Sonntagsbrief zum 16. Sonntag im Jahreskreis, 21. Juli 2024

19. Juli 2024 von Barbara Dominguez

Nichts wird mir fehlen

Die Apostelinnen und Apostel versammelten sich um Jesus und berichteten ihm alles, was sie getan und gelehrt hatten. Da sagte er zu ihnen: Kommt allein an einen einsamen Ort, ruht euch ein wenig aus.“ Denn es herrschte ein so reges Kommen und Gehen, dass sie nicht einmal Zeit zum Essen fanden.

 

Für sich allein fuhren sie in einem Boot an einen einsamen Ort. Die Menge sah, dass sie wegfuhren, und viele erfuhren davon und liefen dort aus allen Städten zu Fuß zusammen und kamen ihnen zuvor. Als er ausstieg, sah Jesus eine große Menschenmenge, und das ging ihm nahe, denn sie waren wie Schafe, die keinen Hirten und keine Hirtin haben. Da begann er, sie vieles zu lehren.

 

Mk6, 30-34 Bibel in gerechter Sprache

 

Nichts wird mir fehlen

 

Lagebesprechung nach getaner Arbeit. „Und, wie war`s?“ Wir alle kennen das, nach Beendigung eines Projektes oder eines Großauftrages froh und oft begeistert, aber müde, manchmal sogar erschöpft den anderen und dem Chef zu berichten. Man freut sich gemeinsam über den Erfolg und auf den Feierabend. 

So stelle ich mir die Szenerie vor. Jesus hatte seine Apostel zu Zweit mit einem wichtigen Auftrag losgeschickt. Ohne Hilfsmittel und nur mit leichtem Gepäck war es sicher oft abenteuerlich mit offenem Ausgang, mühsam. Nun sitzen sie abgearbeitet und hungrig zusammen und erzählen. Jesus merkt ihren Erholungsbedarf und sagt – bitte aufgemerkt, auch das ist Frohe Botschaft!: Ihr müsst mal in Ruhe und fernab des Rummels eine Erholungspause einlegen. 

 

Gesagt, getan, doch, oh Schreck, an diesem einsamen Ort sind sie schon, diese Menschen, und sogar noch mehr als vorher. Was wird denn jetzt aus der Ruhepause?! Jesus tun sie auch noch leid, diese „Schafe ohne Hirte“ und deshalb schickt er sie nicht weg. Er erkennt ihre Bedürftigkeit, Sehnsucht nach Zuwendung, Hoffnung auf Heilung und ihr Vertrauen. Seine Freunde können sich, wie ausgemacht, ausruhen, denn Jesus übernimmt es nun selbst, ohne Zeitlimit seine frohe Botschaft von der Liebe Gottes zu verkünden. Jesus wird nun der Hirte für diese bisher „herrenlosen“, orientierungslosen Schafe. Manche leiden vielleicht unter der römischen Herrschaft und den herrschenden Religionsführern. 

 

Hirten und Schafe kommen in der Bibel häufig vor, viele sind Schafzüchter. Moses und David hüteten Schafe, als etwas Besonderes mit Gott und ihnen geschah, und die Hirten sind die ersten, die in der Nachtwache von Jesu Geburt erfahren. Sie galten in dieser Zeit in der Gesellschaft als Abschaum, man glaubte ihnen nicht, noch nicht einmal vor Gericht. Und gerade diese wählt Gott aus, dass sie von der Geburt Jesu erzählen! Da scheiden sich schon zu Beginn die Geister.

 

Jesus, der Sohn Davids und Gottes selbst, wird zum „guten“, aber von den religiös Herrschenden verachteten Hirten. Er lebt einen guten Hirten vor, der sein Leben hingibt für seine Schafe, ganz im Gegensatz zu einem schlechten, dem die Schafe egal sind, der nur sein Geld haben will. Jesus sucht sogar ein einziges verirrtes Schaf und trägt es liebevoll zurück zur Herde.

 

Es ist ein pastorales Bild: eine friedlich und ruhig auf einer Wiese weidende Schafherde, um die sich ein Schäfer kümmert, der sie Tag und Nacht aufmerksam beobachtet, auf sie achtet, der kranke, verletzte Schafe liebevoll behandelt, immer für sie da ist. Für die Schafe wiederum stimmt alles, sie fühlen sich intuitiv geborgen und beschützt, wohl, selbstverständlich um ihrer selbst willen und weil der Hirte sie liebt wie ein Mensch sein ihm anvertrautes Tier, das „sein“ ist. Er führt seine Schafe auf gute Weiden, niemals ins Unglück. 

 

Ist es nicht wunderbar, zu einer solchen Schafherde zu gehören? Warum sollte ein Schaf diese verlassen wollen? Neugier, Abenteuerlust, Übermut wären ein Grund, aber das geht meist schief, Verirrungen und gefährliche Situationen warten, die das Schaf allein nicht bewältigen kann. (In unserer Nähe springt ein Schaf oft über den Zaun und steht dann hilflos und jämmerlich blökend „dumm rum“, denn es findet nicht mehr zurück, bis der Schäfer kommt und ihm hilft.)

