Sonntagsbrief zum 19. Sonntag im Jahreskreis, 11. August 2024

10. August 2024 von Günther Doliwa

Die Botschaft ist das Brot - nicht das Brot ist die Botschaft

Die anderen jüdischen Menschen murrten über ihn, weil er gesagt hatte: ´Ich bin das Brot, das vom Himmel herabsteigt`, und sie sagten: „Ist dieser nicht Jesus, das Kind von Josef und Maria, dessen Vater und Mutter wir kennen? Wieso sagt er jetzt: ´Ich bin vom Himmel herabgestiegen` ?“ Jesus antwortete und sagte ihnen: „Murrt nicht untereinander. Es ist nicht möglich, dass Menschen zu mir kommen, wenn Gott, mein Ursprung, aus dem ich gesandt bin, sie nicht zieht – und ich werde sie auferwecken am letzten Tag. Es ist geschrieben in den prophetischen Schriften: ´Und sie werden alle Gelehrte Gottes sein`: Alle, die von Gott gehört und gelernt haben, kommen zu mir. Nicht als ob jemand Gott gesehen hat außer demjenigen, der bei Gott ist: Dieser hat Gott gesehen. Amen, amen, ich sage euch: Alle, die an mich glauben, haben ewiges Leben. Ich bin das Brot des Lebens. Eure Eltern haben in der Wüste das Manna gegessen und sind gestorben. Dies ist das Brot, das vom Himmel herabsteigt, damit alle von ihm essen und so nicht mehr sterben. Ich bin das lebendige Brot, das vom Himmel herabgestiegen ist; alle, die von diesem Brot essen, werden ewig leben. Das Brot aber, das ich geben werde, ist mein Körper für das Leben der Welt.“

Joh 6, 41-51 Bibel in gerechter Sprache

 

Die Botschaft ist das Brot - nicht das Brot ist die Botschaft 

 

Zur Stärkung gegen die Resignation

Elija reicht’s. Der Verbannte geht in die Wüste. Er kann nicht mehr. Die (Welt-)Lage macht ihn fix und fertig (1 Kön 19,4-8) . Unterm Ginsterstrauch vernimmt er zweimal vom Engel: Steh auf und iss! Sonst schaffst du den weiteren Weg nicht. Gestärkt macht er sich auf. Wie kommt unsereins aus der „Resignationsecke“ (W. Genazino)? Was immunisiert gegen Mutlosigkeit? Wer kennt ein Rezept gegen Überdruss und mürrisch werden? Womit sich stärken, um Krisen zu ertragen? 

Die Anziehungskraft des Christentums, der Kirchen zumal, lässt kontinuierlich nach. Widersprüche werden schwerer vereinbar. Wie sich Leuchtkraft bewahren in blutig-finsterer Zeit, scheinbar von allen gutwilligen Geistern verlassen, zwanghaft ans böse Kriegstreiben geschmiedet? Was bleibt, als die Friedensarmut zu beklagen und gegen alle Tollheit der Politik eine andere Zukunft zu beschwören? Weit besser als National-Nostalgie. Rechtsdrall ist kein Naturgesetz. Populisten schmieren dem Volk Billig-lösungen ums Maul. Dagegen gilt: „Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar.“ (Ingeborg Bachmann). Wie bleiben wir wachsam, wenn autoritäre Regime aufsteigen und Demokratie wehrlos wird? „Sie ahnen nicht einmal, was die Zerstörung dieser fragilen Demokratie für ihre Existenzen bedeuten würde.“ (Dichter Durs Grünbein) Oder soll nur unter Toten Demokratie herrschen? 

Wie Elija gestärkt aufbrach, können auch wir uns gegenseitig Mut machen aufzubrechen, aus der Komfortzone, aus Ohnmacht und Isolation. Gefangene der Hoffnungslosigkeit - wer befreit sie? Kann es der Mensch aushalten ohne offenen Horizont? Es trägt ja keiner das Leben allein.

