Sonntagsbrief zum 22. Sonntag im Jahreskreis, 28. August 2022
26. August 2022 von Tobias Grimbacher
Demütige Gelassenheit
Mein Sohn, meine Tochter, alles, was du tust, tue in demütiger Gelassenheit, dann wirst du mehr geliebt als Menschen, die Geschenke verteilen. Je mehr Einfluss du hast, umso mehr nimm dich selbst zurück, dann wirst du Gefallen finden vor der Ewigen. Denn groß ist die Macht der Ewigen, von den Demütigen und Niedrigen wird sie gepriesen. Suche nicht, was dich in zu große Gefahr bringt, erforsche nicht, was deine Kräfte übersteigt. Denke über das nach, was dir als Mensch anvertraut wurde; der Umgang mit Dingen, die dem Menschen verborgen sind, ist nicht deine Sache. Beschäftige dich nicht hartnäckig mit dem, was über deine Aufgabe hinausgeht, denn dir wurde schon mehr gezeigt, als der Verstand von Menschen fassen kann. Schon viele führte die Spekulation über verborgene Dinge in die Irre, und schlimme Einbildungen brachten ihre Gedanken auf Abwege.
Ein verhärtetes Herz wird am Ende Schlimmes erleiden, und wer Risiko liebt, wird dadurch zugrunde gehen. Ein verhärtetes Herz wird niedergedrückt werden von Leid und Schmerz, und gewissenlose Menschen häufen Schuld auf Schuld. Für das Elend, das die Hochmütigen durch ihr Verhalten über sich bringen, gibt es keine Heilung, denn eine bösartige Pflanze hat in ihnen Wurzeln geschlagen. Ein einsichtiges Herz denkt über einen Sinnspruch nach, und über ein aufmerksames Ohr freuen sich weise Menschen. Wie Wasser loderndes Feuer löscht, so machen barmherzige Gaben Schuld unwirksam. Menschen, die Gutes tun, wird auch selbst Gutes begegnen; wenn sie zu fallen drohen, werden sie eine Stütze finden.
Sir 3, 17-31 Bibel in gerechter Sprache
Demütige Gelassenheit,
dieses Leitmotiv bildet den Anfang und eine Klammer über die heutige Perikope aus dem Buch Jesus Sirach. Wer gelassen handelt, sich selbst nicht so wichtig nimmt, steht in der Gunst Gottes.
Auf dieser Grundlage betrachtet Jesus Sirach den „Umgang mit Dingen, die dem Menschen verborgen sind“, und er rät davon ab. Als Naturwissenschaftler muss ich hier natürlich einhaken. Die Wissenschaft befasst sich seit je mit dem, was noch nicht bekannt ist, sonst wären wir nicht vom Satz des Pythagoras zum Higgs-Boson gekommen. Dabei muss sich die Wissenschaft an gewisse Regeln halten, sie muss gewissermassen demütig und gelassen mit ihrem Forschungsgegenstand umgehen. Ein wichtiges Kriterium ist die Evidenz, die Überprüfbarkeit von Theorien. Ein anderes ist, dass wir uns immer der Voraussetzungen und Randbedingungen bewusst sein müssen, unter denen eine Gesetzmässigkeit oder Theorie gilt (z.B. gilt der Satz des Pythagoras nur auf ebenen Flächen). Wer seine Voraussetzungen und Randbedingungen vergisst, landet schnell, wie Jesus Sirach beschreibt, auf schlimmen Abwegen.
Dazu gehört auch der Unterschied zwischen Theorie (unbewiesene oder noch nicht bewiesene These) und (logisch hergeleitete) Gesetzmässigkeit. Auch die Theorie des menschengemachten Klimawandels ist streng logisch nicht beweisbar, es gibt aber eine erdrückende Kette von Indizien, und die Messwerte passen zu den Vorhersagen. Die demütige Gelassenheit, mit der die Klimatologen seit Jahrzehnten den Klimawandel erforschen und auf die Klimakatastrophe für dem Planeten hinweisen, ist dabei nicht zu verwechseln mit der naiven Ignoranz von Politik und Gesellschaft, die inzwischen massive Proteste auf sich ziehen. So kleben sich die Mitglieder der „Letzten Generation“ auf dem Strassenbelag fest, um gelassen aber auch eindringlich darauf hinzuweisen, dass wir im Moment unsere Lebensgrundlagen zugrunde richten.
Ich bin überzeugt davon, dass diese wissenschaftlichen Grundsätze auch für die Theologie gelten, auch wenn es hier um Offenbarung geht und ein Nachweis viel schwerer ist. Die Theorie einer Schöpfung in sieben Tagen ist evident widerlegt. Die These, Jesus sei von den Toten auferstanden, muss sich ihrer Voraussetzungen bewusst sein: sie setzt einen Glauben an die Auferstehung voraus, und ausserdem die Erfahrung, dass in Jesu Handeln Gott wirksam geworden ist. Nur aufgrund dieser Erfahrung konnten die Frauen am Grab glaubhaft vermitteln, dass er lebt. Vielleicht habe ich diese Erfahrung auch gemacht, oder ich kann den Berichten glauben. Jedenfalls soll ich mit demütiger Gelassenheit denen gegenüberstehen, die meiner Theorie nicht folgen, denn streng wissenschaftlich beweisen kann ich eine Offenbarungswahrheit nie. Wie Jesus Sirach schreibt, führt solche „Spekulation über verborgene Dinge“ oft in die Irre. Wenn sie zudem mit einem verhärteten Herz (z.B. einem Dogma) vertreten wird, häuft sich Schuld auf Schuld.
Interessant ist, was unsere Perikope weiter zur Schuld sagt. Wir sollen ja glauben, dass Jesu Tot unsere Schuld ein für alle mal getilgt hat. Aber das reicht nicht. Barmherzige Gaben, gute Taten, können Schuld unwirksam machen, können sie nach und nach auslöschen wie das Wasser von Löschflugzeugen einen Waldbrand löscht. Wir sollen selber Gutes tun, im Kleinen wie auch in der Dimension der kollektiven Schuld, die wir z.B. als globaler Norden an den Weltregionen aufgehäuft haben, die dank unseres CO2-Ausstosses bald nicht mehr bewohnbar sein werden.
Wer Gutes tut, dem wird auch Gutes begegnen. Das ist nicht der Grund, um Gutes zu tun, sondern es ist eine Erfahrung, die wir machen dürfen, wenn wir einfach so, ohne Berechnung, Gutes tun - aus demütiger Gelassenheit.
Tobias Grimbacher
Als Antwort auf die tiefe Krise der römisch-katholischen Kirche und des damit einhergehenden Bedeutungsverlustes in unserem Land kommen Reformgruppen, Betroffeneninitiativen sowie katholische Verbände und Initiativen zu einer KirchenVolksKonferenz am 24. und 25. September 2022 in Köln zusammen und laden alle Interessierten und Engagierten aus nah und fern herzlich dazu ein.
Am Freitag, 23. September 2022 findet am selben Tagungsort, der Jugendherberge Köln-Deutz, die 47. öffentliche Wir sind Kirche-Bundesversammlung statt.
Die Gesamtorganisation erfolgt durch die KirchenVolksBewegung Wir sind Kirche.
Weitere Informationen und Anmeldung hier: KirchenVolksKonferenz