Sonntagsbrief zum 24. Sonntag im Jahreskreis, 15. September 2019
13. September 2019 von Günther Doliwa
Bilderbogen der Freude über das (Wieder-) Finden
Ich danke dem, der mir Kraft gegeben hat, dem Christos Jesus,
unter dessen Weisung und Schutz wir stehen,
dass er mich als vertrauenswürdig erachtet
und mich zur Vermittlung seiner Botschaft bestimmt hat –
mich, der ich doch vorher ein Lästerer war,
ein Verfolger und frecher Übeltäter.
Aber ich wurde begnadigt,
weil ich aus Unwissenheit treulos gehandelt hatte.
In überreichem Maß verschenkte der,
dem wir gehören, herzlichstes Wohlwollen
und eröffnete ein Leben in Treue
und aktivem liebevollen Dienst
in der Gemeinschaft des Christos Jesus.
Auf dieses Wort ist Verlass
und es verdient aus ganzem Herzen angenommen zu werden:
Der Christos Jesus ist in die Welt gekommen,
um sündige Menschen zu retten.
Von den Sündern bin ich der erste,
habe aber deshalb Begnadigung erfahren,
damit der Christos Jesus an mir als erstem
seine ganze Langmut beweisen konnte.
So sollte ich ein Modell werden für die,
die in Zukunft auf ihn vertrauen,
auf dass sie das ewige Leben erhalten.
Dem König über alle Zeiten,
der unvergänglichen, unsichtbaren, einzigen Gottheit,
sei Ehre und Ruhm
für immer und alle Zeiten. Amen.
1Tim 1,12-17 Bibel in gerechter Sprache
Bilderbogen der Freude über das (Wieder-) Finden
Wie den Zorn besänftigen, der aufschießt, wenn es nicht wie erwartet läuft?
Im Buch Exodus 32 ist es Gott selbst, der in seinem entbrannten Zorn vom Befreier Moses überzeugt werden will, Vernichtungsdrohungen zurückzunehmen. Sintflut-Stress kehrt wieder, heute in der Mode apokalyptischer Verschwörungen, Totalverlust inklusive.
Das aus dem Sklavenhaus herausgeführte Volk tanzt einst um falsche Götzen, selbst gebildete, austauschbare, und begibt sich in Gefangenschaft von Illusionen. Hartnäckig am falschen Leben festhaltend als wäre ein richtiges Leben eine Gefahr.
Moses erinnert Gott an sein großes Versprechen, das Unmaß der Sterne am Himmel als Maß zu nehmen und den Nachkommen der Väter Land und Besitz zu geben. Oben das Unerreichbare, unten das Hab- und Haltbare. Im Grunde hätte Moses sauer sein müssen über die gekippte Stimmung im Volk. Dargestellt wird es so, dass Gott sich kaum mäßigen kann. Liebt nun der mehr, welcher aus Gründen sauer ist, weil und wenn sich der Geliebte abwendet, als jener, welcher beschwichtigt, dem alten Bund treu zu sein und auf das Halten der Versprechen pocht?
Paulus, der (1 Tim1) als fanatischer Verfolger Gegner (Christen) vernichtet hat, wurde für würdig befunden zu begreifen, welchem Wahn er folgte. Unglauben heißt hier: nicht zu wissen, was man tut. Für Paulus war es ein Schlüsselerlebnis, trotz Mordsschuld bei Gott Erbarmen zu finden. Sein Gottesbeweis lautet: Gott kann im Lichte Christi nur begriffen werden als langmütig in seiner Liebe. (Siehe Liebeslied in 1 Kor 13). Gottes Langmut umfasst selbst Verbrecher, die nicht wissen, was sie anrichten, wenn sie versuchen, Ankläger (Diabolos), Richter und Vollstrecker in einem zu spielen. Siehe politisch motivierte Terrormassaker, jüngst in Texas und Ohio. Waffen schaffen es einfach nicht, Frieden zu stiften. Sie löschen nur Leben aus, bringen aber nichts zustande als unermessliche Trauer und Spaltung. Christus selbst ist es, davon ist Paulus überzeugt, der die Kraft zu lieben schenkt, die zum Leben führt. Damaskus ist der imaginäre Wendepunkt, der den vom Hass gesteuerten Verfolger umkrempelt, indem er von nun an die Liebe beherzigt.
