Sonntagsbrief zum 26. Sonntag im Jahreskreis, 30. September 2018

28. September 2018 von Tobias Grimbacher

Wenn doch alle zu prophetischen Menschen würden!

Gespräch am Jakobsbrunnen mit Christian Herwartz SJ © Sigrid Grabmeier 2017Mose ging hinaus und teilte dem Volk die Worte des HERRN mit. Dann versammelte er siebzig von den Ältesten des Volkes und stellte sie rings um das Zelt auf. Der HERR kam in der Wolke herab und redete mit Mose. Er nahm etwas von dem Geist, der auf ihm ruhte, und legte ihn auf die siebzig Ältesten. Sobald der Geist auf ihnen ruhte, redeten sie prophetisch. Danach aber nicht mehr. Zwei Männer aber waren im Lager geblieben; der eine hieß Eldad, der andere Medad. Auch über sie kam der Geist. Sie gehörten zu den Aufgezeichneten, waren aber nicht zum Offenbarungszelt hinausgegangen. Auch sie redeten prophetisch im Lager. Ein junger Mann lief zu Mose und berichtete ihm: Eldad und Medad sind im Lager zu Propheten geworden. Da ergriff Josua, der Sohn Nuns, der von Jugend an der Diener des Mose gewesen war, das Wort und sagte: Mose, mein Herr, hindere sie daran! Doch Mose sagte zu ihm: Willst du dich für mich ereifern? Wenn nur das ganze Volk des HERRN zu Propheten würde, wenn nur der HERR seinen Geist auf sie alle legte!

Num 11, 24-29 (Einheitsübersetzung)

Wenn doch alle zu prophetischen Menschen würden!

Was macht eigentlich einen Propheten, eine Prophetin aus? Wie erkennt man, dass eine Person prophetisch redet? Zweifellos schaut sie über den Tellerrand der eigenen Position, der eigenen Begrenztheit hinaus. Sie erkennt die Problematik, die Zusammenhänge im Ganzen, und kann trotzdem konkrete Lösungsschritte benennen, selber gehen. In angestaubter kirchlicher Sprache gesprochen können Propheten die Zeichen der Zeit erkennen und sie im Lichte des Evangeliums deuten. Prophetinnen und Propheten formulieren den Willen Gottes in der Welt von heute.

Am Anfang der Geschichte Gottes mit seinem Volk sagt er: „Ich habe euer Leid gesehen. Ich werde euch herausführen. Ich bin der, der für Euch da sein wird“. So sehr ist diese Zusage der Kern göttlicher Botschaft, dass sie zu Gottes Namen wird – „ich bin da“, anders übersetzt „die mit Euch unterwegs seiende Gottheit“. Wer immer im Namen dieser Gottheit prophetisch reden will, muss also das göttliche Programm vertreten: Persönliches und strukturelles Leid erkennen und benennen, und wenn möglich Lösungswege aufzeigen, beschreiten und zum mitgehen aufrufen. Auf je eigene Weise erfüllen alle biblischen Prophetinnen und Propheten dieses Programm, und natürlich ist es auch das prophetische Programm des Jesus von Nazareth.

Dabei geht es Jesus wie Mose: seine Schüler und direkten Nachfolger habe noch lange nicht die selbe prophetische Weitsicht. In der Lesung ist es Josua, der in den eigenen Denkmustern hängen bleibt und prophetische Reden unterbinden will. Im Evangelium wir vom Apostel Johannes ganz ähnlich erzählt:

Da sagte Johannes zu ihm: Meister, wir haben gesehen, wie jemand in deinem Namen Dämonen austrieb; und wir versuchten, ihn daran zu hindern, weil er uns nicht nachfolgt. Jesus erwiderte: Hindert ihn nicht! Keiner, der in meinem Namen eine Machttat vollbringt, kann so leicht schlecht von mir reden. Denn wer nicht gegen uns ist, der ist für uns.

Mk 9,38-40 (Einheitsübersetzung) 

Unsere Kirche ist auf die Apostel gegründet - leider ist sie allzu oft die Kirche der Johannesse und Josuas, die die namenlosen Prophetinnen und Propheten unseres Gottes verhindern oder zumindest behindern wollen. Mose und Jesus widersprechen ihnen. Daran dürfen wir uns erinnern, wenn wir selbst prophetische Menschen sind oder sein wollen - wenn wir Leid und Schuldverstrickungen erkennen und benennen, uns ihnen entgegenstellen wollen.

Am Ende unserer Perikope sagt Mose „Wenn nur das ganze Volk zu Propheten würde“. Das ist natürlich ein Seufzer, denn er weiss, dass so viel Weitsicht nie herrschen wird. Vielleicht ist es aber auch ein Segenswunsch: Mögt Ihr alle zu prophetischen Menschen werden.

Tobias Grimbacher

 

Bild: Christian Herwartz als Gast beim Jakobsbrunnen auf dem Ev. Kirchentag in Berlin 2017. Er sprach von seinen Erfahrungen mit Menschen die er bei ihren Exerzitien im Alltag  begleitete oder denen er selbst begegnete. 

Christian Herwartz u.A.

Im Alltag der Strasse Gottes Spuren suchen.

Persönliche Begegnungen in Strassenexerzitien

Neukirchener Aussaat.

Zurück