Sonntagsbrief zum 28. Sonntag im Jahreskreis, 9. Oktober 2016

8. Oktober 2016 von Magnus Lux

Fest-verwurzelt-Sein

Fest verwurzelt © (2016) Sigrid GrabmeierDenk daran, dass Jesus Christus, der Nachkomme Davids, von den Toten auferstanden ist; so lautet mein Evangelium, für das ich zu leiden habe und sogar wie ein Verbrecher gefesselt bin; aber das Wort Gottes ist nicht gefesselt. Das alles erdulde ich um der Auserwählten willen, damit auch sie das Heil in Christus Jesus und die ewige Herrlichkeit erlangen. Das Wort ist glaubwürdig:
Wenn wir mit Christus gestorben sind,
werden wir auch mit ihm leben;
wenn wir standhaft bleiben,
werden wir auch mit ihm herrschen;
wenn wir ihn verleugnen, wird auch er uns verleugnen.
Wenn wir untreu sind,
bleibt er doch treu,
denn er kann sich selbst nicht verleugnen.

2 Tim 2,8-13
Einheitsübersetzung

Hm, ich gestehe, dass ich mit dem Text des heutigen Sonntags nicht recht klarkomme. Woran mag das denn liegen?

Der zweite Timotheusbrief gehört zu den Pastoralbriefen. Unter dem Namen des Paulus schreibt ein Schüler der zweiten oder gar der dritten Generation an einen Gemeindeleiter und gibt ihm gute Ratschläge in Zeiten der Verwirrung. „Paulus“ erinnert ihn an „sein“ Evangelium; er hat ja die „Frohe Botschaft“ längst verkündet, bevor es die „vier Evangelien“, wie wir sie heute kennen, gegeben hat. Dass er auf die Auferstehung als Grundaussage des Glaubens hinweist, ist für mich klar – aber er pocht offenbar auf seine Auslegung, wenn er in den unserem Text folgenden Zeilen namentlich zwei Männer nennt, die „von der Wahrheit abgeirrt“ sind, weil sie behaupten, die Auferstehung sei bereits geschehen.

Das erinnert mich an fundamentalistische Beschwörungen: „Kein anderes Evangelium!“ Müssen wir alles wortwörtlich nehmen, wenn wir uns als glaubende Menschen bezeichnen? Ich setze dagegen: „Entweder wir nehmen die Botschaft des Neuen Testaments wörtlich – oder wir verstehen sie.“ Wie anders als durch Interpretation (das lateinische Wort für Exegese, die Auslegung der Schrift) können wir mit dem Abstand von fast 2000 Jahren verstehen, was gemeint ist? Und dann ist es unsere Aufgabe, diese Botschaft heute glaubwürdig zu leben und sie so zu verkünden.

Dass Paulus die Gefangenschaft und das damit verbundene Leid auf sich nimmt, damit die Auserwählten (damit sind alle Christ_innen gemeint, nicht nur die Kleriker, die diesen Titel jetzt für sich reklamieren) – damit also die Auserwählten „das Heil in Christus Jesus und die ewige Herrlichkeit erlangen“, ist sehr löblich. „Wenn wir standhaft bleiben, werden wir auch mit ihm herrschen“, schärft er uns ein.

Wann aber bin ich „standhaft“? Wenn ich genau das sage und tu, was der Gemeindeleiter, der Pfarrer, der Bischof, der Papst uns als zu glauben vorlegt? Wo bleibt der grundpaulinische Gedanke, dass alle in der Gemeinde ein Charisma haben, eine Gnadengabe Gottes, die es zum Wohl aller einzusetzen gilt? Christus „verleugnen“ ist etwas anderes als die „Lehre der Kirche“ in Frage zu stellen. Vielleicht ist gerade diese Infragestellung der Weg zum wirklichen Glauben, dem Fest-verwurzelt-Sein in Gott. Das würde ich dem Paulus-Schüler gerne sagen.

Magnus Lux

Bildnachweis: Fest verwurzelt © (2016) Sigrid Grabmeier

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