Sonntagsbrief zum 19. Sonntag im Jahreskreis, 13. August

11. August 2023 von Magnus Lux

Das Wunder ist des Glaubens liebstes Kind

Kurz danach forderte Jesus die Jüngerinnen und Jünger auf, in das Boot zu steigen und ihm ans andere Ufer vorauszufahren, bis er die Volksmenge verabschiedet habe. Und er verabschiedete die Volksmenge und stieg auf einen Berg, um allein zu sein beim Beten. Als es Abend geworden war, war er dort ganz für sich allein. Das Boot war schon viele 100  Meter vom Ufer entfernt und kämpfte mit den Wellen. Der Wind war ungünstig. In der vierten Nachtwache kam Jesus zu ihnen. Er ging über den See. Die Jüngerinnen und Jünger sahen, wie er auf dem Wasser lief, und erschraken und meinten, er sei ein Gespenst. Und sie schrien vor Angst. Jesus sprach sie sofort an und sagte: „Seid mutig, ich bin es. Fürchtet euch nicht!“ Petrus antwortete ihm: „Jesus, wenn du es bist, dann sag mir, dass ich über das Wasser zu dir kommen soll.“ Er antwortete: „Komm.“ Petrus stieg aus dem Boot aus und lief über das Wasser, um zu Jesus zu gelangen. Als er den starken Wind wahrnahm, bekam er Angst und begann zu versinken. Er schrie: „Jesus, rette mich!“ Jesus streckte sofort seine Hand aus und ergriff ihn und sagte: „Du mit deinem geringen Vertrauen! Warum zweifelst du?“ Als sie dann ins Boot gestiegen waren, legte sich der Wind. Die im Boot aber fielen vor Jesus nieder und sagten: „Du bist wirklich Gottes Sohn!“

 

Mt 14,22-33 Bibel in gerechter Sprache

 

 

Das Wunder ist des Glaubens liebstes Kind



Also deutlicher geht es ja nun wirklich nicht: Jesus geht auf dem Wasser und beweist so, dass er der Sohn Gottes ist. Fertig. Was gibt es da noch zu diskutieren? Wer das in Zweifel zieht, der glaubt nicht. – Tatsächlich? Wer anderen hier vorschnell den Glauben abspricht, zeigt nur, dass er oder sie in einem Für-wahr-halte-Glauben steckengeblieben ist und das, was Glauben wirklich bedeutet, noch nicht erfasst hat.



Versetzt euch mal in eure Schulzeit. Letzte Schulaufgabe. Von dieser Note hängt es ab, ob ihr das Klassenziel erreicht oder eine Ehrenrunde drehen müsst. Da sitzt ihr nun mit heißem Kopf. Das Wasser steht euch bis zum Hals und ihr fangt an zu rudern. Da wirft euch der Nachbar, die Nachbarin den rettenden Strohhalm zu, mit dem ihr euch über Wasser halten könnt. Endlich, endlich ist wieder Land in Sicht. Und auf einmal läuft alles wie geschmiert. Halleluja!



Wir Menschen denken und reden in Bildern – wie es wohl Menschen zu allen Zeiten getan haben. Wir müssen immer fragen: Was ist eigentlich gemeint? Da fährt eine*r nie nach England: It rains cats and dogs. Und die Engländer kommen nie nach Oberfranken; denn dort regnet es Backsteine. Wörtlich genommen sind solche Aussagen sinnlos. Sicher haben wir Schwierigkeiten damit, die Sprachbilder anderer Kulturen zu verstehen. Noch schwieriger wird es, die Bilder anderer Zeiten zu verstehen. Das gilt auch für die Sprachbilder der Bibel. Und so gilt für mich: Entweder man nimmt die Bibel wörtlich – oder man versteht sie.



Was könnten also die Bilder dieses Evangeliums bedeuten? Jesus geht auf den „Berg“ – ein Sinnbild für die Nähe zu Gott. Es ist „Abend“, seine Jünger und Jüngerinnen fühlen sich von ihm alleingelassen. Das „Boot” treibt auf dem See, weit weg von festem Boden unter den Füßen. Die „Wellen“ schlagen hoch und sie bekommen „Gegenwind“ zu spüren. Mitten in der „Nacht“ wird‘s auch noch zappenduster, niemand weiß mehr, in welche Richtung es weitergehen soll. Und da „kommt Jesus zu ihnen“, es lässt sie nicht allein. Er „geht über den See“, etwas, was eigentlich unmöglich ist. Kein Wunder, dass die planlos Treibenden „erschrecken“ und „Angst“ bekommen; denn sie wissen nicht, was da auf sie zukommt: ein „Gespenst“, ein Hirngespinst, das Produkt einer überhitzten Einbildungskraft, eine fantastische, ja absurde Idee? Und da sagt Jesus: „Seid mutig, ich bin es. Fürchtet euch nicht!“ „Fürchtet euch nicht“ – ein Wort, das immer dann gesprochen wird, wenn der Mensch Gott begegnet. „Ich bin es“ nimmt Bezug zur Offenbarung Gottes im Ersten Testament: Jahwe, ich bin da. Das macht Petrus Mut und er kann, aufgefordert von Jesus, schier über das Wasser laufen – bis ihn die Courage verlässt: „Herr, rette mich!“ Als Jesus mit im Boot ist, „legt sich der Wind“, alles beruhigt sich, alles wird gut. Und sie bekennen: „Du bist wirklich Gottes Sohn!“ – du bist ganz eng mit Gott verbunden, auf dich können wir bauen.



Was ist nun das Wunder, das hier geschieht – heute immer noch. Schauen wir auf die Reformer und Reformerinnen in dieser unserer Kirche, der Gemeinde des Herrn. Wir fühlen uns oft alleingelassen, über dem „Schiff, das sich Gemeinde nennt“, schlagen die Wellen zusammen und wir bekommen von allen Seiten Gegenwind, von eigenen Bischöfen und Gemeindemitgliedern, von der selbsternannten Zentrale in Rom und von anderen reaktionären Kräften weltweit. Wir haben Zweifel, wie es und ob es überhaupt weitergehen kann. Jesus mit seiner Botschaft erscheint in der rauen Lebenswirklichkeit, in der pompösen Machtentfaltung derer, die sich Kirche nennen, weit weg. Und dann singen wir: „Eines Tages kam einer, der hatte einen Zauber in seiner Stimme… Eines Tages kam einer, der hatte eine Freude in seinen Augen, eine Freiheit in seinem Handeln, eine Zukunft in seinen Zeichen.“ Und dann bekommt das Wasser für uns Balken und wir wissen wieder, wofür es sich einzusetzen lohnt. Drum möchte ich den Eingangssatz umwenden: Der Glaube ist des Wunders liebstes Kind! Wer das Wunder erfahren hat, dass in Zweifel und Niedergeschlagenheit neuer Mut erwächst, der und die weiß, was Glaube bedeutet: Ur-Vertrauen, dass Gott auf unserer Seite ist.



Magnus Lux



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