Sonntagsbrief zum 30. Sonntag im Jahreskreis, 229. Oktober
27. Oktober 2023 von Johannes Brinkmann
Streiten will gelernt sein
Als die Pharisäer hörten, dass Jesus die Sadduzäer zum Schweigen gebracht hatte, kamen sie am selben Ort zusammen. Einer von ihnen, ein Gesetzeslehrer, wollte ihn versuchen und fragte ihn: Meister, welches Gebot im Gesetz ist das wichtigste? Er antwortete ihm: Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele und mit deinem ganzen Denken. Das ist das wichtigste und erste Gebot. Ebenso wichtig ist das zweite: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst. An diesen beiden Geboten hängt das ganze Gesetz und die Propheten.
Mt 22, 24-40 Einheitsübersetzung
Streiten will gelernt sein
Dieser Text ist für sich ein so starker Impuls, dass ich ihm am liebsten nichts mehr hinzufügen möchte.
Den zweiten Teil „Liebe Deinen Nächsten wie Dich selbst“ gibt es auch in anderen, weltlicheren, Formen: „Was Du nicht willst, was man Dir tut, das füg auch keinem andern zu.“ oder Immauel Kants kategorischer Imperativ „Handle so, dass die Maxime Deines Handelns zugleich ein allgemeines Gesetz sein könnte“. Dieser zweite Teil kommt auch in anderen Religionen mit ähnlichen Formulierungen vor. Er leuchtet ein, denn er leuchtet ein zu einem friedlichen Miteinander! Er bedarf keines GOTT-Glaubens, er ist durch reine Vernunft zugänglich.
Der erste Teil ist da schon schwieriger. Die Sache mit GOTT, dem Einen! Der im Jahr 2017 verstorbene Heiner Geißler warf in seinem letzten Büchlein (es umfasst nur 75 Seiten) die Frage auf, ob man auch ohne den Glauben an GOTT ein Christ sein kann. Im Angesicht des heutigen Evangeliums ist die Antwort ganz eindeutig: Nein. Es ist möglich den geschichtlichen Menschen Jesus gut zu finden und ihn als Vorbild zu sehen, man kann also gewissermaßen sein Fan sein, aber ein Christ, der im gleichen Geiste mit Jesus tickt, ist man erst, wenn GOTT in Jesus Schülerin und seinem Schüler maßgeblich schwingt.
Da Jesus Jude war, und er hier mit jüdischen Autoritäten diskutiert, heißt das dann, dass hier der GOTT der Juden gemeint ist? Antwort JA, doch lässt der Satz „liebe Deinen Nächsten wie Dich selbst“ keine Exklusivität zu. Denn sonst müsste er ja heißen: „Liebe Deinen nächsten Juden wie Dich selbst, Jude!“ Das steht da aber nicht! Auch keine andere Exklusivität, z.B. für Muslime oder Christen oder noch exklusiver für irgendeine Nation lässt sich aus diesem Satz ableiten.
Es ist immer häufiger so, dass sich Gruppen, die friedlich oder gemütlich zusammensitzen wollen sich an eine unausgesprochene Regel halten: Keine Religion und keine Politik! Denn sonst gibt es Streit und den will man vermeiden.
Ich selber bin ein Freud von Streit, doch will streiten gelernt sein. Ein Freund, den ich dieses Jahr zu Grabe getragen habe und dessen Familie mich bat, die Trauerrede zu halten, hat einmal formuliert: Streit ist die Fähigkeit sich in den Haaren zu liegen ohne dabei die Frisur zu zerstören!
Jetzt versteht Ihr sicher, warum ich ihn meinen Freund nenne.
Genau hingesehen und gehört, hat Jesus hier zur Streitvermeidung weder über Religion noch über Politik geschwiegen.
Politik bezeichnet die Strukturen (Politiy), Prozesse (Politics) und Inhalte (Policy) zur Regelung der Angelegenheiten eines Gemeinwesens – etwa eines Staates oder einer Verwaltungseinheit – durch verbindliche und auf Macht beruhende Entscheidungen.
Jesus Wort ist hoch religiös und auch hochpolitisch und gibt Orientierung hin zum Frieden, oder besser zum Schalom.
Das Wort „Schalom“ basiert auf der im semitischen Sprachraum bedeutungstragenden Wurzel š-l-m und ist mit dem arabischen Salām auf das Engste verwandt. Schalom meint mehr als das deutsche Wort Frieden, das nur die Abwesenheit von Gewalt durch Waffen beschreibt. Schalom bedeutet im Tanach zunächst Unversehrtheit und Heil. Doch mit dem Begriff ist nicht nur Befreiung von jedem Unheil gemeint, sondern auch Gesundheit, Wohlfahrt, Frieden, Ruhe und Glück. Versucht man, diese semantische Breite auf bestimmte Grundbedeutungen zurückzuführen, so lässt sich Schalom als „Ganzheit“, „Genugtuung“, „Wohlbefinden“, „kollektives Wohlergehen“, „lebensfördernde Geordnetheit der Welt“ oder als „Zustand, der keine unerfüllten Wünsche offen lässt“ begreifen. So steht es bei Wikipedia. In diesem Sinne
Schalom
Johannes Brinkmann / Essener
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