Sonntagsbrief zum 30. Sonntag im Jahreskreis, 27. Oktober 2019

25. Oktober 2019 von Eva-Maria Kiklas

Rechtfertigung

Ignaz Winter (1705-1777)

 

Er sprach auch zu denen, die von sich überzeugt waren, gerecht zu sein, und die Übrigen gering achteten, und erzählte ihnen ein Gleichnis: „Es gingen einmal zwei Personen hinauf in den Tempel, um zu beten. Die eine war pharisäisch, die andere arbeitete am Zollhaus. Die pharisäische Person stellte sich hin und betete folgendermaßen: ´O Gott, ich danke dir, dass ich nicht bin wie die übrigen Menschen, die rauben, Unrecht tun und die Ehe brechen oder wie die, die am Zollhaus arbeiten. Ich faste zweimal bis zum Sabbat, und ich gebe den zehnten Teil von meinem ganzen Einkommen.` Diejenige Person, die am Zollhaus arbeitete, blieb von weitem stehen und wollte nicht einmal die Augen zum Himmel erheben, sondern schlug an ihre Brust und sprach: ´O Gott, versöhne dich mit mir, ich habe gesündigt!`Ich sage euch: Diese ging gerechtfertigt in ihr Haus, jene nicht. Denn alle, die sich selbst erhöhen, werden erniedrigt werden. Wer sich aber selbst erniedrigt, wird erhöht werden.“

 

 

 

Lk 18, 9-14 Bibel in gerechter Sprache 

 

Rechtfertigung

Beim Hören oder Lesen dieser Perikope wird den meisten jemand einfallen, der sich wie dieser Pharisäer verhält: der immer nur von sich und seinen Verdiensten und Vorzügen spricht. Wir brauchen ja nur den Fernseher oder das Radio einzuschalten.Die Politik bietet viele Beispiele. Nun ist ja ein gesundes Selbstwertgefühl nichts Schlechtes. Aber dieser Pharisäer bezieht es aus der Verachtung des Zöllners; und das lässt ihn die „Rechtfertigung“ verlieren. Er „erniedrigt“ sich selbst , in dem er mit seiner "Gesetzestreue" prahlt, einer Gesetzesauffassung, die dem wirklichen Leben mit seinen Licht- und Schattenseiten nicht gerecht wird.

An der Tür steht der schuldbewusste Zöllner, der sich als Sünder empfindet und sich der Gnade Gottes bedürftig fühlt. Die Zöllner wurden von den Juden verachtet, ja, sie wurden Dieben und Räubern gleichgestellt, da sie in Diensten der heidnischen Römer standen und durch den beruflich bedingten Kontakt mit Nichtjuden als unrein galten. Die meisten von ihnen verlangten nicht nur die durch Tarife festgelegten Zölle, sondern bereicherten sich auch selbst auf Kosten der Bevölkerung. So wurden sie von den „Frommen“ gehasst. Gerade diese Menschen wählt Jesus zu Tischgenossen, was ihm die Pharisäer auch vorwerfen: „Wie kann euer Lehrer sich mit Zolleinnehmern und ähnlichen Gesindel an einen Tisch setzen?“ (Mt. 9, 11 ) Er wählt den Zöllner Matthäus in seine Jüngerschar und will bei Zachäus zu Gast sein. Er gibt diesen Menschen ihre Würde wieder und bewegt sie dadurch zu Reue und Umkehr. Vielleicht ist dem Zöllner in unserm Evangeliumstext Ähnliches passiert: Er wurde gesehen und geachtet, statt übersehen und verachtet. Das lässt ihn durch seine Selbsterkenntnis und Reue einen neuen Anfang finden.

Einen neuen Anfang zu finden ist auch die Aufgabe unserer Kirche in der momentanen schweren Krise. An welcher Stelle in der betrachteten Szene steht sie? Vor allem der Missbrauchsskandal hat zu einem tiefen Vertrauensverlust geführt. Einiges ist schon geschehen, aber es fehlt noch immer das, was einen Neuanfang ermöglicht: Das Schuldgeständnis der Kirche. Bischof Willmer hat das Problem benannt: Es ist die DNA, es sind die Strukturen der Kirche, die den Missbrauchsskandal verursachten und möglich machten. Solange diese nicht als Schuld benannt werden, nicht der Wille zu Umkehr und Reformen deutlich wird, bleibt die Kirche in der Rolle des Pharisäers, des „Gesetzestreuen“, für den es keine Rechtfertigung gibt.

Vielleicht ist der „Synodale Weg“ die letzte Chance für die Kirche in Deutschland, wenn sie zu dem Gebet des Zöllners findet : „O Gott, versöhne Dich mit mir. Ich habe gesündigt!“

 

In dieser Hoffnung grüßt Sie

Eva- Maria Kiklas

 

Bildnachweis: 
Ignaz Winter (1705-1777) Der zerknirschte Zöllner mit dem Pharisäer
Gemälde an einem Beichtstuhl an der Südwand der St. Margarethen-Kirche, Waldkirch, James Steakley

 

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