Sonntagsbrief zum 25. Sonntag im Jahreskreis, 18. September 2016

17. September 2016 von Anna Röder

Unmoralische Vorbilder?

Wallfahrtskirche auf der Wies © Hermetiker [Public domain or CC BY-SA 1.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/1.0)], via Wikimedia CommonsEr sagte zu seinen Jüngerinnen und Jüngern: „Es lebte ein reicher Mann, der hatte einen Verwalter, und dieser wurde bei ihm verleumdet, dass er seinen Besitz verschleudere. Er rief ihn und sagte zu ihm: ´Was hat es auf sich mit dem, was ich über dich höre? Lege Rechenschaft ab über deine Verwaltung, sonst kannst du nicht weiter verwalten.` Der Verwalter sprach zu sich: ´Was soll ich bloß tun, wenn mein Herr die Verwaltung von mir fortnimmt? Ich kann nicht mit der Schaufel umgehen und zu betteln schäme ich mich. Ich weiß, was ich tun will, damit sie mich in ihre Häuser aufnehmen, wenn ich von der Verwaltung abgesetzt bin.` Er ließ jeden einzelnen Schuldner seines Herrn zu sich rufen und sagte zum Ersten: ´Wie viel bist du meinem Herrn schuldig?` Der antwortete ihm: ´100 Bat Öl.` Da sagte er zu ihm: ´Nimm hier deinen Schuldschein, setzt dich schnell hin und schreibe: 50 !` Danach sagte er zu einem anderen: ´Und du, wie viel bist du schuldig?` Der antwortete: ´100 Kor Weizen.` Er sagte zu ihm: ´Nimm hier deinen Schuldschein und schreibe: 80.` Der Herr lobte den ungerechten Verwalter, dass er klug gehandelt habe. Denn die Kinder dieser Welt sind ihrem Geschlecht gegenüber klüger als die Kinder des Lichts. Und ich sage euch: Auch mit ungerechtem Geld lassen sich Freunde machen, die euch immer ein Obdach geben, wenn es euch fehlt. Wer im Kleinsten Vertrauen erwirbt, erwirbt es sich auch im Großen. Und wer im Kleinsten ungerecht ist, ist es auch im Großen. Und wenn ihr euch nun mit dem ungerechten Geld kein Vertrauen erwerben konntet, wer wird euch das Wahre anvertrauen? Und wenn ihr mit dem, was anderen gehört, kein Vertrauen erworben habt, wer wird etwas für euch geben? Keine Dienerschaft kann zwei Herren dienen; denn entweder wird sie den einen hassen und den anderen lieben, oder sie wird dem einen anhangen und den anderen verachten. Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Geld.“

Lk 16, 1-13
Bibel in gerechter Sprache

Die Gleichnisse Jesu sind mitten aus unserem Leben genommen. Deswegen ist es auch nach 2000 Jahren nicht schwer, die Betrügereien des „Ungerechten Verwalters“ in unsere Zeit zu übertragen. Jesu Geschichten grenzen manchmal an Zumutung; sie überschreiten die üblichen Grenzen. In dieser Geschichte wird viel kriminelle Energie freigesetzt. Klingt es für uns nicht kriminell, wenn Jesus laut und nachdrücklich sagt, dass wir von dem betrügerischen Verwalter lernen sollen? Was also ist der Sinn dieses ungewöhnlichen, anstößigen Gleichnisses? Die große Anerkennung, die der Verwalter erfährt, ist keine Anerkennung und keine Rechtfertigung seiner Unmoral. Hellwach erkennt er seine Situation. Jetzt gilt es zu handeln, bevor er fristlos entlassen wird und nicht mehr handeln kann. Darauf, nur darauf kommt es Jesus an: Die Situation erfassen, das Gebot der Stunde erkennen. Dieser Hinweis führt uns zu einer Art Gebrauchsanweisung: Wir müssen zwischen der Bildhälfte und der Sachhälfte eines Gleichnisses unterscheiden. Aber zwischen den beiden Teilen gibt es eine Berührungsstelle, einen Vergleichspunkt. Der Betrug, die Unmoral also, gehört in die Bildhälfte und hat mit der Sachaussage nichts mehr zu tun. Der springende Punkt, auf ihn kommt es einzig und allein an, ist die Klugheit. Es gilt, entschlossen und klug, das Nötige für das Reich Gottes zu tun. Mit der bisherigen, traditionellen Religionsausübung, mit einer nicht in Frage gestellten Gesetzesfrömmigkeit, kann und wird es nicht weitergehen, sagt Jesus. Das ist die Sachaussage. Also stellt euch darauf ein! Jede Generation hat sich in Sachen Religion die Frage zu stellen, was ist in dieser Situation klug? Was dient dem Menschen um des Himmelreiches willen? Eine Religion, eine Kirche, die dem Menschen nicht dient, ist unmenschlich und widerspricht dem Willen Gottes. Bischof Jacques Gaillot formulierte: „Eine Kirche, die nicht dient, dient zu nichts.“ Wenn wir also immer nur unsere Pflicht und Schuldigkeit tun, befinden wir uns bald in einem verlorenen Zustand der Gleichgültigkeit. Unsere Phantasie, unsere Kräfte entfalten sich dagegen eher durch Ideen und Taten, die uns in den Gegensatz mit der Gesellschaft bringen. Es gibt nicht nur die Verbotsmoral. An ihr hängen wir zu oft fest, weil sie kirchenspezifisch zu sein scheint. Es gibt die positive, bejahende, ja auch beglückende Moral, zum Beispiel die volle Hingabe des Schenkens – bis zum Verschenken des Lebens. Kann darin nicht die ganze Lust und Leidenschaft des Lebens stecken? Vielleicht hat Jesus das mit seinem Gleichnis gemeint, damit aus der zwar nützlichen, aber doch schlaffen Ermahnung „Was du nicht willst, dass man dir tu, das füg auch keinem anderen zu“ – die leidenschaftliche Ermutigung wird: „Liebe – und dann brauchst du nicht lange zu fragen, was zu tun oder zu lassen ist!“

Regina Grotefend-Müller

Bildnachweis: Wallfahrtskirche auf der Wies © Hermetiker [Public domain or CC BY-SA 1.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/1.0)], via Wikimedia Commons - https://commons.wikimedia.org/wiki/File%3AWallfahrtskirche_auf_der_Wies_19.jpg

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