Moralpredigt, die auf das schlechte Gewissen spekuliert, hat mich noch nie inspiriert. Gestärkt haben mich: Zuspruch, Aktionen, Projekte, Vorreiter, Gesten, Musik, Lieder, Worte, gut wie Brot, ein Lächeln. Selber tun statt sich hinter Appellen an andere zu verstecken, bringt unsere Kraft in Schwung. Negatives gilt es achtsam zu dosieren. Gewiss, es nerven: Geschwätz, Dauermeckerei, Gehässigkeit, Bitterkeit, Wutwahlbürgertum, Zorngeifer, Zynismus. Mürrische rühren nur Trübes auf. Aber Empathie mit Menschen, denen Übles widerfährt, macht menschlich. Weise klingt da die gute Nachricht aus Nazareth: Seid gütig, vergebt! Verlegt euch aufs Lieben. Lasst euch nicht von Angst knebeln. Verzichtet auf Feindbilder und Spaltung. Murrt nicht, lernt! Geht in die große Lehre der Güte! Vertrauen ermuntert. Wir sind von Natur ausgestattet, mit Stress fertig zu werden und Herausforderungen zu bewältigen. Wir dürfen nicht vergessen, wie stark wir sind. Dissonanzen streben nicht nur in der Musik nach Auflösung. Was ist besser als Ausschau zu halten nach Zeichen kommender Aufhellung? 

Im heutigen Evangelium murren sie wieder - über Unerhörtes. immel“Himm„Ich bin das Brot des Lebens.“ (Klar, dass Jesus niemals so von sich redet! Da verdichtet Johannes Jesu Botschaft in „Ich-bin-Sätzen“.) Wir erinnern: Das befreite Volk murrt, denn es hungert in der Wüste, auf dem Marsch ins gelobte Land; es träumt von „Milch und Honig“. Brot soll es regnen, um sie bei Laune zu halten. Jeder Jude kennt das Manna, als „etwas Feines, Knuspriges, fein wie Reif“ (2 Mos 16,14), „weiß wie Koriandersamen“, mit dem Geschmack von „Honigkuchen“ (V 16,31). Diese Speise fällt nachts auf den Wüstenboden und kann des Morgens aufgesammelt werden. Wenn es keine Hoffnung regnet, schaut es düster aus. 

 

Multiple Metapher

Lieder besingen es: „Brot, das die Hoffnung nährt“ (GL 378). „Brot und Rosen“, Protestlied und Streik-Parole (1912) von Textilarbeiterinnen in Massachusetts. Lied der Internationalen Gewerkschafts- und Frauenbewegung. „Wenn das Brot, das wir teilen, als Rose blüht“, so klingt die bizarre Metapher. „Brot und Spiele“ – Rationen zur Beschwichtigung Ausgelieferter. Als Herrschaftsmittel, um das Volk abzulenken davon, dass ihnen die öffentliche Sache entrissen ist. „Wasser und Brot“ – Gefängnisration. Brot vom Himmel? Brot ist immer irdisch, gewachsen aus der Erde. Damit das Brot außen knusprig und innen luftig wird, muss der Teig gut und lange geknetet werden, damit er viel Sauerstoff aufnehmen kann, je länger desto besser. Die Notwendigkeit von Sauerstoffzufuhr sollte den „Vakuum-Verfechtern“ in Kirche und Staat eine Mahnung sein! (Siehe „Sauerteig“, gewidmet der gleichnamigen Initiative zur Aufklärung von Missbrauch. Initiative Sauerteig 

 

Die Botschaft ist das Brot - nicht das Brot ist die Botschaft

Im Neuen Testament, in den sog. „Eucharistischen Brotreden“, wird Jesus als das vom Himmel gekommene Brot des Lebens dem Manna gegenübergestellt, das die Väter einst aßen. Um zu verstehen, was die Bibel Wunder nennt, müssten wir in eine „Religiöse Sprachlehre“ (H. Halbfas 2012) gehen. „Wundergeschichten gehören zur Gattung Legende.“ (Ebd. 294) Sind also Nachfolgegeschichten eines machtvollen Wundertäters. „Das Motiv der wunderbaren Speisung begegnet in Erzählungen in aller Welt.“ (Ebd. 206) Die Geschichte Gottes mit den Menschen findet ihren Ausdruck in Erzählformen, auch lobpreisenden Legenden, die Gottes Fürsorge und Güte zeigen. Wenn ein Prophet Wunder tut, betont dies seine göttliche Legitimation. Symbolische Deutung legt sich nahe. Johannes spricht nicht von Machttaten (dynamis), sondern von Zeichen (semeion) der messianischen Zeit. Da wird aufgetrumpft (seltsam: hier steckt ein „trump“ drin!), obwohl Jesus sich radikal der Königskrönung entzieht. In und mit Jesus wird es festlich, licht, lebendig. Dies sagt das Zeichen.

