Sonntagsbrief zum 29. Sonntag im Jahreskreis, 22. Oktober 2017

20. Oktober 2017 von Anna Röder

Prägungen

Modelabdruck

Daraufhin kamen die Pharisäer zusammen. Sie beschlossen, Jesus mit einer Fangfrage in die Falle zu locken. Sie schickten ihre Jünger zusammen mit einigen Anhängern des Herodes zu Jesus. Die sagten zu ihm: »Lehrer, wir wissen: Dir geht es nur um die Wahrheit. Du sagst uns die Wahrheit, wenn du lehrst, wie wir nach Gottes Willen leben sollen. Du fragst dabei nach keinem anderen. Denn du siehst nicht die Person an. Sag uns bitte, was du für richtig hältst: Ist es erlaubt, dem Kaiser Steuern zu zahlen, oder nicht?« Jesus durchschaute ihr böses Spiel und sagte: »Wollt ihr mir eine Falle stellen, ihr Scheinheiligen? Zeigt mir eine Münze, mit der ihr die Steuern bezahlt!« Sie gaben ihm eine Silbermünze. Jesus fragte sie: »Wer ist auf dem Bild zu sehen und wer wird in der Inschrift genannt?« Sie antworteten ihm: »Der Kaiser.« Da sagte Jesus zu ihnen: »Gebt dem Kaiser, was dem Kaiser gehört, und Gott, was Gott gehört!« Als sie das hörten, waren sie sehr erstaunt. Dann ließen sie Jesus einfach stehen und gingen weg.

Mt 22, 15-22 (BasisBibel, Bibelwerk Stuttgart)

Prägungen. Münzen werden geprägt. Ob nun edles oder unedles Metall, immer erhalten sie ein „Gesicht“ mit einem unverwechselbaren Wert. Zur Zeit Jesu, der römischen Besatzung Israels, existierten zwei Währungen: die römische und die einheimische. Die Menschen durften per Erlass des römischen Kaisers ausschließlich mit den einheimischen Münzen bezahlen. Es war ihnen bei Strafe verboten, das Geld aus Rom zu verwenden! Jesus ist kein Schlitzohr, aber verflixt schlau, wenn er in diesem Fall die Pharisäer mit ihren eigenen Waffen entlarvt: sie haben römische Münzen dabei, die sie ihm zeigen. Wie dumm von ihnen! Sie unterlaufen selbst die kaiserlichen Anordnungen, verlangen aber von ihrem eigenen Volk, sich immer buchstabengetreu an jüdische Gesetze zu halten. Diese Doppelmoral hat Jesus natürlich erkannt und läßt sie mit seiner entlarvenden und klaren Antwort ganz schön auflaufen! Zwei interessante Prägungen werden uns heute vorgelegt. Da ist die Münze mit dem Bild des Kaisers, das den Staat und alles, was dazu gehört, repräsentiert. Viele Monate, arbeiten die deutschen Steuerzahler für staatliche und gesellschaftliche Aufgaben. Wir haben dem „Kaiser“, also dem Staat, schon sehr viel überlassen müssen. Was bleibt da noch für Gott?

Ich bedenke unsere religiöse Prägung, die im Christentum paradoxerweise mehr vom todbringenden Kreuz als vom befreienden Licht der Auferstehung bestimmt ist. Das sieht man uns offenbar auch an, wenn man die mannigfaltige Kritik dieser Tage an der Kirche wirklich ernst nimmt. Mit dieser negativen Prägung müssen wir uns in der Tat herumschlagen. Das macht es auch so mühsam, das Evangelium Jesu als das anzubieten, was es in Wirklichkeit ist, eine Frohe Botschaft. Wie oft haben wir schon über die „Stempel“ geredet, mit denen uns Jesu neue Botschaft umprägen wollte. Mit dieser „Neuprägung“ hat sein Ruf – ganz am Anfang seiner Verkündigung - zu tun: Kehrt um, und glaubt an das Evangelium! (Mk 1,15) Wer und was uns prägt, muss direkt mit Jesus Christus zu tun haben; denn die Kirche ist nicht Jesus. Aber ER ist in gewisser Weise die Kirche; selbst wenn sie das oft vergisst. Ich denke man kann heraushören, in welche Richtung wir neu suchen müssen: Wir sind als Christinnen und Christen Staatsbürger und -bürgerinnen; und wir sind Staatsbürger, die vom Christentum her geprägt sind. Wir bringen unsere christliche Verantwortung in unsere Gesellschaft ein. Wir setzen uns ein für sozialen Ausgleich, für Recht und Gerechtigkeit, für Frieden und Geschwisterlichkeit und versuchen so, unsere christliche Überzeugung und unsere Bürgerpflicht gleichzeitig zu erfüllen.
Das heißt also: Was des Kaisers ist und was Gottes ist, stellt für uns heute nicht mehr zweierlei dar, sondern dasselbe. Wenn man das aber leisten will, dann reicht es nicht, wenn man sich in seine Privatidylle zurückzieht; dann reicht es nicht, wenn man mit dem Fernsehapparat schimpft. Dann muss man sich auf den Weg machen und dorthin gehen, wo die Politik gemacht wird: an den Stammtisch, in die Gewerkschaften, in die Parteien, in Berufsverbände und Bürgervereine, zu Vorträgen und Diskussionen. Gerade heute, wo das gesellschaftliche, politische, mitmenschliche Klima rauher geworden ist und mit verbalen Bandagen hart gekämpft wird. 
Es ist aber auch von unschätzbarem Wert, den eigenen Wert als Mensch zu erkennen und auf ihm zu bestehen. Die Menschenwürde hat mir und allen Menschen Gott verliehen. Dieser Wert, unabhängig von Geschlecht, Alter, Einkommen etc. bleibt für immer bestehen. Die Gefahr aber bleibt aber dennoch: inwiefern prägt auch der Staat mein Denken und Fühlen? Wie taxiere ich meinen Nächsten, nach Alter, Einkommen, Geschlecht, Status? Wie sehr habe ich bei mir den „Kaiser“ schon verinnerlicht? Ich will dem Kaiser geben, was des Kaisers ist. Ansonsten lasse ich den Kaiser außen vor.
 

Regina Grotefend-Müller 

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