Sonntagsbrief zum 22. Sonntag im Jahreskreis, 9.September 2019

29. August 2019 von Tobias Grimbacher

herausgefordert oder überfordert?

Spoleto San Pietro Hauptportal; © Wolfgang Sauber

Kind, bei all deinem Tun bleibe bescheiden
und du wirst geliebt werden von anerkannten Menschen!

Je größer du bist, umso mehr demütige dich 
und du wirst vor dem Herrn Gnade finden!
Denn groß ist die Macht des Herrn, 
von den Demütigen wird er gerühmt.

Suche nicht, was für dich zu schwierig ist, 
und erforsche nicht, was deine Kräfte übersteigt!
Was dir geboten worden ist, das überdenke, 
denn du hast keinen Bedarf an verborgenen Dingen!

Verwende keine Mühe auf außergewöhnliche Dinge, 
denn mehr, als Menschen verstehen können, wurde dir gezeigt!
Denn ihre Mutmaßungen haben viele getäuscht 
und übler Argwohn hat ihr Denken in die Irre geführt.

Ein verhärtetes Herz nimmt ein böses Ende; 
wer die Gefahr liebt, kommt in ihr um.
Ein verhärtetes Herz wird durch Mühsal niedergedrückt 
und der Sünder häuft Sünde auf Sünde.

Es gibt keine Heilung für das Unglück des Hochmütigen, 
denn eine Pflanze der Bosheit hat in ihm Wurzel geschlagen.
Das Herz eines Verständigen wird einen Sinnspruch überdenken 
und das Ohr des Zuhörers ist die Sehnsucht des Weisen.

Sir 3,17-29, Einheitsübersetzung 

 

herausgefordert oder überfordert?

Liebe Leserin, lieber Leser, vielleicht geht es Ihnen ja so wie mir: ich kann mit den Lesungen des heutigen Sonntags nicht viel anfangen. Nur wo Jesus Sirach sagt: „Suche nicht, was für dich zu schwierig ist“ fühle ich mich angesprochen, denn dieser Brief ist offensichtlich zu schwierig für mich. Befolgen kann ich den Rat des alten Weisheitslehrers leider nicht. Schliesslich habe ich zusagt, ein paar – womöglich sinnvolle – Gedanken zu verfassen. Ich stelle mich der Herausforderung.

Am meisten verstört mich der Satz „demütige Dich und Du wirst Gnade finden“. Ginge es tatsächlich um die Demut, im Althochdeutschen diomuoti - dienstwillig, also den Mut zum Dienen, fiele es mit leichter damit umzugehen. Tatsächlich wird im Lateinischen jedoch das Wort humilitas benutzt und das bedeutet Niedrigkeit, das Verb dazu erniedrigen. Er klingt für mich sehr nach „geissle Dich selbst aus purem Selbstzweck“, und das passt nicht recht zur sonstigen Botschaft des Jesus Sirach und erst recht nicht zur Botschaft des Jesus von Nazareth. Mich demütigen, also erniedrigen, das Verb in dieser Form ist für mich aus der Zeit gefallen, es ist im heutigen Wortschatz und Weltbild nicht präsent. „Jemand anderen demütigen“ habe ich schon gehört, mache ich hoffentlich nicht, ist wohl verwand mit dem neudeutschen „mobbing“. Nur: kann ich mich selber mobben? Und dabei Gnade finden? Erst später verstehe ich, was vielleicht gemeint sein könnte: als von den Hochmütigen die Rede ist. Hochmut kommt mir bekannt vor, bei anderen und manchmal auch bei mir selber. Wenn Jesus Sirach also meint „sei nicht hochmütig“, dann fühle ich mich angesprochen. Die BiGS übersetzt den Vers mit „was du tust, tue in demütiger Gelassenheit“. Selbst wenn ich „demütig“ nicht verstehe, bleibt hier die Gelassenheit als Gegengewicht zum Hochmut.

Was kann ich Ihnen am Ende dieses Briefes also mitgeben als frohe Botschaft für diesen Sonntag? Immerhin erwarten Sie ja ein Wort zum Reich Gottes, zur Kirchenkrisen oder zur lebendigen Gemeinde. Wenn mir eine Aufgabe zu gross scheint, dann möchte ich mich fragen, warum ich die grosse Aufgabe bekommen habe. Offensichtlich gibt es ja andere, die es mir zutrauen. Und wenn andere mir etwas zutrauen, mich vielleicht dabei unterstützen: darf ich es mir dann nicht selbst auch zutrauen? Und darf ich als gläubiger Mensch nicht vertrauen, dass auch Gottes Geist dabei ist? Vielleicht ist es gerade diese vertrauensvolle Gelassenheit im Austausch mit Menschen und Gott, die mich vom selbstherrlichen Hochmut abhält und die uns das richtige Mass finden lässt unsere Aufgaben zu erfüllen, im kleinen und im überfordernd grossen, in Kirche und Welt von heute. 

Einen gelassenen Sonntag in Gottes Gnade wünscht Ihr Tobias Grimbacher. 

 

Bild: Spoleto ( Umbrien ) San Pietro fuori le mura: Romanisches Hauptportal ( ca. 1200 ) - Ein Löwe verschont einen knienden Menschen ( Allegorie auf die Barmherzigkeit Gottes gegenüber dem demütigen Menschen )

© Wolfgang Sauber

 

Zurück