Poetische Bildkraft kann sagen: „Nicht müde werden/ sondern dem Wunder/ leise wie einem Vogel/ die Hand hinhalten“ (Hilde Domin). Aber ich warne vor passiv-lähmender Wundergläubigkeit! Wir dürfen nicht aufhören Brotbäcker zu sein, uns Krisen zu stellen, nicht veränderungsmüde zu werden. Kinder und Enkel würden sich schön „bedanken“, wenn wir die missratene Sache einfach laufen ließen und wir einen Berg von Schulden und Problemen vererbten anstatt aktiv-konstruktiv an Lösungen zu arbeiten. Eskapismus, Flucht in den Konsum, Flucht in religiösen Determinismus, Gott werde es schon richten, dies alles geht am Jesus-Impuls weiträumig vorbei. Der nämlich stachelt uns an, konkret den Geringsten, Verletzlichsten (z.B. Flüchtenden) beizustehen, dass sie ihre Würde leben können. Jesus strahlt etwas Aufmunterndes aus, trifft er Menschen. Er „impft“ die „Kleingläubigen“ mit Vertrauen, um resistent zu machen gegen Resignation. Diese Botschaft ist sein Brot - nicht das Brot ist die Botschaft. Zufrieden macht „das Schmecken der Worte von innen.“ (Ignatius von Loyola)

 

Unser tägliches Brot gib uns heute

Die Zweifler reduzieren, ob aus Mangel an Vertrauen oder Fantasie, Jesus auf etwas Bekanntes. „Ist das nicht Jesus, der Sohn Josefs, dessen Vater und Mutter wir kennen? Wie kann er jetzt sagen: Ich bin vom Himmel herabgekommen?“ Jesus ist Sohn einfacher Leute. Seine Abstammung ist ganz und gar irdisch, keine Supernova, siehe Mk 6,3, wo doch von seinen vier Brüdern Jakob, Joses, Judas, Simon und von mindestens zwei Schwestern die Rede ist. Aber seine subversive Botschaft sprengt Familienrahmen, Sachzwänge der Gesellschaft, bigotte Kartenhäuser, um allen Gutwilligen Zugang zu verschaffen in ein nie dagewesenes „Vater-unser-Reich“, kein Imperium historischer Größe. „brot für alle war meine botschaft.“ (said) Aber Gott bewahre uns vor einem militanten „Kreuzzug für Brot“ (Lenin 1918), der dann Millionen von Bauern (Kulaken) das Leben kostet. 

Brot braucht der Mensch täglich und heute. Aber das Brot anbeten? Seine Anbeter mögen bedenken: „Gott ist Geist, und die ihn anbeten, müssen in Geist und Wahrheit anbeten“ (Joh 4,23-24). Wie vom Himmelsbrot reden, ohne dem klerikalen Sakralzauber zu verfallen? Esst vom lebendigen Brot! Was soll das nun meinen? Sein Brot = sein Fleisch = sein Einsatz für das Leben der Welt. Fleisch meint im Hebräischen „Leib und Leben.“ Für Johannes wird die Existenz verfehlt, wenn sie nicht „aus dem Geist wiedergeboren“ ist. Der Preis für eine metaphysische Vorstellung von Christus als „Gottes Sohn“ - mythisches Bild altorientalischer Königsideologie, die sich vom Glauben Israels trennt - ist Titelschwindel. Jesus nennt sich nie Gott. Er, der dem Vater alles zutraut, wird das Tor zum Leben. Seine prophetische Sendung trägt Gottes Handschrift. Johannes macht fatalerweise die Juden zum Sündenbock der Heilsgeschichte. Jesu Tempelkritik aber wendet sich gegen einen sterilen Typ von formaler Frömmigkeit, dem das Vertrauen abhandengekommen ist, der vorgibt zu wissen, was Gott will, und sich nicht mehr überraschen lassen kann; keineswegs verwirft er ein „widerspenstiges“ Volk, das hassen dürfte (Antisemitismus). Jesu Ganz-da-sein deckt sich mit Gottes Abstiegswillen; vorbehaltlos wendet er sich Menschen zu - in einer fleischgewordenen Liebe, die alles übertrifft. Lassen Kirchen dieses unabdingbare „Mensch-werden“ und „Arme-speisen“ (Brot für die Welt!) nicht konkret werden, naturalisieren und instrumentalisieren sie das Brot sakral abstrus, verdrehen sie Jesu Botschaft! Seine gelebte frohe Botschaft ist das Brot, das Menschen nährt. Seine Gemeinde, sein Leib, tritt ein in sein Reich von Frieden, Gerechtigkeit, Güte, ja sie wird erst seine Nachfolgeschar, indem sie Versöhnung lebt und subversiv-befreiend praktiziert. 

