Sonntagsbrief zum 23. Sonntag im Jahreskreis, 4. September 2016

3. September 2016 von Reinhard Olma

Gelassenheit finden

Detail am Raiffeisenhaus Eschwege© 2016 Sigrid GrabmeierDie Gedanken der sterblichen Menschen sind voller Befürchtungen,
und unsicher sind unsere Vorhaben.
Ein vergänglicher Leib nämlich beschwert die Seele,
und das irdische Zelt belastet den Sinn, der so viel erwägen kann.
Schon was auf der Erde vorgeht, können wir uns kaum vorstellen,
und haben Mühe zu entdecken, was doch auf der Hand liegt.

Weish. 9, 13-16 (ganze Stelle 14-19)
Bibel in gerechter Sprache

Ich bitte dich für mein Kind Onesimus, den ich in Fesseln geboren habe. Er war für dich damals ohne Nutzen, jetzt aber ist er für dich und mich von großem Nutzen. Ihn habe ich dir zurückgeschickt, ihn, das heißt: mein Innerstes. Ich hätte ihn gerne bei mir behalten, damit er mir an deiner Stelle in den Fesseln der Freudenbotschaft dient. Doch ohne deine Zustimmung wollte ich nichts tun, damit deine gute Tat nicht wie unter Zwang, sondern freiwillig geschehen kann. Denn vielleicht wurde er deshalb für kurze Zeit von dir getrennt, damit du ihn schließlich für immer empfängst, nicht mehr als einen Sklaven, sondern als jemand, der weit mehr ist als ein Sklave: nämlich ein geliebter Bruder.

Brief an Philemon, 10-16 (ganze Stelle 9-17)
Bibel in gerechter Sprache

Lk 14, 25-33
Bibel in gerechter Sprache

Eine ganze Menge wird uns an diesem Sonntag von den ausgewählten Texten zugemutet. Denn wir sind schon stolz auf das, was wir gelernt haben, auf unser Wissen und unsere Fähigkeiten. Wir freuen uns über unsere Erfolge und – ja auch über das, was wir geschafft haben, den sozialen Status, den wir uns aufgebaut  und den wir unseren Kindern sozusagen als Grundlage für ihr Leben mitgegeben haben.

Und da provoziert uns das Buch der Weisheit mit der Feststellung, dass wir eigentlich nichts wissen. Trotz Schule, Studium und eindrucksvollen Leistungen der Wissenschaft kratzen wir nur mühsam an der Oberfläche der Welt. Und warum?

Weil die Sorgen um die Zukunft, unser Fortkommen im Beruf, unseren gegenwärtigen und vielleicht zukünftigen Besitz den Geist, der uns geschenkt ist, völlig mit Beschlag belegen. Weil unser Mühen um die eigene Sicherheit und die Verteidigung dessen, was wir uns erarbeitet haben, alle Kräfte bindet.

Und Lukas schlägt in die gleiche Kerbe. Er zitiert Jesus: „Niemand kann mein Jünger sein, wenn er nicht auf seinen ganzen Besitz verzichtet.“

Aber Moment mal. Wir kennen zwar die Aussagen darüber, dass es für Reiche schwer ist, in das Himmelsreich zu kommen – aber das gilt doch nicht für uns! Wir sind doch nicht reich! Wir haben doch nur was nötig ist, um einigermaßen über die Runden zu kommen!

Falsch. Das ist nicht gemeint! Hier geht es nicht um die Größe des Besitzes. Hier geht es darum, dass wir uns nur um uns, unsere Familien, das Fortkommen im Beruf, unsere Befindlichkeiten und Bequemlichkeiten Gedanken machen und für die existenziellen Dinge kein Platz im Kopf bleibt.

Und was fangen wir nun mit diesen Erkenntnissen an?

Vielleicht ist ein Ansatz, es mit etwas mehr Gelassenheit zu versuchen. Wenn wir mit etwas Demut bestimmte Etappen unseres Lebens betrachten, stellen wir schnell fest, dass nicht alles nur das Ergebnis unseres ständigen Bemühens ist.  Viele positive Effekte haben sich fast ohne unser Zutun eingestellt. Andererseits haben unsere Anstrengungen oft gar nicht zum gewünschten Ziel geführt.

Das heißt, dass es besser wäre, manches einfach geschehen zu lassen; Gott die Gelegenheit zu geben, wieder mehr in unser Leben einzugreifen.

Wie finden wir aber zu mehr Gelassenheit?

Jenny Erpenbeck schildert in ihrem sehr berührenden Roman „gehen, ging, gegangen“, wie ein Professor, der nach seiner Emeritierung plötzlich Zeit hat, quasi zufällig mit Asylanten in Kontakt kommt und beginnt, sich um sie zu kümmern. Die ergreifenden Geschichten ihres Lebens und die Beschäftigung mit ihrer Kultur bringen den Professor dazu, dass er seine Forschungsarbeit plötzlich in einem ganz anderen Licht sieht und ihm völlig neue Erkenntnisse zufallen, die ihm in seinem Berufsleben verschlossen blieben.

Das könnte also ein Weg sein: Wenn andere Menschen und ihre Schicksale eine Zeit lang unser Denken und Handeln mitbestimmen, wird der Kopf von den tatsächlichen oder eingebildeten Alltagssorgen wieder frei. Und plötzlich lösen sich manche Fragen und Unklarheiten auf. Und so wird unser Bemühen für andere zum Segen für uns selbst.

Das spannt den Bogen zur zweiten Lesung des heutigen Sonntags. Vielleicht hatte Paulus, der Philemon seinen Sklaven zurück schickt, den dieser wie seinen Sohn aufnehmen soll, auch diesen Gedanken in seinem Kalkül. Versuchen wir es. Überall in unserer Umgebung sind Menschen, die auf unsere Zuwendung warten. Wenn wir ihnen helfen, helfen wir vor allem uns.

Einen gesegneten Sonntag wünscht
Reinhard Olma

Bildnachweis: Detail am Raiffeisenhaus Eschwege© 2016 Sigrid Grabmeier

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