Sonntagsbrief zum 29. Sonntag im Jahreskreis, 21.Oktober 2018
20. Oktober 2018 von Sigrid Grabmeier
Dien-Mut statt Hochmut
Zu Fuß zogen sie hinauf nach Jerusalem. Jesus lief vorneweg, und sie erschraken. Denn die Gefährtinnen und Gefährten fürchteten sich. Wieder nahm er die Zwölf beiseite und ergriff die Gelegenheit, um ihnen zu sagen, was ihm zustoßen werde: „Siehe, wir gehen hinauf nach Jerusalem, und der Mensch wird den Hohenpriestern und toragelehrten Frauen und Männern übergeben werden. Die werden ihn zum Tod verurteilen und den Völkern überlassen. Diese werden ihn verspotten, anspucken, auspeitschen und töten. Und nach drei Tagen wird er auferstehen.“
Jakobus und Johannes, die Söhne des Zebedäus, traten zu Jesus und sprachen ihn an: „Lehrer, wir möchten, dass du uns eine Bitte erfüllst.“ Er antwortete: „Was soll ich denn für euch tun?“ Sie sagten zu ihm: „Gewähre uns, dass wir in deinem Glanz rechts und links neben dir sitzen.“ Jesus entgegnete: „Ihr wisst nicht, um was ihr bittet. Habt ihr die Kraft, den Kelch zu trinken, den ich trinke, oder mit der Taufe getauft zu werden, mit der ich getauft werde?“ Sie antworteten: „Wir haben die Kraft dazu.“ Da sagte Jesus zu ihnen: „Ihr werdet den Kelch trinken, den ich trinke, und ihr werdet mit der Taufe getauft werden, mit der ich getauft werde. Aber über das Sitzen an meiner rechten oder linken Seite habe ich nicht zu entscheiden, sondern darüber entscheidet Gott.“
Als die zehn anderen das hörten, wurden sie zornig auf Jakobus und Johannes. Da rief Jesus sie zu sich und sagte zu ihnen: „Ihr wisst doch: Die als Herrscherinnen und Herrscher über die Völker gelten, herrschen mit Gewalt über sie, und ihre Anführer missbrauchen ihre Amtsgewalt gegen sie. Bei euch soll das nicht so sein! Im Gegenteil: Wer bei euch hoch angesehen und mächtig sein will, soll euch dienen, und wer an erster Stelle stehen will, soll allen wie ein Sklave oder eine Sklavin zu Diensten stehen. Denn der Mensch ist nicht gekommen, um sich bedienen zu lassen, sondern um zu dienen und das eigene Leben als Lösegeld für alle zu geben.“
Mk 10,35 -40 Bibel in gerechter Sprache
Dien-Mut statt Hochmut
Das heutige Bild zeigt eine Brunnenplastik, die in Regensburg im Innenhof des früheren Bischofspalais steht, heute Hotel, immer noch im Kirchenbesitz. Nähert man sich von vorne, blickt man auf einen schon etwas älteren, gut genährten Priester in Soutane, der betulich mit Gänsen scherzt. Das ganze macht einen heiteren Eindruck. Beim Herumgehen um den Brunnen ändert sich die Szene jedoch dramatisch. Aus dem Priesterrock kommt ein Fuchskopf hervor, der eine Gans am Hals gepackt hat. Der Brunnenplastik liegt die Fabel der „Gänsepredigt“ zugrunde: Ein Fuchs wollte eine Gans fangen, die Gänse nahmen aber Reisaus, wenn sie ihn bemerkten. So verkleidete sich der Fuchs als Priester und predigte so lange, bis die Gänse müde wurden und er zupacken konnte.
Die Plastik von Joseph Michael Neustifter wurde 1980 unter Bischof Graber aufgestellt und zeigt, dass man sich bei der Kirchenleitung sehr wohl bewusst war, dass es die falschen Prediger, den Missbrauch von Macht und Gefährdung von Anvertrauten gab. Gleichzeitig spielte man es aber auch herunter, wollte es als Einzelfälle ohne Bezug zum System darstellen.
In diesen Wochen erleben wir jedoch zum wiederholten Mal, wie das System Kirche sich selbst in seinen Machtansprüchen verstrickt und Vorherrschaft über das Denken und Handeln des Kirchenvolkes geltend machen will. „Ihre Anführer missbrauchen ihre Amtsgewalt“. Warum treten Bischöfe nicht zurück, wenn sie so betroffen sind von dem Ausmaß sexueller Gewalt? Auch wenn sie als Person vielleicht gar nicht zu verantworten haben, was in ihrem Bistum geschehen ist, so wäre es ein Zeichen institutioneller Demut. Warum dürfen in der Jugendsynode ausschließlich vorwiegend ältere Männer entscheiden, wie es weitergehen soll? Wäre es nicht ein Zeichen von wirklichem Dien-Mut (=Demut) gewesen, andere Synodenregeln zu setzen? Warum werden beim Thema Abtreibung die Frauen verurteilt? Wäre es nicht höchste Zeit, die Verantwortungslosigkeit oder die sexuelle Gewalt durch Männer anzuprangern, die Frauen in solche Situationen bringen?
Für jeden, für jede von uns gelten die Worte Jesu. Noch mehr gelten sie aber für eine Institution, die sich anmaßt, Nachlassverwalterin seiner Botschaft zu sein.
Sigrid Grabmeier
Bildnachweis: Brunnenplastik Joseph Michael Neustifter im Innenhof des Bischofshofs in Regensburg: Gänsepredigt; Foto Sigrid Grabmeier