Sonntagsbrief zum 27. Sonntag im Jahreskreis, 6. September 2024

4. Oktober 2024 von Sigrid Grabmeier

Ebenbürtig

Gott, der Herr, sprach:
Es ist nicht gut, dass der Mensch allein ist. Ich will ihm eine Hilfe machen, die ihm ebenbürtig ist. Gott, der Herr, formte aus dem Erdboden alle Tiere des Feldes und alle Vögel des Himmelsund führte sie dem Menschen zu, um zu sehen, wie er sie benennen würde. Und wie der Mensch jedes lebendige Wesen benannte, so sollte sein Name sein.

Der Mensch gab Namen allem Vieh, den Vögeln des Himmels und allen Tieren des Feldes.Aber eine Hilfe, die dem Menschen ebenbürtig war, fand er nicht. Da ließ Gott, der Herr, einen tiefen Schlaf auf den Menschen fallen, sodass er einschlief,nahm eine seiner Rippen und verschloss ihre Stelle mit Fleisch. Gott, der Herr, baute aus der Rippe, die er vom Menschen genommen hatte, eine Frau und führte sie dem Menschen zu. 

 

Und der Mensch sprach: Das endlich ist Bein von meinem Bein und Fleisch von meinem Fleisch. Frau soll sie genannt werden; denn vom Mann ist sie genommen. Darum verlässt der Mann Vater und Mutter und hängt seiner Frau an und sie werden ein Fleisch.

 

Gen 2, 18-24 Einheitsübersetzung

 

 

Ebenbürtig

 

Vieles in meiner Kirche ist mir wichtig. Aber in ihrer Gesamtheit kann ich sie nicht mehr ernst nehmen. Damit bin ich, so denke ich, kein Einzelfall. Was meine ich mit Gesamtheit? Zu dieser Gesamtheit gehören beispielsweise das Rollenverständnis von Mann und Frau, wie es der Papst gerade in Belgien in seiner Ansprache vor den katholischen Univeritäten dargestellt hat, der Hang zur Veranstaltung von Kostümfesten, die dieses Rollenverständnis und die damit verbundene Machtstruktur darstellen, die Hybris, den Menschen genau sagen zu wollen, was richtig und falsch ist, ihre Feigheit, sich mit ihren eigenen Fehlleistungen auseinander zu setzen und dafür einzustehen. Das sind Beispiele dafür, warum ich die Gesamtheit nicht ernst nehmen kann. Zu Gesamtheit gehören aber auch viele Menschen, die in ihr und durch sie die Botschaft vom liebenden Gott vermitteln, die in ihr und und als sie sich gegen Ungerechtigkeit und Ausbeutung umsetzen. Die in ihr und für sie ihr Leben riskieren, damit die Botschaft weitergegeben wird. Und dieser Teil meiner Kirche, zu der ich gehöre und die ich leben will, ist für mich nicht nur wichtig sondern unverzichtbar. Gäbe es diesen Teil nicht, wäre ich der Kirche als Gesamtheit schon längst abhanden gekommen.

 

Die Energie und die Überzeugung, mit der ich mich gegen das auflehne, was mir als zutiefst botschaftswidrig erscheint, nämlich das patriarchale Machtgebaren mit all seinen Aus- und Nebenwirkungen, haben nachgelassen. Ich kann sie nicht mehr ernst nehmen und also verwende ich meine Energie lieber anderweitig. Diesen ökonomischen Umgang mit meinen Präferenzen muss ich jedoch hinterfragen, wenn ich die Aussage des Papstes  „Frau ist fruchtbares Empfangen, Sorge, lebendige Hingabe – deshalb ist die Frau wichtiger als der Mann.“ und die heutige erste Lesung aus Genesis 2 betrachte. 

 

Gott möchte, so in Genesis 2, dass der Mensch nicht alleine bleibt und eine ebenbürtige Hilfe bekommt. Nicht geringer, aber auch nicht wichtiger. In dem Genesistext steht auch keine Funktionszuweisung, der Mann soll dies tun, die Frau jenes, er ist so, sie ist so. Nein, sie sind ebenbürtig. Sie stehen sich gegenseitig zur Seite. Ich möchte nun nicht behaupten, dass Männer und Frauen in allen Wesenszügen gleich seien, das wissen wir, ist Unsinn. Es sind auch nicht alle Männer und alle Frauen gleich. Aus der Genetik wissen wir, dass selbst bei einem klaren Chromosomenbestand von XX oder XY noch genügend andere Faktoren beteiligt sind, die für Varianten sorgen.

 

Aber auch die beiden Berichte der Genesis über die Erschaffung der Menschen haben eine lange Interpretationstradition, in deren Verlauf, die Frau zu einer untergeordneten Gehilfin mutierte. Jesus sieht das allerdings nicht so. Im heutigen Evangelium Mk 10, 2-16, in dessen Verlauf er den Pharisäern antwortet, die ihn wegen der Rechtmäßigkeit der Ehescheidung befragen, legt er den Schwerpunkt auf die Gleichwertigkeit von Mann und Frau, was der damals üblichen Rechtsstellung der Frau widersprach.

 

Die Rechtsstellung der Frau in der römisch-katholischen Kirche ist nach wie vor nicht nur ein Ärgernis sondern ein Skandal. Haben die Frauen in den meisten Ländern Europas und beider Amerikas im Kampf um die Gleichberechtigung weite Wege, zum Teil seit der Aufklärung und gegen den Widerstand der Kirchen, hinter sich gebracht und vieles erreicht, so trägt sowohl die Sexuallehre der Kirche wie auch die soziologische Einordnung in den Lehräußerungen massiv dazu bei, dass Frauen in vielen Teilen der Welt ihrer Ebenbürtigkeit beraubt bleiben. - Wie auch wieder bei der Abschlussphase der Weltsynode zu erleben, sind Frauen eben nicht wichtiger als Männer sondern um ein vielfaches unwichtiger.

 

Vielleicht wird es sogar positive Ergebnisse bei dieser Weltsynode geben, das möchte ich gar nicht ausschließen. Aber die Weltsynode in ihrer Gesamtheit kann ich ebensowenig ernst nehmen wie die Kirche. Wahrscheinlich werde ich trotz allem meinen ökonomischen Umgang mit meinen Energien beibehalten, damit ich da, wo ich Ebenbürtigkeit erlebe, meine Phantasie, meine Kreativität, meine Empathie, meine Zuwendung, mein Organisationstalent und alle meine Charismen einbringen kann. 

 

Das Prinzip der Ebenbürtigkeit aller Menschen, ab Mann, Frau oder divers, ob vom Osten, Westen, Süden oder Norden, sollte doch gerade in einer Organisation, die sich die Botschaft des Jesus von Nazareth auf die Fahnen geschrieben hat, zum Fundament gehören. Wie sollte es sonst mit dieser Kirche weitergehen? 

 

 

Sigrid Grabmeier

 

Herzliche Einladung zur

KirchenVolksKonferenz in Köln 18.- 19.Oktober

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