Sonntagsbrief zum 10. Sonntag im Jahreskreis, 10. Juni 2018 (Kopie)

8. Juni 2018 von Johannes Brinkmann

Verlust der Einheit

Garten Eden - Lukas Cranach d.Ä. 1530

 

Gott, der Herr, rief Adam zu und sprach: „Wo bist du?“ Er antwortete: „Ich habe dich im Garten kommen hören; da geriet ich in Furcht, weil ich nackt bin, und versteckte mich.“ Darauf fragte er: „Wer hat dir gesagt, dass du nackt bist? Hast du von dem Baum gegessen, von dem zu essen ich dir verboten habe?“ Adam antwortete: „Die Frau, die du mir beigesellt hast, sie hat mir von dem Baum gegeben und so habe ich gegessen.“ Gott, der Herr, sprach zu der Frau: „Was hast du da getan? Die Frau antwortete: Die Schlange hat mich verführt und so habe ich gegessen.“

Da sprach Gott, der Herr, zur Schlange:

„Weil du das getan hast, bist du verflucht
unter allem Vieh und allen Tieren des Feldes.
Auf dem Bauch sollst du kriechen
und Staub fressen alle Tage deines Lebens.
Feindschaft setze ich zwischen dich und die Frau,
zwischen deinen Nachwuchs und ihren Nachwuchs.
Er trifft dich am Kopf
und du triffst ihn an der Ferse.“

Genesis 3,9-15 Einheitsübersetzung 

Verlust der Einheit

Ich möchte mich den Tiefen dieses Textes über die Wortwahl nähern. GOTT spricht zuerst den Mann an, der sich plötzlich nackt fühlt. Das war er vorher auch, doch da machte er sich noch nichts daraus. Jetzt aber empfindet er dies plötzlich als Makel. GOTT fragt ihn deshalb, ob er sein Gebot gebrochen habe und von der Frucht des Baumes gegessen habe, dem einzigen Baum im Garten, den GOTT ausdrücklich sein Eigentum genannt und von dem zu essen er unter Androhung des Todes verboten hat. „Die Frau, die Du mir gegeben hast, gab mir von der Frucht!“ antwortet der Mann. Er sagte nicht: „Meine Frau hat mir von dem Baum gegeben“, sondern „die Frau, die Du (GOTT) mir gegeben hast…“. Kurz vorher noch hat er die Frau als „Bein von meinem Bein und Fleisch von meinem Fleisch“ gepriesen, hat sich selber als „ish“ = Mann und die Frau als Teil seiner selbst „Isha“ = Männin benannt; doch jetzt gibt er sie quasi an GOTT, ihren Produzenten, zurück. GOTT war es ja schließlich, der sie ihm zugesellt hat. Interessant, wie der Mann sich hier selbst als das unschuldige Opfer stilisiert. Die Frau ist Schuld und GOTT, der mit der Frau ganz offensichtlich eine Fehlkonstruktion und ein Defizitmodel abgeliefert hat.

Und was macht die Frau, nachdem GOTT sie nach der Wahrheit befragt? Sie schiebt die Schuld auf die Schlange! Die Schlange wird nun gar nicht erst befragt sondern gleich verflucht. Ihr werden die Beine weggezogen und auf die Erde und in den Staub geworfen, von der GOTT sie im Schöpfungsakt einst genommen hatte. Und dann sagt GOTT noch zur Schlange: „Feindschaft setze ich zwischen Dich und die Frau, zwischen deinen Nachwuchs und ihren Nachwuchs.“ Wieso ist das hier plötzlich nicht mehr der gemeinsame Nachwuchs von Mann und Frau sondern nur noch der Nachwuchs der Frau? Da regt sich in mir der Verdacht, dass hier die von Männerinteressen geleitete männliche Autorenschaft dieses alten Mythos GOTT diese Worte in den Mund gelegt hat; GOTT vor den Karren ihrer Interessen gespannt hat. Schon komisch, wie GOTT sich hier in seiner Wortwahl auf die Seite des Mannes schlägt. Ich kenne das aus meiner Kindheit, Sie ja vielleicht auch: wenn ich etwas angestellt habe, hieß es plötzlich nicht mehr „unser Sohn“ sondern nur noch „Dein Sohn hat dieses oder jenes getan...“. Da war ich ganz plötzlich nicht mehr das gemeinsame Kind!

Einer schob die Schuld auf den anderen, so wie wir es alle kennen! Von Einigkeit keine Spur mehr! Kein Wunder, dass man(n) sich plötzlich nackt fühlt. Alle Beteiligten finden sich mit einem Mal auf sich selbst und auf den Erdboden zurück geworfen, von dem GOTT sie einst liebevoll genommen hatte. Und zwar nicht nur die Schlange, sondern auch der „Erdling“ Adam. Auf einen Erdboden sind mit einem Mal alle Akteure geworfen, der staubig, sandig und anstatt paradiesisch, plötzlich unfruchtbar geworden ist. Rauswurf aus dem Paradies, geworfen auf einen steinigen Acker!

„Zunächst lebten die Menschen in einer Welt des Überflusses, dann folgte der nicht freiwillige Schritt in die Welt des Ackerbaus und des Schuftenmüssens. Das ist die Spur, der es zu folgen gilt - sie führt schnurstracks auf das zurück, was wir als entscheidenden Wendepunkt der Evolution des Menschen bezeichnen, das Sesshaftwerden.“ heißt es auf S. 54-55 in dem Buch des Anthropologen und Evolutionsbiologen Carel van Schaik und des Historikers und Literaturwissenschaftlers Kai Michel. „Das Tagebuch der Menschheit! Was die Bibel über unsere Evolution verrät“. Es erschien in den USA 2016 und bei uns in Deutschland im Jahr 2017 im Rowohlt Taschenbuch Verlag. Dieses Buch will ich Ihnen ans Herz legen. Wer es gelesen hat, wird die Bibel danach mit anderen Augen sehen. Allerdings - möchte ich warnend vorwegschicken - verliert die Bibel unter seiner Betrachtung jeglichen Heiligenschein.

 

Einen gesegneten Sonntag allen

Johannes Brinkmann / Essen

www.johannesbrinkmann.de

Bildnachweis: Lukas Cranach d.Ä. : Garten Eden 1530, Öl auf Lindenholz, 81x114 cm  Wien Kunsthistorisches Museum

Im Vordergrund: Am rechten Rand in der Mitte die Erschaffung des Adam, im Mittelgrund: Erschaffung der Eva aus der Rippe Adams, Entdeckung des Sündenfalls, Vertreibung aus dem Paradies. Im Vordergrund das Verbot Gottes an Adam und Eva – Gott begegnet den beiden auf Augenhöhe; rechts von der Erschaffung Evas die Begegnung mit der Schlange und der Verstoß gegen das Verbot; links von der Erschaffung Evas: Adam und Eva erkennen ihre Nacktheit und verbergen sich vor Gott – Gott begegnet ihnen als Verborgener; am linken Rand in der Mitte die Verteibung aus dem Paradies. - Darstellung in höherer Auflösung und Mehr zum Bild Wien Kunsthistorisches Museum

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