Sonntagsbrief zum 22. Sonntag im Jahreskreis, 2. September 2018

30. August 2018 von Magnus Lux

Von Menschen gemachte Satzungen

Paragraphen - Straßenpflaster in Freiburg © Andreas SchwarzkopfDa versammelten sich bei ihm Pharisäerinnen und Pharisäer sowie einige toragelehrte Frauen und Männer, die von Jerusalem herabgekommen waren. Und sie sahen einige seiner Jüngerinnen und Jünger mit gewöhnlichen, das heißt ungewaschenen Händen Brot essen. – Pharisäische und überhaupt alle jüdischen Menschen essen nur, wenn sie sich die Hände zweimal gewaschen haben. So halten sie an der Überlieferung der Vorfahren fest. Wenn sie vom Markt kommen, so essen sie nicht, ohne sich die Hände abgespült zu haben. An viele andere Gebote halten sie sich traditionell, nämlich Trinkgefäße, Krüge und Kupfergefäße auszuspülen. – Da fragten ihn die pharisäischen und die toragelehrten Frauen und Männer: „Warum leben deine Jüngerinnen und Jünger nicht nach der Überlieferung der Vorfahren, sondern essen das Brot mit ungewaschenen Händen?“ Er aber sagte zu ihnen: „Hervorragend hat Jesaja eure eigenwilligen Schriftinterpretationen prophezeit: DiesesVolk verehrt mich mit den Lippen, doch ihr Herz ist weit weg von mir.Vergeblich verehren sie mich, indem sie Gebote von Menschen als Lehren vortragen. Ihr lasst Gottes Gebot unbeachtet und haltet an der Überlieferung der Menschen fest.“

Wieder rief er das Volk zu sich und sagte zu ihnen: „Hört mir alle zu und begreift! Nichts, was außerhalb von Menschen ist und in sie hineinkommt, kann sie verunreinigen, sondern was aus ihnen herauskommt, das verunreinigt die Menschen. Von innen heraus nämlich, aus dem Herzen der Menschen, kommen die schlechten Gedanken: Benutzen von Prostituierten, Diebstähle, Tötungen, Ehebrüche, Habgier und Geiz, Gemeinheiten, Betrug, Zügellosigkeit, bösartiger Blick, Verleumdungen, Hochmut und Ignoranz. All diese schlechten Handlungen und Eigenschaften kommen von innen heraus und verunreinigen die Menschen.“

 

Mk 7,1-8.14-15.21-23 Bibel in gerechter Sprache

 

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Von Menschen gemachte Satzungen

„Du Pharisäer!“ Gibt es ein schlimmeres Schimpfwort? Die Pharisäer, das sind doch die Heuchler, die Scheinheiligen. Nein, mit denen wollte Jesus nichts zu tun haben. Und wir natürlich auch nicht. Uns Christen und Christinnen können die massiven Vorwürfe Jesu gegen die Pharisäer nicht betreffen. Nein, wir sind okay. Wir sind doch ein „heiliges Volk“. Na ja, wir machen natürlich auch nicht alles richtig, aber scheinheilig, nein scheinheilig sind wir nicht.

Waren die Pharisäer wirklich so unmögliche Leute? Das kann nicht sein, denn Jesus hatte guten Kontakt zu Pharisäern. Das waren Leute, die alles richtig machen wollten, die in der jeweiligen Lebenssituation danach fragten, wie das Gebot Gottes am besten ausgelegt werden könnte. Sobald das allgemeine Gebot in bestimmter religiöser Übung verwirklicht werden sollte, war es doch erforderlich festzulegen, was denn „rein“ oder „unrein“ sei und welche Arbeiten genau am Sabbat verboten seien und wie man zu essen habe. Zum Bruch kam es, als Jesus feststellen musste, welchen Stellenwert Gottes Gebot bei vielen hatte: „Dieses Volk verehrt mich mit den Lippen, doch ihr Herz ist weit weg von mir. Vergeblich verehren sie mich, indem sie Gebote von Menschen als Lehren vortragen.“

Und warum beschleicht uns da auf einmal ein unangenehmes Gefühl? Würde uns der Mann aus Nazaret dieses Jesajawort nicht auch entgegenschleudern? Wir müssen nicht lange suchen, bis wir feststellen, wo uns die Gebote von Menschen quasi als göttliche Lehren vorgelegt werden. Als ich ein Kind war, da wurde am Freitag Fleisch gegessen zu haben beinahe auf eine Stufe gestellt mit Mord und Totschlag. Den Jugendlichen wurde als Sünde angekreidet, auch nur sexuelle Gedanken zu haben. Später kam dazu, Empfängnisverhütung als dem Willen Gottes entgegenstehend zu halten.

Vielleicht entrüstet sich jetzt jemand, das sei doch alles Schnee von gestern. Wirklich? „Kein Konzil und kein Papst kann das Verbot von Empfängnisverhütung jemals ändern“, wurde uns erst vor Kurzem zum 50. Jahrestag von Humanae vitae von Rom eingeschärft. Diese Lehre wird, wie viele andere auch, zum „unfehlbaren Glaubenssatz“ hochstilisiert und damit dem Gebot Gottes gleichgestellt, wenn ihm nicht gar übergeordnet. Und das Ganze geschieht in einer Zeit, in der die Kirche in einer großen Krise steckt. Die jahrzehntelange sexuelle Gewalt gegen Kinder und Jugendliche durch Kleriker und deren Vertuschung durch Bischöfe, Kardinäle und Päpste erschüttert die Kirche – aber es wird immer noch nur das eingestanden, was ohnehin schon bekannt ist. Zur vollständigen Aufarbeitung erweist sich die Kirchenleitung nicht willens; schöne Worte ersetzen nicht die Tat. Als strukturelle Sünde wird die sexualisierte Gewalt und deren Vertuschung vielfach immer noch nicht gesehen. Es ging und geht darum, die Heiligkeit der Institution Kirche zu wahren, also sie „rein“ zu halten. Das Wort Jesu „Wer eines von diesen Kleinen zum Bösen verführt, für den wäre es besser, dass ihm ein Mühlstein um den Hals gehängt und er ins Meer geworfen würde“ wird überhört. So viele Mühlsteine gibt es ja auch gar nicht…

Wann werden wir als Kirche bereit sein, dem Wort Gottes den Vorrang zu geben und alles andere als das zu sehen, was es ist: von Menschen gemachte Satzungen.

Magnus Lux

Bildnachweis:

Pflastermosaik in Freiburg Andreas Schwarzkopf 



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