Im Evangelium prallen soziale Gegensätze, Gegenwelten aufeinander. (Lk 15,1-32)
Zöllner wollen Jesus hören, während Lehrinhaber sich empören,
dass dieser Rabbi sich nicht halten will
an penibel geregelte Kontaktsperren und Umgangsnormen.
Ein Mahl zu feiern mit Außenseitern wie Kollaborateuren
mit den römischen Besatzern, das ginge gar nicht!
Das würde eine unerhörte Gemeinschaft stiften,
welche die auf (konfessionelle) Spaltung
und soziale Ausgrenzung Bedachten nicht ertragen.
Sie haben Angst um ihre genormte Identität.
Das gilt bis in unsere populistischen Tage.
Stimmung machen gegen Nichtzugehörige, Verhetzen,
das Tor zum Hass aufstoßen, das dient absurd
irrationalen Wahlk(r)ämpfen, ruiniert aber den Respekt.
Was dagegen tun?
Jesus führt Fantasie ins Feld, um die Erbosten umzustimmen.
Er ist groß darin, den Alltag der Zeitgenossen als Spiegel zu verwenden.
Welcher Hirte würde nicht das verlorene Schaf suchen, bis er es findet?
Das gefundene Schaf auf den Schultern ruft er Freude aus.
In der Welt, die Gott nach Jesus meint,
machen nicht diejenigen Entwicklungsverweigerer Freude,
die selbstgerecht Tradition, Stammtische und Stammplätze verteidigen.
Im Gegenteil!
Jene machen Freude, die erleben, dass sie nicht dazu gehören,
weil sie die Wahrheit nicht mit Silberlöffeln gefressen haben,
die aber scharf darauf sind zu hören, wie ein Leben
zusammen mit ihnen aussehen könnte.
Die hören auf einen, der sie willkommen nennt
und für würdig hält zu Tisch zu kommen.
So findet der poetische Rabbi Gleichnis um Gleichnis,
um die Freude des Findens auszumalen:
eine Frau, die nach eifriger Suche verlorenes Geld findet:
Finderlohn ist die mit andern geteilte Freude.
Jesu Bilderbogen der Freude gipfelt in der Parabel über die Rückkehr des Sohnes,
der sein Vermögen durchbringt, bei „Trostfrauen“ (Huren)
und bei Schweinen landet und sich erinnert,
dass es ein anderes Leben geben könnte.
Der Vater feiert die Heimkehr des Verlorenen
mit Kuss, mit Ring, mit Kalbsbraten, mit Musik und Tanz.
Der zweite, zurück gebliebene (!) Sohn hadert.
Vielleicht neidet er seinem Bruder auch
sein unbeschwertes Lotterleben.
Dem stünde jedenfalls kein Heimspiel zu.
Im Gleichnis, das Jesus zum Selbst-Betrachten vorlegt, geht es
nicht um gemeißelte Treue oder Strafe für Untreue.
Es geht um eine offene Gestalt -würden Gestalttherapeuten sagen-,
die sich endlich schließen kann und bislang Getrenntes versöhnt.
An dieser Stelle zerspringt auch Luthers Idee einer Rechtfertigung.
Gott legt auf Rechtfertigung gar keinen Wert.
Barmherzigkeit umfängt alle Schwächen.
Erst recht hebt sich das kasuistische Kirchenrecht auf.
Eine Blockade für sämtliche Reformen.
Es geht nicht ums ein für alle Mal gültige Recht,
sondern darum, dass Liebe alles recht macht.
Psalm 51 will deswegen „ein reines Herz“.
Es geht um ein größeres Format, um das Wunder
der Aufhebung aller meist gewalttätigen Verhältnisse,
in denen die Liebe keinen Platz hat.
Der Totgeglaubte lebt. Der Verlorene ist wieder da.
Welche Freude für alle verlassenen Mütter, Väter, Kinder,
die unter der Folter leiden, nicht genügend geachtet
oder vergessen zu sein!
Es gibt niemand, der das Verlieren nicht kennt.
Wenn dann ein (Sich-) Finden möglich wird, können Wunden heilen.
Wenn das kein Grund zur Freude ist,
die alle Nachbarn zum Fest ruft, was dann!?
Günther M. Doliwa
Bildnachweis: Düsseldorf, Deutschland. Katholische Kirche St. Lambertus, Hauptportal mit Bronze-Tür von Ewald Mataré. Detail: Heimkehr des verlorenen Sohnes. © Beckstet