Sonntagsbrief zum 22. Sonntag im Jahreskreis, 3.September 2017

31. August 2017 von Tobias Grimbacher

Göttliches im Sinn?

„Nimm mich mir!“ http://www.nimm-mich-mir.ch

 

Von da an begann Jesus seinen Jüngern und Jüngerinnen zu erklären, er müsse nach Jerusalem gehen und Vieles von Ältesten, Hohenpriestern und Toragelehrten erleiden und getötet werden und am dritten Tage auferstehen. Petrus nahm ihn beiseite und begann, ihm Vorhaltungen zu machen: "Gott sei dir gnädig, zu dir gehöre ich doch. Das darf dir nicht passieren!" Jesus drehte sich um und sagte zu Petrus: "Geh' weg von mir, Satan. Du willst mich zur Untreue verleiten, denn du hast nicht Göttliches im Sinn, sondern Menschliches."

 

Da sagte Jesus zu seinen Jüngerinnen und Jüngern: "Wer meinen Weg gehen will, sage sich von sich selbst los und nehme das eigene Kreuz auf sich und folge mir nach. Wer das eigene Leben retten will, wird es verlieren. Wer das eigene Leben um meinetwillen verliert, wird es finden. Was nützt es Menschen, wenn sie die ganze Welt gewinnen, ihr Leben aber Schaden erleidet? Was werden Menschen an Stelle ihres Lebens eintauschen können? Der Mensch wird im Schein göttlichen Lichtes, umgeben von Engeln Gottes, kommen und dann wird er jedem Menschen nach den eigenen Taten Recht sprechen."

 

Mt 16,21-27 Bibel in gerechter Sprache

Was heisst das wohl: Göttliches im Sinn haben? Ganz konkret? Für mich? Wie erkenne ich, ob ich gerade mein Leben verliere, also vergeude - oder es finde? Diese Leitfragen aus dem Evangelium stehen im Hintergrund, wenn ich heute über etwas ganz anderes schreibe.

Die Schweiz feiert dieses Jahr den 600. Geburtstag ihres Nationalheiligen Niklaus von Flüe, genannt Bruder Klaus. Es ist ein ökumenisches Ereignis, bei dem reformierte, katholische, christkatholische und orthodoxe Kirchen sowie weltliche Stellen zusammen wirken. Und immer wieder wird darauf hingewiesen, dass wir den Heiligen heutzutage nach unseren eigenen Massstäben betrachten, die vielfach nicht dem Weltbild seiner Zeit entsprechen.

Niklaus von Flüe ist nicht zu verstehen ohne seine Frau Dorothea Wyss, mit der er zehn Kinder hat. Nach zwanzig Ehejahren lässt er sie zurück und geht auf Pilgerschaft. Doch schon nach wenigen Tagen hat er eine apokalyptische Vision, und ein Landarbeiter rät ihm, zu seiner Familie zurückzugehen. So lebt er fortan in der Ranft-Schlucht, in der Nähe seines Heimathauses.

In gewisser Weise hat die katholische Kirche mit Niklaus von Flüe auch seine Ehe und deren Ende heilig gesprochen. Sicher, es ist das perfekte Ende einer ehelichen Gemeinschaft. Niklaus und Dorothea haben zwei Jahre lang über den richtigen Weg gerungen, und Dorothea hat wohl eingesehen, dass sie ihn ziehen lassen muss – dass er emotional auch dann weg ist, wenn er physisch bleibt. Auch ist für Frau und Kinder gesorgt, denn ein erwachsener Sohn kann den Hof weiterführen. Und Niklaus bleibt letztlich in der Nähe, für Dorothea und die Kinder ansprechbar. Viele Beziehungen scheitern schlimmer, selbst wenn sie nicht an einem einschneidenden Ereignis, einem verletzenden Verrat, zerbrechen. Man findet keine Gesprächsbasis, sucht sie irgendwann gar nicht mehr, und kann sich letztlich nur noch weh tun. Man verliert, weil man keinen gemeinsamen Weg zur Trennung bahnen kann. Unsere Kirche hat, wir wissen es, bis heute für gescheiterte Beziehungen keinerlei Konzept – und erst recht nicht für eine neue Beziehung nach dem Scheitern. Ich bin mir nicht sicher, was Jesus unseren Amtsträgern sagen würde. Vielleicht das selbe wie zu Petrus im heutigen Evangelium: „Ihr habt nicht Göttliches im Sinn, sondern Menschliches“?

Niklaus von Flüe bekommt von seiner Frau die Erlaubnis, sein Leben zu finden, indem er sich von seiner Rolle als Ehemann, Vater, Landwirt und Politiker abwenden darf, seinen Zweifeln nachgibt, und in der Ranft-Schlucht leben kann, nur für das Gebet – und für viele Ratsuchende, die bald zu ihm kommen. Seine bemerkenswerte Spiritualität, die für die Heiligsprechung vermutlich massgeblicher war als die glücklich getrennte Ehe, wird Thema des nächsten Sonntagsbriefs sein.

Bis dahin einen gesegneten Sonntag und eine gute Woche.

Tobias Grimbacher

 

Bild: Szenenbild des sehr sehenswerten Theaterstücks , einer szenischen Recherche zu Niklaus von Flüh. Bildrechte und Infos zu weiteren Aufführungen: Nimm mich mir!“ http://www.nimm-mich-mir.ch

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