Falsche Wegweiser

An dieser Stelle ist ausdrücklich vor falschen Wegweisern zu warnen. Hier biegt der Sakralfetischismus ab zur „ewigen Anbetung“ des Brotes. Dabei wird die Hostie zur kultisch aufgeladenen statischen Reliquie, was für mich die befreiende Botschaft pervertiert. Hier zweigt der Klerikalismus ab in die Selbstüberhöhung als Verwandlungskünstler, deren sakrale Macht über den Laien steht. Benedikt XVI. beförderte noch 2009 den klerikalen Trend, indem er J. M. Vianney, den Pfarrer von Ars (1786-1859) als zitierbares Vorbild pries, der seit 1929 der Schutzheilige aller Pfarrer der Welt ist. Der Einfältige (auch von meinem Heimatpfarrer verehrt) verstieg sich zu grandioser Selbstüberschätzung: „Nach Gott ist der Priester alles! Gott gehorcht ihm: Er spricht zwei Sätze aus, und der Herr schließt sich in eine kleine Hostie ein. Der Priester allein besitze den Schlüssel zu den himmlischen Schätzen. 

Falls die Katholische Kirche Klerikalismus und Priesterkult überhaupt ernsthaft überwinden will, darf sie den Leib Christi, Sammelbegriff der Gesamt-Christenheit, nicht auf eine Hostie reduzieren, verwandelt von männlichen Privilegierten. Das spaltet das Volk Gottes in Gebende und Empfangende. Wäre die Feier der Eucharistie, wie feierlich behauptet, „Höhepunkt, Quelle und Kraft des Glaubens“ (Vatikanum II, Liturgiekonstitution 10), dürften die Bischöfe sich nicht gegen alle Fürsorgepflicht weigern, sie von der beharrlich schwindenden Zahl der Weihesakramentsträger abhängig und damit großflächig ausfallen zu lassen. Diese Quelle, längst Rinnsal, versiegt zusehends. Die Männerzölibat-Regel hebelt bis auf den Tag eine allen Gemeinden zugesagte „Wegzehrung“ für Pilgernde auf.

Als ich kürzlich das Sterben meines Schwiegervaters miterlebte, staunte ich nur, was Frauen in diesem meist verdrängten Prozess alles vermögen, leisten, tragen, bewerkstelligen. Mich wundert nicht, dass gerade Frauen die ersten Zeuginnen der Auferstehung Jesu waren – und sind! Solche Hirtinnen (Männer sind mitgemeint!) hüten, backen Brot, reichen Wein, nähern sich zärtlich und radikal dem andern, schenken sich, damit nichts fehlt. Gelebtes Evangelium, tätige Liebe, nicht das rigide Festklammern an trockenen Lehrsätzen entscheidet darüber, ob das Christentum eine neue Chance verdient und erhält. 

 

Brot statt Steine – und Wein, wenn’ s recht ist

Hungrigen Brot zu reichen - nicht Steine zum Zähne-ausbeißen - realisiert die Bergpredigt. Steine statt Brot zu geben (Mt 7,9) steht als Inbegriff von Hartherzigkeit. Gott ergibt sich nicht, wenn wir alles zusammenzählen. Gott gilt Gläubigen als Geber aller Gaben. Wenn er gibt, gibt er sich selbst, was sonst als seine Fülle!? Sein Sohn bringt uns neu auf seine Spur. Wenn wir uns gestärkt (hin-)geben, engagieren, sollen wir uns selbst geben, kein Abziehbild, keinen Ersatz, keine Maske, keine Karikatur. 

Jesus, der ein auf der Kippe stehendes Fest in Kana mit neuem Wein rettet, der dionysischen Gabe des Rausches, - „Anfang der Zeichen“ (Joh 2,11) - er kennt das Herz und die wahren Wünsche und Bedürfnisse des Menschen; er vertröstet und verachtet sie nicht. 

In diesem Sinn seien gesegnet - Brot der Erde und Wein der Freude.

 

Einen fröhlichen Sonntag wünscht Ihnen Günther M. Doliwa, 8.-27.7.2024

 

Sauerteig *

 

Teig ansetzen ist kinderleicht
aus Wasser und Mehl
Wärme und Zeit

Triebmittel lockern
gewiss auch Menschen 
Es entfaltet sich das zu backende Werk

Damit Brot duftig aufgeht
schmackhaft verdaulich
ist Säure vonnöten

Sei also sauer Sei der Teig
dauerhaft in Gärung gehalten

Sei Sauerteig
der die Welt durchsäuert und
Geschmack dem nötigen Brot verleiht

Tu was sättigt
Durchdringungskünstler 

will ich sein

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