Sonntagsbrief zum 12. Sonntag im Jahreskreis, 24. Juni 2018

21. Juni 2018 von Renate Luig

Das langsame Wachsen Gottes in unserem Dasein

Buchenkeimling © Sigrid Grabmeier

Aufgrund einer verrutschen Zeile in der Text-Vergabetabelle für die Autoren und Autorinnen der Sonntagsbriefe kam es für den letzten und diesen n  Sonntag dazu, dass die Evangelien vom jeweils vorherigen Sonntag bearbeitet wurden. - 

Er sagte: Mit dem Reich Gottes ist es so, wie wenn ein Mann Samen auf seinen Acker sät; dann schläft er und steht wieder auf, es wird Nacht und wird Tag, der Samen keimt und wächst und der Mann weiß nicht, wie. Die Erde bringt von selbst ihre Frucht, zuerst den Halm, dann die Ähre, dann das volle Korn in der Ähre. Sobald aber die Frucht reif ist, legt er die Sichel an; denn die Zeit der Ernte ist da.Er sagte: Womit sollen wir das Reich Gottes vergleichen, mit welchem Gleichnis sollen wir es beschreiben? Es gleicht einem Senfkorn. Dieses ist das kleinste von allen Samenkörnern, die man in die Erde sät. Ist es aber gesät, dann geht es auf und wird größer als alle anderen Gewächse und treibt große Zweige, sodass in seinem Schatten die Vögel des Himmels nisten können.

Durch viele solche Gleichnisse verkündete er ihnen das Wort, so wie sie es aufnehmen konnten. Er redete nur in Gleichnissen zu ihnen; seinen Jüngern aber erklärte er alles, wenn er mit ihnen allein war.

Mk 4, 26-34 Einheitsübersetzung 

 

Das langsame Wachsen Gottes in unserem Dasein 

„Den Seinen gibt’s der Herr im Schlaf.“ Wie aus der Zeit gefallen wirkt dieses Sprichwort angesichts heutiger Probleme wie Burnout, ständige Erreichbarkeit im Beruf, mühsames Ringen um die sog. work-life-balance, etc. Aber es beschreibt treffend, wie sich der Mann aus der ersten der beiden Gleichniserzählungen verhält: Er tut seine Arbeit (pflügen, säen), dann legt er sich ruhig schlafen. Er ist nicht allein für das Wachsen des Getreides verantwortlich; Sonne, Regen, Wind tun das Ihre dazu. Und: Das Wachsen braucht seine Zeit – erst der Halm, dann die Ähre, dann die Körner. Man kann es nicht beschleunigen, nur passiv abwarten.

Das zweite Bild mit seinem Kontrast von Klein (Anfang) und Groß (ausgewachsene Gestalt) unterstreicht diese Einladung zur Gelassenheit. Zwar muss ich gestehen: Eine Senfstaude habe ich noch nie gesehen. Aber eine prachtvolle Buche zum Beispiel kann mich ebenso das Staunen lehren, wenn ich an ihr emporblicke und mir klarmache, dass sie aus einem winzigen Buchecker gewachsen ist. Welch ein Wunder!

Und diese beiden Gleichnisse sollen ein Bild für das Reich Gottes sein? Was sehen / spüren wir denn - 2000 Jahre später – davon?

„Jesus verkündete das Reich Gottes; was kam, war die Kirche.“ Dieser berühmte Satz von Alfred Loisy wird auch heute, gut 100 Jahre später, immer noch als sehr treffend empfunden. Die rund 2000 Jahre Kirchengeschichte zeigen, wie aus kleinen Anfängen (eine kleine Gruppe ungebildeter jüdischer Wanderprediger) Großes, aber auch Schreckliches bzw. Fragwürdiges wurde: die grandiosen gotischen Kathedralen ebenso wie die Kreuzzüge; zahllose Menschen und Organisationen im Dienst der Nächstenliebe ebenso wie die erstarrte, machtbewusste Kurie in Rom. Wohin also schauen? Martin Wehrle, Ex-Abt von Einsiedeln, stellt in seinem Buch „Zu spät“ (2018) das interessante Gedankenspiel an, wie es wäre, die prachtvolle barocke Basilika von Einsiedeln, durch die er selbst sehr gerne Besuchergruppen führte - einfach abzureißen! So könnte vielleicht deutlich werden, dass die Kirche mit all ihren Errungenschaften kein Selbstzweck ist, sondern einzig die Aufgabe hat, das Reich Gottes zu verkünden.

Was aber ist mit diesem sperrigen Begriff „Reich Gottes“ bzw. „Gottesherrschaft“ gemeint? Ich verstehe ihn so: Eine „Herrschaft“, die gerade keine „Herrschaft“ im Sinne eines Machtgefälles ist, sondern die den Menschen aufrichten, zu seinen Möglichkeiten befreien will. Indem ich mich diesem Angebot, dieser uneingeschränkten Annahme und Liebe Gottes öffne, sie wahr-nehme (!), verwandelt sich mein Blick auf meine Mit-Menschen. Ich möchte sie teilhaben lassen, sie einbeziehen, dieser liebenden Energie Gottes zur Durchsetzung verhelfen. Das Leben soll nach diesen „Spielregeln“ ablaufen, nach denen Geschundene gepflegt, Verkrümmte aufgerichtet, Trauernde getröstet werden.

Doch immer wieder auch erlebe ich dabei Grenzen: Wie oft renne ich an gegen die gegenwärtige Erscheinungsform unserer Kirche, die scheinbar so gar nichts mehr von dieser Botschaft Jesu erkennen lässt! Wie oft fühle ich mich überfordert, träge, ohne Empathie, spirituell ausgedörrt! Abschließend sei dazu Eugen Drewermann zitiert: „So ganz gegen die Unruhe der Not, so ganz gegen die Ungeduld des Selber-Einschreitens richten sich diese ruhigen und vertrauensvollen Worte Jesu von dem Allerwichtigsten, das es in unserem Leben gibt: von dem langsamen Wachsen Gottes in unserem Dasein.“

Renate Luig 

 

Eugen Drewermann: Das Markusevangelium. Erster Teil, Olten 1987, S.344

Bildnachweis: Buchenkeimling © Sigrid Grabmeier

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