Sonntagsbrief zum 3. Sonntag in der Fastenzeit 4. März 2018
2. März 2018 von Eva-Maria Kiklas
Heiliger Zorn
Und das jüdische Pessachfest war nahe, da ging Jesus hinauf nach Jerusalem. Er fand im Tempel Leute sitzen, die Rinder, Schafe und Tauben verkauften und welche, die Geld wechselten. Da machte er eine Peitsche aus Seilen und warf sie alle hinaus aus dem Heiligtum, auch die Schafe und die Rinder, und er schüttete die Münzen derer aus, die Geld wechselten, und warf die Tische um, und zu denen, die die Tauben verkauften, sagte er: „Schafft dies raus hier! Macht das Haus Gottes nicht zu einem Kaufhaus!“ Seine Jüngerinnen und Jünger erinnerten sich, dass geschrieben ist: `Die Leidenschaft für dein Haus wird mich verzehren.´ Die jüdische Obrigkeit antwortete und sagte ihm: „Was für ein Wunderzeichen zeigst du uns, dass du dies tun darfst?“ Jesus antwortete und sagte ihnen: „Zerstört diesen Tempel, und in drei Tagen werde ich ihn aufrichten.“ Da sagte die jüdische Obrigkeit: „46 Jahre lang ist an diesem Tempel gebaut worden, und du willst ihn in drei Tagen aufrichten?“ Jener aber hatte über den Tempel seines Körpers gesprochen. Als er nun von den Toten auferweckt worden war, erinnerten sich seine Jüngerinnen und Jünger, dass er dies gesagt hatte, und sie glaubten der Schrift und dem Wort, das Jesus gesagt hatte. Als er in der Festwoche des Pessach in Jerusalem war, glaubten viele an seinen Namen, weil sie die Wunderzeichen sahen, die er tat. Jesus selbst aber glaubte und vertraute ihnen nicht, weil er alle durchschaute und es nicht nötig hatte, dass irgendjemand über einen Menschen Zeugnis ablege; denn er durchschaute selbst, was im Menschen war.
Joh. 2, 13- 25 Bibel in gerechter Sprache
Zorn gehört üblicherweise nicht zu den Tugenden der Christen. Ich erinnere mich an eine Predigt, in der der Priester Zorn als Sünde bezeichnete. Ich konnte das so nicht stehen lassen, ging nach der Messe in die Sakristei und teilte ihm meinen Widerspruch mit: Dass Zorn eine Emotion sei, die erst mal wertfrei ist und zu den Grundaffekten der Menschen gehört. Dann verwies ich auf die obige Schriftstelle - und der Priester gab mir recht.
Die sogenannte Tempelreinigung ist nicht die einzige Schriftstelle, in der Jesu Zorn zum Ausdruck kommt : Auch als Jesus am Sabbat den Mann mit der verkrüppelten Hand heilen will, stößt er auf den Widerstand und die Hartherzigkeit der Pharisäer: „Da „...schaute er sie der Reihe nach an, voll Zorn und Trauer über ihr verstocktes Herz..“ (Mk. 3.5 ) . Es ist also die Mitleidlosigkeit , die Gefühlskälte derjenigen, die sich als Mittler zwischen Gott und den Menschen verstehen, die die Gesetze höher achten als Menschlichkeit und Erbarmen, die Jesus hart verurteilt.
Bei der Tempelreinigung ging es sicher nicht nur um die Entweihung des Tempels durch das Markttreiben und die Geschäftemacherei der Hierarchen, sondern auch um die von ihnen propagierte Meinung, dass Gottes Liebe zu kaufen sei durch Opfer, die dann im Christentum im Ablasshandel kulminierte. Dieser Kampf gegen die Opfertheologie der Theologen ist sicher ein Grund dafür, dass ihnen Jesus selbst zum Opfer fiel.
Wenn Zorn angemessen Ausdruck findet, kann er Antrieb und Motor sein und starke Energien freisetzen. Welche Entwicklungen wurden so vorangetrieben, Ungerechtigkeiten bekämpft und Freiheiten errungen, wie zum Beispiel die unblutige Revolution 1989.
Auch die Geschichte der KirchenVolksBewegung ist eine aus Zorn geborene. Die Missstände in Österreich – Bischofsbesetzungen und der Missbrauchsfall Groer – versetzten 1995 einen Lehrer so in Wut, dass seine Frau ihm riet : „... dann tu etwas !“. Daraus entstand eine Reformbewegung, die bis heute eine wesentliche kritische Stimme in der katholischen Kirche darstellt, einer Kirche, die in einer Krise steckt, deren Gründe denen ähneln, gegen die sich Jesu Zorn richtete: biblisch nicht begründbare Gesetze und Traditionen sind wichtiger als Barmherzigkeit, dazu Selbstgerechtigkeit und Machtmissbrauch, Ausgrenzungen, Verurteilungen und Ungerechtigkeiten. Ist es da verwunderlich, dass es Priestermangel und Kirchenaustritte gibt? Uns darf das nicht kalt lassen. Der Nobelpreisträger Elie Wiesel sagt : „Das Gegenteil von Liebe ist nicht Hass, sondern Gleichgültigkeit.“ Gegen diese anzugehen braucht es unseren gerechten Zorn. Lassen wir uns dazu anstacheln durch den Aufruf von Stephane Hessel ( 2011 ), der zwar politisch gemeint war, aber auch für unsere Kirche gelten kann. „Empört Euch !“.
Ihnen allen einen gesegneten Sonntag
Eva- Maria Kiklas
Bildnachweis: Leipzig, Montagsdemonstration ADN-ZB Gahlbeck 20.11.89 Leipzig: Demonstration
Zur traditionellen Montags-Demonstration fanden sich über 100.000 Bürger auf dem Karl-Marx-Platz und dem Ring ein. Neben der Aufforderung an alle, im Land zu bleiben, ging es vor allem um freie Wahlen und die Änderung des Artikels 1 der Verfassung.