Sonntagsbrief zum 10. Sonntag im Jahreskreis, 7. Juni 2015

6. Juni 2015 von Eva-Maria Kiklas

Wem schuldet der Mensch Gehorsam?

Sonntagsbrief zum 10. Sonntag im Jahreskreis

Da rief Adonaj, also Gott, den männlichen Menschen herbei und sagte zu ihm: „Wo warst du?“ Der sagte: „Ein Geräusch von dir habe ich im Garten gehört und mich gefürchtet, denn ich habe nichts an und da hab ich mich versteckt“. Darauf: „Wer hat dir denn gesagt, dass du nichts anhast? Hast du etwa von dem Baum gegessen, von dem ich dir geboten habe, nicht zu essen?“ Da sagte der Mann-Mensch: „Die Frau, die du mir selbst an die Seite gegeben hast, die hat mir von dem Baum gegeben. Und da habe ich gegessen.“ Da sagte Adonaj, also Gott, zur Frau: „Was hast du da getan?“ Und die Frau sagte: „Die Schlange hat mich reingelegt, so dass ich gegessen habe.“ Da sprach Adonaj, also Gott, zur Schlange: „Weil du das getan hast, bist du verflucht – als Einziges von allem Vieh und von allen Tieren des Feldes. Auf deinem Bauch sollst du kriechen und Erde essen alle Tage deines Lebens. Feindschaft stifte ich zwischen dir und der Frau, zwischen deinem Nachwuchs und ihrem Nachwuchs. Der wird deinen Kopf angreifen, du wirst seine Ferse angreifen.“

Gen 3,9-15
Bibel in gerechter Sprache

Schon seit längerer Zeit beschäftige ich mich mit dem Thema Gehorsam: Ist Gehorsam eine Tugend oder ein Machtinstrument? Und wem schuldet der Mensch Gehorsam?

Die alttestamentliche Lesung dieses Sonntags beschreibt die Folgen des Ungehorsams der ersten Menschen gegenüber einem Verbot Gottes. Gehorsam spielt im Alten Testament eine große Rolle, wie z.B. die Opferung des Isaak und auch im Neuen Testament ist Jesus „gehorsam bis zum Tod am Kreuze“.

Für alle drei Gehorsamkeitsgeschichten gibt es für mich aber auch ganz andere Deutungen :
Die Opferung des Isaak ist als Aufforderung zur Beendigung von Menschenopfern plausibler; denn ein Gott, der ein liebender Vater ist, kann eine solche Forderung  als Prüfung des Gehorsams  nicht stellen.

Der sog. Sündenfall könnte auch als Initiationsgeschichte des Menschen gelesen werden: die unbeschwerte Kindheit im Garten Eden ist vorbei, der Erwerb von Erkenntnis führt zum Erwachsenwerden und damit zur Unterscheidung von gut und böse. Der Mensch ist gezwungen, Verantwortung für sein Leben und Tun zu übernehmen und die Folgen zu tragen. Der verbotene Apfel kann auch die Freiheit der Entscheidung bedeuten.

Gehorsam galt ja als echte deutsche und preußische Tugend und das Adjektiv „blind“ ,das dem Gehorsam oft zugeordnet wird, macht schon deutlich, wohin er führen kann: der erste, aber besonders der zweite Weltkrieg und seine Geschehnisse bezeugen es. Es gab den Befehl, dem man gehorchen musste. Die Prozesse nach dem Ende des 3. Reiches zeigten, wie sich die Angeklagten, z.B. Eichmann, von jeder Verantwortung frei fühlten. Man hatte ja nur „gehorcht“.

Franz Jägerstätter verweigerte 1938 die Einberufung  zum Militär und jegliche Zusammenarbeit mit den Nationalsozialisten. Er folgte allein seinem religiösen Gewissen und verteidigte dies gegenüber seinem Pfarrer, seinem Bischof und den Machthabern, die ihn zum „ Gehorsam“ überreden bzw. zwingen wollten. Wegen Wehrzersetzung wurde er zum Tode verurteilt. Und damit schließt sich der Kreis zum „Gehorsam“ Jesu am Kreuz. Nicht Gott verlangte diesen Gehorsam von ihm als Voraussetzung seiner Versöhnung mit den Menschen, sondern Jesus wurde als Störer der religiösen Ordnung gesehen und umgebracht, weil er seinem Weg, seiner Sendung, seinem Gewissen gehorchte.

Diese Stimme Gottes, die göttliche Ruach in uns ist die einzige Instanz, der wir gehorsam sein dürfen.

Eva-Maria Kiklas

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