Sonntagsbrief zum 22. Sonntag im Jahreskreis, 28. August 2016
27. August 2016 von Tobias Grimbacher
Platzwahl
Als Jesus an einem Sabbat in das Haus eines führenden Pharisäers zum Essen kam, beobachtete man ihn genau.
Als er bemerkte, wie sich die Gäste die Ehrenplätze aussuchten, nahm er das zum Anlass, ihnen eine Lehre zu erteilen. Er sagte zu ihnen: Wenn du zu einer Hochzeit eingeladen bist, such dir nicht den Ehrenplatz aus. Denn es könnte ein anderer eingeladen sein, der vornehmer ist als du, und dann würde der Gastgeber, der dich und ihn eingeladen hat, kommen und zu dir sagen: Mach diesem hier Platz! Du aber wärst beschämt und müsstest den untersten Platz einnehmen. Wenn du also eingeladen bist, setz dich lieber, wenn du hinkommst, auf den untersten Platz; dann wird der Gastgeber zu dir kommen und sagen: Mein Freund, rück weiter hinauf! Das wird für dich eine Ehre sein vor allen anderen Gästen. Denn wer sich selbst erhöht, wird erniedrigt, und wer sich selbst erniedrigt, wird erhöht werden.
Luk 14, 1 und 7-11
Einheitsübersetzung
Bei grösseren Festen wie Hochzeiten oder runden Geburtstagen, ist es bei uns in der Verwandtschaft üblich, dass Platzkärtchen auf den Tischen verteilt sind. Jeder Gast findet also seinen Namen dort, wo der Gastgeber oder die Gastgeberin ihn gerne sitzen haben möchte. Die Einladenden haben vorher gründlich überlegt, wer neben wem sitzen soll, wer zusammen gehört oder gut zueinander passt und wie es möglich ist, dass niemand plötzlich allein sitzt.
Dem Evangelium geht es aber nicht um das Zusammenpassen der Gäste und um Platzkärtchen, sondern um Macht, Leistung und Ansehen – und unsere Einstellung dazu. Wenn Jesus sagt „setzt Dich lieber auf den untersten Platz“, dann lese ich hier den Aufruf, mich selbst nicht so wichtig zu nehmen. Wenn ich darauf angewiesen bin, durch meine Machtposition oder Leistung einen der obersten Plätze zu ergattern, dann werde ich irgendwann beschämt zurückverwiesen auf einen Platz, der vielleicht angemessener ist. Wenn ich mich nicht so wichtig nehme und einfach irgendwo hinsetze, lerne ich womöglich Leute mit ganz anderen Lebensumständen kennen und werde sicher mehr bereichert als im Club der Machtgeilen irgendwo fast ganz oben.
Umgekehrt sehr ich – wie der Gastgeber im Evangelium – manchmal auch Menschen, die nicht die Anerkennung (die Ehre) bekommen, die sie haben sollten. Viele nehmen wichtige Aufgaben für andere wahr und sitzen ganz unscheinbar am Rand. Als Gastgeber dürfen wir diese Menschen herausheben und Danke sagen: “das, was Du tust – und das Ansehen, das Du bei uns geniesst - das ist weit grösser als der untere Platz, den Du eingenommen hast.“ Und manche auf den besseren Plätzen dürfen wir darauf hinweisen, dass sie nicht so hoch geschätzt und wichtig sind, wie sie vielleicht glauben.
Wenn das Evangelium von Hochzeit spricht, dann ist immer auch das himmlische Hochzeitsmahl gemeint, ein Bild dafür, wie es einmal bei Gott sein wird. Und wir wissen: so wie es bei Gott sein wird, so soll es eigentlich schon heute unter uns sein, denn das Reich Gottes hat ja schon begonnen. Einmal mehr heisst das, mich nicht von der vermeintlichen Ehre derer blenden zu lassen, die immer die ersten Plätze einnehmen, sondern auf den Menschen zu schauen. Und: mich nicht wichtiger nehmen als andere, denn wir haben das Reich Gottes alle gleich geschenkt bekommen.
Bei den anfangs erwähnten Familienfesten mit den Platzkarten ist es übrigens so, dass sich die Gäste irgendwann umsetzen, um auch mit anderen zu reden. So sehr die Platzkarten am Anfang eine Hilfe sind, so egal sind sie am Ende. Nicht der zugewiesene Platz ist wichtig, sondern dass alle zusammen feiern!
Tobias Grimbacher
Bildnachweis: Platzkarte © 2016 Tobias Grimbacher