Sonntagsbrief zum 29. Sonntag im Jahreskreis, 18. Oktober 2015

17. Oktober 2015 von Reinhard Olma

Frust und Hoffnung

Sonntagsbrief zum 29. Sonntag im Jahreskreis

Jakobus und Johannes, die Söhne des Zebedäus, traten zu Jesus und sprachen ihn an: „Lehrer, wir möchten, dass du uns eine Bitte erfüllst.“ Er antwortete: „Was soll ich denn für euch tun?“ Sie sagten zu ihm: „Gewähre uns, dass wir in deinem Glanz rechts und links neben dir sitzen.“ Jesus entgegnete: „Ihr wisst nicht, um was ihr bittet. Habt ihr die Kraft, den Kelch zu trinken, den ich trinke, oder mit der Taufe getauft zu werden, mit der ich getauft werde?“ Sie antworteten: „Wir haben die Kraft dazu.“ Da sagte Jesus zu ihnen: „Ihr werdet den Kelch trinken, den ich trinke, und ihr werdet mit der Taufe getauft werden, mit der ich getauft werde. Aber über das Sitzen an meiner rechten oder linken Seite habe ich nicht zu entscheiden, sondern darüber entscheidet Gott.“ Als die zehn anderen das hörten, wurden sie zornig auf Jakobus und Johannes. Da rief Jesus sie zu sich und sagte zu ihnen: „Ihr wisst doch: Die als Herrscherinnen und Herrscher über die Völker gelten, herrschen mit Gewalt über sie, und ihre Anführer missbrauchen ihre Amtsgewalt gegen sie. Bei euch soll das nicht so sein! Im Gegenteil: Wer bei euch hoch angesehen und mächtig sein will, soll euch dienen, und wer an erster Stelle stehen will, soll allen wie ein Sklave oder eine Sklavin zu Diensten stehen. Denn der Mensch ist nicht gekommen, um sich bedienen zu lassen, sondern um zu dienen und das eigene Leben als Lösegeld für alle zu geben.“

Mk 10,35-45
Bibel in gerechter Sprache

Peinlich, peinlich, dieser Versuch von Jakobus und Johannes, sich schon einmal gute Plätze für die Ewigkeit zu sichern! Menschlich verständlich auch; was haben sie nicht schon an Mühen, Entbehrungen und Anfeindungen auf sich genommen mit ihrem Bekenntnis zu diesem Jesus. Da soll er doch nun auch mal etwas für sie tun. Und wenn schon nicht gleich hier, dann doch wenigstens später, in der Ewigkeit!

Und finden wir nicht solche Versuche gerade in unserer Kirche auch heute immer wieder? Wenn einige meinen, allein den wahren Glauben zu verkünden und zu leben und daneben keine abweichende Meinung zulassen zu können? Und das, obwohl doch alle Gläubigen gleichberechtigte Geschwister sind und jeder seine speziellen und unverzichtbaren Gnadengaben einbringen kann.

Ist es nicht ein ähnlicher Versuch, Gottes Willen ein bisschen mitzubestimmen, wenn Päpste schon kurz nach ihrem Ableben heilig gesprochen werden müssen? Zeigt das nicht die tiefe Sehnsucht nach einer Bestätigung für die Überzeugung, dass ich alles richtig mache und mir ein Platz unter den Heiligen sicher sein muss; ja dass ich einen Anspruch darauf habe?

Noch viel mehr gilt das in der säkularen Welt: Wenn Politiker ihr Handeln und Ihre Entscheidungen für alternativlos erklären; sind das nicht rührenden Versuche, zu der Gewissheit zu gelangen, so zu handeln, wie man handeln muss, um ein für alle Mal zu den Guten zu gehören? Oder wenn uns heute die Angst umtreibt, dass uns die Flüchtlinge die besten Plätze in der Gesellschaft wegnehmen könnten, auf die wir meinen, einen Anspruch zu haben, nur weil wir zufällig in diesem Teil der Welt geboren sind?

„Ihr wisst ja nicht, worum Ihr bittet“, sagt Jesus. Und er meint damit nicht vordergründig die praktische Seite dieses Ansinnens, weil es ja neben ihm nur zwei Plätze, links und rechts, geben kann. Denn die Gewissheit, dass die Plätze sicher reserviert sind, wäre nicht wirklich hilfreich, nicht einmal für die direkt Betroffenen. Denn sie würde die Unterscheidung zwischen Gut und Böse, zwischen Schwarz und Weiß vorweg nehmen und den Heilsplan Gottes als erfüllt betrachten. Alle Anstrengungen um ein gerechteres, besseres Leben und Handeln wären von dem Moment an überflüssig.

Da halte ich mich lieber an Jesaja, der den zerschlagenen Knecht, den zu den Ruchlosen gerechneten, bereits abgeschriebenen, über den die Gesellschaft bereits ihr Urteil gesprochen hat, bei Gott Gnade finden lässt. Gerade den erwählt Gott, seinen Plan ein Stück mehr zu verwirklichen, indem er ihm Licht und Erkenntnis schenkt (Lesung: Jes  53,10-11).

Gibt uns das nicht Hoffnung? Gerade uns, die wir so oft an uns zweifeln und meinen, wieder einmal gründlich versagt zu haben? Hält uns das nicht alle Optionen offen, jeden Tag, jeden Moment neu zu beginnen? Unsere Anstrengungen waren und sind nicht vergebens, auch wenn es oft so scheint!

Ob Paulus in seinem Brief an die Hebräer den Jesaja-Text vor Augen hatte, wenn er von dem mit uns fühlenden, mit uns leidenden Hohepriester spricht, ist ungewiss (Hebr 4, 14-16). Aber schön wäre es schon und es ermutigte uns, „…voll Zuversicht hin(zu)gehen zum Thron der Gnade, damit wir Erbarmen und Gnade finden und so Hilfe erlangen zur rechten Zeit.“ Und ist es dann nicht egal, ob wir dort den reservierten Polstersessel finden, oder nur eine kleine Fußbank?

Einen gesegneten Sonntag wünscht Euch
Reinhard Olma

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