagt es, lauthals Jesus um Hilfe zu bitten. Wie lange braucht es oft, bis wir um Hilfe bitten? Sogar um kleine Gefälligkeiten? Zugeben, dass wir es allein nicht schaffen und auf Hilfe angewiesen sind fällt uns oft schwer.

Aufhorchen lässt mich wieder, dass Jesus nicht auf den um Hilfe rufenden blinden Menschen zugeht, sondern ausgerechnet jene Leute auffordert ihn herzurufen, die Bartimäus zuerst verscheuchen wollten! Es kommt sicher manchmal vor, dass ich über Menschen bestimmen will, was sie zu tun oder zu lassen haben und sie dann behindere in ihrem eigenen Sein.

Bartimäus springt auf und läuft auf Jesus zu, er, der blind ist! Unbedingt will er zu Jesus! Er verlässt sich auf seinen Orientierungssinn, den er im Vergleich zu Sehenden enorm weiter entwickelt hat. Ich glaube, wir dürfen auch damit rechnen, dass wir unsere Schwächen mit den uns eigenen Fähigkeiten ausgleichen können!

„Was soll ich für dich tun?“ Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass Jesus diese Frage tatsächlich so an den blinden Bartimäus gestellt und dass sie folglich ins Evangelium Eingang gefunden hat, weil sie eben beim ersten Hinhören eigenartig klingt: was wird der Blinde wohl wollen? Er fasst seinen Glauben an Jesus ganz klar in Worte, für alle Umstehenden vernehmbar: Jesus ist es, der ihn sehend machen kann.

Blind sein. Bartimäus weiß, dass er blind ist, er bekommt es ja direkt zu spüren. Auch wir haben da und dort unsere blinden Flecke. Im Allgemeinen können wir das leicht zugeben, theoretisch. Jedoch: kenne ich meine blinden Flecke? Wie könnte ich sie bemerken? Wie reagiere ich darauf, wenn mich jemand aufmerksam macht? Und umgekehrt: Habe ich den Mut, Menschen, vor allem die mir nahe sind, auf ihr Nicht-sehen-wollen hinzuweisen?

Das Ohnmachtsgefühl gegenüber den Geschehnissen in unserer Welt wird scheinbar immer drückender. Großartig finde ich daher die Botschaft von Edward Snowden, dem ehemaligen CIA-Mitarbeiter, der in Moskau im Exil lebt, und der unlängst via Liveschaltung das Publikum in Innsbruck und tausende Zuseher im Netz begeisterte. Seine Botschaft war klar, jeder Einzelne könne etwas ändern: „Fürchtet euch nicht, seid bereit.“

Barbara Dominguez

Bildnachweis:

Wolfgang Bereiter, Christus, Altarbild im Bildungshaus St. Michael /Matrei, Tirol, Foto Barbara Dominguez

"Erst wenn ich richtig hinschaue kann ich Christus erkennen"

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