 

Auch das kennen wir: falsche Hirten verschiedenster Art wollen uns führen oder wir lassen uns von ihnen führen. Das können Menschen sein, die uns manipulieren, verführen, Botschaften einreden, auch irrige Überzeugungen, Eingetrichtertes und falsche Denkmuster, die wir in uns tragen, innere Antreiber und Krankmachendes. Das führt uns dazu, dass wir in felsiges, gefährliches Gelände geraten und einen Lebensretter brauchen. Dafür steht Jesus jederzeit ohne Zeitbegrenzung bereit.

 

Im allgemeinen gilt das Schaf als dumm, man folgt gern Alfred Brehms Auffassung: „Es begreift und lernt nichts […]. Seine Furchtsamkeit ist lächerlich, seine Feigheit erbärmlich. Jedes unbekannte Geräusch macht die Herde stutzig, Blitz und Donner und Sturm und Unwetter überhaupt bringen sie gänzlich aus der Fassung.“ 

 

Allzu gerne behandeln und behandelten Oberhirten und vermeintliche Hirten – genannt Pastoren - der römisch-katholischen Kirche ihre Gemeinden wie dumme, unmündige Schafe, denen man deutlich sagen muss, was sie zu tun und zu lassen haben, mit Androhung von Strafen und harten Bestrafungen, schließlich auch von Gott nach ihrem Tod. Unter spirituellem Missbrauch leiden heute noch unzählige Gläubige, denn sich von einem solchen Hirten, der dann böse wird, zu befreien, trau-t-en sie sich nicht. Dass sich diese Hirten konträr zum Hirtensein Jesu verhielten und und verhalten, sich nicht kümmern und ihre Herde zerstreuen, was der Prophet Jeremia schon vor Jesus anprangert, merken diese Hirten selbst nicht. Es gibt sogar eine Sorte wirklich dummer Schafe, die solchen „Unhirten“ ins Verderben folgen.

 

Dieser Auffassung vom dummen Schaf widerspricht die heutige Wissenschaft. „Wenn mit dumm die Unfähigkeit gemeint ist, aus Erfahrungen zu lernen, dann sind Schafe in keiner Weise dumm.“ 

– Juan Villalba, Zoologe an der Utah State University. *

 

Unter dem Motto: „Die Zeit der (dummen) Schafe ist vorbei“ forderte „Wir sind Kirche“ kürzlich zu einer grundlegenden Verhaltensänderung auf. Das soll auf beiden Seiten geschehen.

 

Es ist immer an der Zeit, falschen Hirten bzw. Oberhirten den Rücken zuzukehren, sich bewusst und entschieden Jesus anzuschließen und sich seiner Führung zu überlassen. Er gibt Orientierung, Halt, Nahrung, und in seiner Herde fühlt sich jedes Schaf wohl, weil es geliebt und beachtet ist, eine Richtschnur für alle guten Hirten. Lautes Blöken bei Mangel ist erlaubt, aber der Hirte Jesus und die anderen guten Hirten unter uns, die auch wir sein können, werden sich liebe – voll kümmern. 

 

Das drückt wunderschön der Psalm Davids, Ps. 23, aus. Versetzen wir uns hinein in die Bilder, meditieren wir und freuen wir uns als Schaf der geliebten Herde Gottes, für das gesorgt wird.

 

Der Herr ist mein Hirte,
nichts wird mir fehlen.
Er lässt mich lagern auf grünen Auen
und führt mich zum Ruheplatz am Wasser.
Er stillt mein Verlangen;
er leitet mich auf rechten Pfaden, treu seinem Namen.
Muss ich auch wandern in finsterer Schlucht,
ich fürchte kein Unheil;
denn du bist bei mir,
dein Stock und dein Stab geben mir Zuversicht.
Du deckst mir den Tisch
vor den Augen meiner Feinde.
Du salbst mein Haupt mit Öl,
du füllst mir reichlich den Becher.
Lauter Güte und Huld werden mir folgen mein Leben lang
und im Haus des Herrn darf ich wohnen für lange Zeit. 

 

Brigitte Karpstein 

*„Forscher des Babraham Institute in Cambridge fanden in einer Studie aus dem Jahre 2004 heraus, dass sich das Schaf über 50 Gesichter von Artgenossen über zwei Jahre lang merken kann. Die Studie führte ferner zu dem Ergebnis, dass das Aufhängen von Schafsporträts im Stall zu einer deutlichen Senkung des Adrenalinspiegels und der Pulsfrequenz beim Schaf führt. Die Forscher führten dies darauf zurück, dass das Schaf „bemerkt“, also es so wahrnimmt, dass es „nicht allein“ sei. 

Schafe sind auch durchaus in der Lage, auf verändernde Umwelteinflüsse „zweckmäßig“ zu reagieren. Zum Beispiel bei intensiver Sonneneinstrahlung: Sie stellen sich, wenn sonst keine Möglichkeit zum Unterstellen vorhanden ist, in einem engen Kreis auf. Hierbei befinden sich die Köpfe der Schafe im Innern des Kreises; die Schafe senken ihre Köpfe dann zwischen ihre Vorderbeine, um sie der intensiven Sonneneinstrahlung zu entziehen. Dabei reduzieren sie ihre Atmung, weil zugleich ihre Aktivität herabgesetzt wird. 

Von einer außergewöhnlichen Intelligenzleistung wird bei einer Schafherde in Großbritannien berichtet. Die Tiere sollen, indem sie auf dem Rücken darüberrutschten, einen drei Meter breiten Weiderost überwunden haben, welcher für Vieh eigentlich eine sichere Barriere darstellt.

Wikipedia

 

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